Verschweigen und Leugnen haben noch kein Problem gelöst CDU-Antrag und die AfD - ein Kommentar

Verschweigen und Leugnen haben noch kein Problem gelöst: CDU-Antrag und die AfD - ein Kommentar
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Ulrich Breulmann.

4.700 Menschen gehen an einem nassen, kalten Donnerstagabend in Dortmunds Innenstadt auf die Straße. Sie protestieren gegen das, was nur einen Tag zuvor im Deutschen Bundestag geschah. Das Plenum hatte mit den Stimmen von AfD einen Antrag von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zur Migration angenommen.

Die „Brandmauer zur AfD ist gefallen“ empören sich die einen, sehen eine neue Mehrheit „rechts der Mitte“ im Anmarsch und protestieren in ohnmächtiger Wut. Die anderen, angeführt von der AfD, jubilieren, sehen den Anbruch eines neuen Zeitalters und können ihr Glück kaum fassen. Innerhalb weniger Tage hat CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz eine komplette Kehrtwende hingelegt:

Am 11. Januar sagte er über die AfD: „Eine Zusammenarbeit unter meiner Führung wird es mit der CDU in Deutschland nicht geben. Wir arbeiten nicht mit einer Partei zusammen, die ausländerfeindlich ist, die antisemitisch ist, die Rechtsradikale in ihren Reihen, die Kriminelle in ihren Reihen hält, eine Partei, die mit Russland liebäugelt und aus der Nato und der Europäischen Union austreten will.“

Gut zwei Wochen später, am 29. Januar, klingt Merz dann so: „Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen. Sie bleibt richtig.“

Was bedeutet das für das künftige Miteinander?

Das ist eine Argumentation, die nicht alle teilen. Selbst die langjährige CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass viele Menschen – auch aus der CDU – extrem irritiert und entsetzt sind und auf die Straße gehen. Die Frage ist nur: Was hilft uns das und was bedeutet das für unser künftiges gesellschaftliches Miteinander?

Als vor einem Jahr Correctiv Details der Potsdamer Konferenz der AfD enthüllte, auf der Rechtsextreme über „Remigration“ schwadronierten, löste das einen Proteststurm aus. Hunderttausende demonstrieren in ganz Deutschland. Und heute? Inzwischen erntet die AfD-Vorsitzende Jubelstürme, wenn sie auf dem AfD-Parteitag erklärt, selbstverständlich werde sie über „Remigration“ reden.

Der Widerstand der Demos hat die AfD nur noch härter und kompromissloser gemacht. Die von Gerichten in große Teilen als rechtsextremistisch eingestufte Partei hat dafür gesorgt, dass Migration zu dem Thema des Wahlkampfs schlechthin geworden ist.

Wie konnte es so weit kommen? Das erste und größte Problem dürfte darin liegen, dass zu viele aufrechte Demokraten zu lange geglaubt haben, man dürfe die mit der Migration verbundenen Probleme nicht beim Namen nennen, denn das treibe die Menschen nur der AfD in die Arme. Das war falsch und verhängnisvoll. Verschweigen, Verharmlosen, Leugnen und Kleinreden haben noch nie ein Problem gelöst.

Ob uns das gefällt oder nicht – wir müssen zur Kenntnis nehmen: Die deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland betrachten inzwischen ungehinderte Migration als riesiges Problem. Erst vor wenigen Tagen veröffentliche Infratest dimap eine repräsentative Umfrage. Danach haben sich 67 Prozent der Befragten für dauerhafte Grenzkontrollen ausgesprochen und 68 Prozent dafür, dass Deutschland weniger geflüchtete Menschen aufnehmen sollte als derzeit.

Wenn das so ist, dann sind alle Parteien verpflichtet, sich um das Thema Migration zu kümmern. Es ist gut, dass wir in einer Demokratie leben und jeder seine Meinung äußern und dafür auch lautstark demonstrieren darf. Noch wichtiger wäre es allerdings, wenn wir endlich aufhören, in Stereotypen zu denken: Jeden, der über Probleme der Migration redet, als Nazi zu diffamieren. Jeden, der sich für Flüchtlinge einsetzt, als Gutmenschen-Depp zu karikieren.

So kommen wir nicht weiter. Das Thema wird momentan in einer emotional höchst aufgeladenen Atmosphäre nicht angemessen diskutiert. Hilfreich wäre es in dieser Lage, wenn wir alle ein paar Dinge einfach akzeptieren würden: Zum Beispiel, dass Deutschland zwar Zuwanderung braucht, um seinen Wohlstand auf Dauer zu sichern, aber ungeregelte Zuwanderung unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet.

Zum Beispiel, dass wir Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflüchtet sind, den im Grundgesetz garantierten Schutz gewähren wollen, aber dass wir auch nicht alle Schutzbedürftigen dieser Welt aufnehmen können. Und einig sollten wir auch in diesem Punkt sein: In Deutschland gelten unsere Regeln. Die muss jeder akzeptieren, der zu uns kommt. Wer unsere Gastfreundschaft missbraucht, muss gehen.

„Auch wenn es wehtut und schmerzt“

Demos für die ein oder andere Position sind bei uns erlaubt und das ist gut so. Noch besser aber ist es, miteinander zu reden. Dabei bringt es wenig, wenn man sich nur mit Gleichgesinnten an einen Tisch setzt und sich gegenseitig auf die Schultern klopft.

Auch wenn es wehtut und schmerzt, wir müssen auch mit denen reden, deren Meinung wir so ganz und gar nicht teilen. Konkret: Auch wenn wir die Positionen der AfD widerlich finden sollten, in keinster Weise teilen und nie mit ihnen zusammenarbeiten würden, heißt das nicht, dass wir sie wie Aussätzige ignorieren dürfen. Das haben zu viele zu lange versucht und sind mit dieser Strategie gescheitert. Jetzt liegt die AfD in Umfragen bei 20 Prozent. Eine Demokratie darf ihre Augen und Ohren nicht vor dem verschließen, was jeder fünfte Wähler denkt und fühlt.

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