Meike Pechstädt sucht seit zwei Jahren ihren Kater Freddy, der am 7. August 2016 in Bodelschwingh spurlos verschwand. © Peter Bandermann

Verschwundene Tiere

Vermisste Hunde und Katzen: Facebook ist die letzte Hoffnung vieler Tierbesitzer

Perserkater Moritz fiel vom Balkon und war weg. Seine Besitzerin suchte ihn wochenlang - und gründete eine Dortmunder Facebook-Seite. Auf ihr liegen Freud und Leid nahe beieinander.

Dortmund

, 14.08.2018 / Lesedauer: 7 min

So viele Kilometer wie im Sommer 2012 ist Erika Rottmann noch nie in ihrem Leben gelaufen. Sie bewegte sich zwischen Bangen und Hoffen, ging durch Höhen und Tiefen. In letztere hat sie ihr damals 14 Jahre alter Perserkater mitgerissen, als er abrutschte, vom Balkon fiel und verschwand. Eine reine Wohnungskatze, die das Leben draußen nicht kannte.

Für Erika Rottmann folgten Wochen voller Sorge, Unsicherheit und Kummer. Sie tat, was viele in ihrer Situation tun: Sie fragte beim Tierheim nach, klebte Suchplakate an Fassaden und Laternenmasten, legte Faltblätter in Arztpraxen aus, inserierte im Ortsblatt, schellte verzweifelt an Haustüren. Und sie schaute nach Möglichkeiten, ihre Suchmeldung auch auf einschlägigen Webseiten im Internet zu platzieren. „Aber es gab nichts speziell für Dortmund“, erinnert sie sich, „daraufhin ist die Idee entstanden, selbst so etwas ins Leben zu rufen.“

Suchmeldungen und Sichtungen von vermissten Tieren

Seitdem haben schon Tausende ihre vermissten Lieblinge auf die Website „Vermisste Tiere Dortmund NRW“ gestellt sowie auf der gleichnamigen Facebook-Seite gepostet. Jeder kann eine Suchmeldung abgeben oder über eine Sichtung der Ausreißer berichten. Die Nachrichten werden kommentiert und miteinander abgeglichen.

In der von Erika Rottmann ebenfalls gegründeten Facebook-Gruppe „Unvergessene Katzen/Hunde in Dortmund“ mit 230 Mitgliedern suchen Halter nach ihren Tieren, die schon länger verschwunden sind. Wochen, Monate, Jahre. Wer sein Haustier vermisst, klammert sich an die Hoffnung. „Man liebt die Tiere, man hat sie sich schließlich nicht umsonst angeschafft“, sagt Erika Rottmann.

Eine Lücke bleibt zurück

Katzen sind längst nicht mehr nur Mäusefänger und Hunde Hofhüter, sondern richtige Familienmitglieder. Sie sind Gefährte, Freund und Zuhörer, prägen den Alltag ihres Besitzers. Man muss sie füttern, pflegen, sich mit ihnen beschäftigen. Das schafft Nähe und Vertrautheit. Wenn ein Tier dann weg ist, leiden auch Herrchen und Frauchen. Zurück bleibt eine emotionale Lücke.

„Wir vermissen unseren Freddy immer noch“, hat Meike Pechstädt zuletzt Anfang August in der Facebook-Gruppe und in anderen sozialen Medien wie Instagram gepostet. Am zweiten Jahrestag nach seinem Verschwinden. Freddy ein schwarz-weißer, zierlicher Wohnungskater mit längerem Fell, ist im Sommer 2016 entlaufen. Wie Meike Pechstädt Kater Freddy gesucht hat, erklärt sie in diesem Video:

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Wohnungstür selbst geöffnet

Es war die erste Nacht nach ihrem Umzug nach Bodelschwingh in ein Mehrfamilienhaus. Freddy, der Türen öffnen kann, sprang auf die Klinke der Wohnungstür. Dass die nicht abgeschlossen war, macht sich Meike Pechstädt noch heute zum Vorwurf. Im Hausflur ließ der Mitarbeiter eines Pflegedienstes Freddy morgens nach draußen. Danach verliert sich von dem Kater jede Spur.

Auch Meike Pechstädt hat alles unternommen, um Freddy - gechippt und registriert - wiederzufinden, ist lange jeden Abend und jeden Morgen mit ihrem Mann die gesamte Umgebung nahe der A45 abgelaufen, hat an vielen Stellen Suchmeldungen platziert, ist Tierheime abgefahren, hat Nachbarn angesprochen und an jeder Tür geschellt, wo ein Keller ein Fenster hatte, und hat in den sozialen Medien nach Freddy gefahndet. Doch niemand hat Freddy gesehen.

Als würde man ein Familienmitglied verlieren

Von klein auf, sechs Jahre lang gehörte das Tier zur Familie. Freddy sei sehr anhänglich gewesen, berichtet Meike Pechstädt, „es ist genauso, als würde man ein Familienmitglied verlieren.“ Als zusätzliche Sorge quält die Lehrerin der Umstand, dass der Kater aufgrund eines genetischen Defekts Feuchtfutter und viel Wasser braucht, weil sich sonst Kristalle in seiner Blase bilden und er nicht urinieren kann.

„Ich hoffe noch immer, ihn wiederzufinden“, sagt sie auch zwei Jahre später. Möglicherweise habe eine ältere Dame, die sich nicht im Internet tummelt, Freddy aufgenommen und ahne nicht, wie schmerzlich ihn andere vermissen.

Ein dauerhafter Schmerz

Es ist ein dauerhafter Schmerz, der Meike Pechstädt begleitet. Auch Freddys Bruder Amadeus hat ihm lang nachgetrauert. Deshalb bekam er Emma, eine Katze aus dem Tierheim, an seine Seite. Heute schaut Meike Pechstädt jeden Abend vor dem Zubettgehen mehrmals nach, ob die Wohnungstür tatsächlich abgeschlossen ist.

Es kommt vor, dass neugierige Katzen in Kleintransporter oder andere Fahrzeuge springen und so unbemerkt kilometerweit transportiert werden. Andere gehen nur auf Wanderschaft, finden aber möglicherweise nicht von selbst zurück nach Hause.

Nur jede fünfte Katze wird abgeholt

Katzen entlaufen zehnmal häufiger als Hunde, teilt das Haustierregister Tasso mit, mit sechs Millionen registrierten Tieren die größte Registrierungsstelle in Deutschland. Dass Katzen häufiger wegbleiben, liegt in der Natur der Sache, denn viele von ihnen genießen Freigang. Von den 581 Fundtieren, die im vergangenen Jahr im Dortmunder Tierschutzzentrum in Dorstfeld abgegeben wurden, waren 138 Hunde, 272 Katzen und 171 Kleintiere. Während vier von fünf Hunden von ihrem Besitzer wieder abgeholt wurden, war es bei den Katzen nicht mal jede fünfte, berichtet der Leiter des Tierschutzzentrums Peter Hobrecht.

Nicht mal die Hälfte der Haustiere ist gechippt. Der reiskorngroße Mikrochip unter der Haut dient dazu, die Tiere anhand einer 15-stelligen Identifikationsnummer ihren Besitzern zuzuordnen und sie zu identifizieren. Der Tierarzt implantiert den Chip mit einer Einwegspritze. Oft sei zwar der Chip gesetzt, aber das Tier nicht in einem Haustierregister wie Tasso oder Findefix registriert, sagt Hobrecht. Das ist nämlich nicht die Aufgabe des Tierarztes, sondern das muss der Tierhalter selbst übernehmen.

Kater Strolch von Familie Renner, hier auf dem Tasso-Suchplakat, ist im Juni 2016 in Menglinghausen verschwunden und wird noch immer schmerzlich vermisst. © Renner

„Du fehlst, du wirst geliebt“

Strolch von Dr. Yvonne Renner war gechippt und registriert. Der damals fünf Jahre alte schwarz-weiße Kater mit einem kleinen schwarzen Punkt auf der Nase und einem schwarzen Kinn ist am 23. Juni 2016 in Menglinghausen verschwunden. „Du fehlst, du wirst geliebt“ schrieb Yvonne Renner vor drei Monaten in der Facebook-Gruppe.

Doch von Strolch gibt es noch immer keine Spur. „Wenn er im Sommer schon mal drei Tage unterwegs war, wurde man unruhig. Aber man trug es mit Fassung“, erzählt sie. „Doch jetzt die Ungewissheit auszuhalten, ist zermürbend. Das treibt einem auch nach Jahren schon mal die Tränen in die Augen. Wir hatten eine sehr enge Bindung an das Tier, und ich glaube, die hatte es auch an uns.“

Griff nach jedem Strohhalm

Auch Yvonne Renner, damals hochschwanger, hat das ganze Suchprogramm durchgemacht, kontaktierte Tierheime, klebte mit ihrem zweijährigen Sohn Flyer an Laternen, gab Suchmeldungen im Internet auf und landete schnell auf der Dortmunder Seite.

Das sei eine Sache, die einen so emotional packe, sagt die zweifache Mutter, dass man viel in Bewegung setze, um das Tier zu finden. „Weil man nach jedem Strohhalm greift“, versuchte sie es sogar mit der esoterisch angehauchten Tierkommunikation, eine telepathische Art der Verständigung zwischen Mensch und Tier. Vergebens.

„Man kann mit so was nicht abschließen“

Ab und an wird sie noch über die Facebook-Seite von mitfühlenden Menschen mit gut gemeinten Hinweisen zu Strolch angeschrieben. Am Gartenzaun der Renners hängt noch immer der laminierte Flyer mit Strolchis Konterfei. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er lebt. Man kann mit so was nicht abschließen, es sei denn, man wüsste, dass das Tier ein neues Zuhause hat und dort glücklich ist.“

Es gebe Menschen, die Tiere in bester Absicht aufnähmen, weil sie glaubten, dass diese niemandem gehörten, sagt Yvonne Renner. „Doch eine Katze oder ein Hund ist auch eine Fundsache, die man melden muss.“

Manchmal gibt es nur den Tod zu melden

Ist einem ein Tier zugelaufen, ist es eine Geste des Mitgefühls, erst einmal in der Nachbarschaft nachzufragen, wem es gehören könnte. Und sich beim Tierheim zu erkundigen, ob es als vermisst gemeldet ist. Dort oder beim Tierarzt kann man auch nachschauen lassen, ob das Tier gechippt und der Halter auszumachen ist.

Manchmal gibt es leider nichts mehr zu melden, außer den Tod. Aber auch der würde die Ungewissheit beenden. Erika Rottmann hat deshalb die geschlossene Facebook-Gruppe „Totfunde“ mit 662 Mitgliedern gegründet. „Hier haben viele ihre Katze wiedergefunden“, sagt sie. In dieser Gruppe findet man auch Hunde, vor allem die, die frisch aus dem Ausland gekommen und dann panisch weggelaufen sind. Oft seien sie selbst mit professioneller Hilfe nicht wieder einzufangen. Rottmann: „Viele werden von der Bahn überfahren.“ Und auch von Autos. Es sind traurige Bilder, die man in der Totfund-Gruppe sieht.

Bei Totfunden hilft auch das Chiplesegerät

Tiere, die tot auf oder an der Straße liegen, bringt das Dortmunder Entsorgungsunternehmen EDG ins Tierheim zur Kadaversammelstelle, darunter auch überfahrene Wildtiere wie Vögel, Igel und Rehe. Bei Haustieren wie Hunden und Katzen gleichen die Tierpfleger das tote Tier mit Vermisstenmeldungen ab. Außerdem prüfen sie mit dem Chiplesegerät, ob es gechippt ist, und versuchen im Fall des Falles, den Halter zu ermitteln. Der kann sein totes Tier in Empfang nehmen und begraben, oder das Tierschutzzentrum übernimmt die Entsorgung. Nur einmal im Monat, schätzt Hobrecht, lasse sich ein gechipptes totes Tier einem Halter zuordnen.

Erika Rottmann mit Moritz (20). © Rottmann

Erika Rottmann konnte ihren Kater Moritz nach rund sechs Wochen wieder in die Arme schließen. Lebend. Wo er in der Zwischenzeit war, weiß sie nicht. In Körne ging er verloren, in Kley ist er wieder aufgetaucht. Bei seinem Tierarzt.

„Das war eindeutig unser Kater“

Auch wie Moritz dorthin kam, wissen Rottmanns bis heute nicht. Der Tierarzt sagte nur so viel: Moritz sei von jemandem abgegeben worden, der ihn in seinem Keller gefunden habe. Der Tierarzt wiederum habe den mächtigen Perserkater von den Flyern wiedererkannt.

„Die Tierärzte in der Praxis waren sich einig, dass er mit diesen Pfoten nicht den ganzen Weg von Körne bis Kley gelaufen sein kann“, berichtet Erika Rottmann. „Da er anfangs sehr lichtempfindlich war, muss er sich wohl in dunklen Räumen aufgehalten haben. Moritz hatte anfangs motorische Störungen, war sehr verstört, hat aber uns und alles in seinem Zuhause sofort wiedererkannt. Und so, wie er die Lippe hochzog, war es eindeutig unser Kater.“

Katzensuche ist Fleißarbeit

Das Wichtige bei der Katzensuche, das weiß Erika Rottmann aus eigener Erfahrung, ist die Mobilmachung. Katzensuche ist Fleißarbeit. „Es bringt wirklich was, wenn man immer wieder Flyer aushängt und die Suchmeldung immer wieder postet.“

Auch die Dortmunder Tierschutzorganisation „Arche90“ verweise regelmäßig auf die Facebook-Seite, auf der sich jeden Tag kleine Dramen abspielen. Ginger aus Kirchlinde ist seit sieben Jahren verschwunden, und auf Yuna aus Dorstfeld wartet man seit einem Jahr. Im Gegensatz zu den beiden Katzen fand der Ausflug ihrer Artgenossin Diva nach wenigen Tagen ein Happy End.

Das Happy End markiert ein rotes Herz

Wie viele Tiere über diesen Weg wieder mit ihren Haltern zusammengeführt wurden, hat Erika Rottmann nicht gezählt. „Es waren unzählige“, sagt sie. Bei einem glücklichen Ende ist die Freude riesig. Sofern die Halter die Wiedervereinigung der Seitengründerin mitteilen, endet eine erfolgreiche Suchmeldung mit einem Update: „wieder zuhause“. Hinter dem Schlusspunkt stehen rote Herzchen.

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