Im Winter bekommt Kira Badziung regelmäßig Herzrasen. Immer dann, wenn eine neue Nachricht in der Kita-App auftaucht. „Noch bevor ich die Nachricht gelesen habe, macht sich Panik breit“, sagt sie. Die 36-jährige Mutter absolviert gerade eine schulische Umschulung zur Ergotherapeutin: „Da bin ich an feste Unterrichtszeiten gebunden.“
Ihre beiden 3 und 5 Jahre alten Kinder besuchen die Evangelische Kita in Rahm an der Willstätter Straße. Selbst wenn keine Gruppe geschlossen wird, aber die Öffnungszeiten wegen Personalmangels gekürzt werden, bringt sie das in höchste Nöte: Wenn sie zu viele Fehlzeiten hat, erhält sie keine Zulassung zum Examen.
„Wir sehen tagtäglich, wie sehr die teils eingeschränkten Betreuungsangebote unsere Kinder und Familien belasten.“ So hatte es der Verantwortliche beim Träger, Christoph Müller vom Evangelischen Kirchenkreis Dortmund, Anfang November, in einem internen Schreiben an Eltern und Mitarbeiter formuliert: „Die Notbetreuung, die wir zurzeit leider vermehrt anbieten müssen, ist ein trauriges Resultat aus Überlastung, Erschöpfung und fehlender Finanzkraft.“
Es gebe abgestimmte Notfallkonzepte, die gesetzlich vorgegeben seien, erläutert Müller. Wenn sich morgens mehrere Mitarbeiter krank meldeten, könne man leider auch erst dann reagieren: „Dabei werden die gesetzlichen Vorgaben zu Aufsichtspflicht und Gruppensettings und aber auch die Zumutbarkeit bei Mitarbeitenden abgewogen.“

Längst nicht nur in der Evangelischen Kita in Rahm, mit der Kira Badziung immer wieder aufgrund gekürzter Öffnungszeiten hadert, gibt es Probleme.
Ein Beispiel: Zwei Kinder der besorgten Mutter, die ihren Namen aus Angst vor Ärger in der Kita nicht lesen möchte, besuchen die DRK-Kita Spatzennest in Lütgendortmund. Noch immer kann sie nicht fassen, was ihr die Kita da auf einem Zettel ankündigte: Künftig werde man im Falle einer Notbetreuung wegen Personalmangels vom „rotierenden Betreuungsplan“ Gebrauch machen.
Das heißt: Jedes Kind erhält eine Nummer, Geschwisterkinder bekommen dieselbe Nummer. Und dann soll im Falle von Personalengpässen entschieden werden, Kinder mit welchen Nummern an einem bestimmten Tag in die Kita kommen dürfen, und wer zu Hause bleiben muss. „Diese Ankündigung stand auf einem Zettel, der uns wortlos überreicht wurde, ohne Vorwarnung.“
Gudrun Entrup aus der Fachbereichsleitung der DRK Kindertageseinrichtungen räumt ein, dass es seit Oktober immer wieder einen „eingeschränkten Betreuungsbetrieb im „Spatzennest“ gegeben habe. „Insgesamt waren dies zwei Wochen, auf einzelne Tage verteilt“, so Entrup.
Die Information über das „rotierende Verfahren“, das man mit dem Elternbeirat abgesprochen habe, habe man sowohl auf der Kita-App als auch mit einem Aushang in der Kita bekannt gemacht. Zusätzlich habe man eine entsprechende Info persönlich an die Eltern verteilt, um sicherzustellen, dass alle informiert wurden.
Man nehme, sagt Gudrun Entrup, die Kritik der Eltern sehr ernst und arbeite an einer Verbesserung der Betreuungssituation. Dazu befinde man sich im Austausch mit dem DRK-Spitzenverband, dem städtischen und dem Landes-Jugendamt und auch mit anderen Trägern, denn: „Die Gesamtproblematik ist nicht hausintern gelagert“.
Kira Badziung und die verängstigte Mutter aus Lütgendortmund sind nicht alleine mit ihrem Frust, ihrem Ärger und ihrer Ratlosigkeit über eine unzuverlässige, kaum kalkulierbare Betreuung ihrer Kinder. Unsere große Umfrage zur Kita-Situation in Dortmund, an der sich 475 Menschen beteiligt haben, ist zwar nicht repräsentativ, dennoch zeichnet sie ein eindeutiges Bild. Hier die fünf wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
1. Gruppenschließungen:
Lediglich 24 Prozent der Befragten geben an, dass in ihrer Kita im vergangenen Jahr 2024 an keinem einzigen Tag eine Gruppe geschlossen wurde. Auf der anderen Seite berichten allerdings 23 Prozent, dass an mehr als drei Tagen, und 34 Prozent, dass sogar an mehr als zehn Tagen eine Gruppe wegen Personalmangels geschlossen war.
2. Kita-Schließungen :
Dass eine Kindertagesstätte wegen fehlenden Personals komplett schließen musste, ist eher die Ausnahme, im vergangenen Jahr allerdings durchaus vorgekommen. 14 Prozent sagen ein- oder zweimal, 8 Prozent sagen mehr als dreimal und 6 Prozent berichteten sogar von mehr als zehn Kita-Schließungstagen im Jahr.
3. Zufriedenheit mit der Notbetreuung
Die Zufriedenheit mit der Notbetreuung ist eher durchwachsen. Während insgesamt etwas mehr als 50 Prozent mit der Notbetreuung „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ sind, sind etwas weniger als die Hälfte „weniger zufrieden“ oder „unzufrieden“ mit der Notbetreuung.
4. Arbeitsausfall für die Eltern
Rund zwei Drittel aller Eltern mussten im vergangenen Jahr ihrem Chef sagen, dass sie nicht arbeiten könnten, weil die Betreuung ihrer Kinder in der Kita nicht gewährleistet war: 25 Prozent sagen, das sei an bis zu drei Tagen vorgekommen, 18 Prozent sprechen von bis zu zehn Tagen und 20 Prozent geben sogar an, dass das an mehr als zehn Tagen im Jahr der Fall gewesen sei. Das heißt: Jedes fünfte Elternteil konnte an mehr als zehn Tagen nicht arbeiten, weil die Betreuung in der Kita nicht sichergestellt war.
5. Ärger mit dem Arbeitgeber?
Offenbar gibt es noch eine ganze Reihe von verständnisvollen Chefinnen und Chefs in Dortmund, denn knapp 58 Prozent der Umfrage-Teilnehmer geben an, dass der Arbeitgeber „sehr verständnisvoll“ oder „verständnisvoll“ reagiert habe, wenn sich ein Vater oder eine Mutter vom Dienst abmelden musste, um ein Kind zu betreuen. Allerdings waren auch gut 42 Prozent „leicht oder sehr verärgert“, wenn jemand aus diesem Grund ausfiel.
Was ist da wirklich los in Dortmunds Kitas? Wie belastend ist die Situation für die Eltern wirklich? Wie gestaltet sich ihr Alltag? Und wie ist eigentlich die Lage in den Kitas? Warum werden in einigen Kitas Gruppen oft geschlossen, in andern gar nicht? Wo liegen die Ursachen? Wer ist verantwortlich? Und wie stellt sich die Situation insgesamt in Dortmund dar? Ist Besserung in Sicht? Ist der Kita-Besuch in Dortmund im Vergleich zu anderen Städten eigentlich besonders teuer oder günstig? Bekomme ich mein Geld zurück, wenn mein Kind nicht in die Kita darf?
All diesen Fragen wollen wir in unserer Serie „Der große Kita-Check“ nachgehen. Vorab müssen wir allerdings zwei Dinge klarstellen.
Erstens: Viele Eltern haben uns auch von großartigen Erzieherinnen und Erziehern berichtet, die sich - und der Ausdruck fiel häufiger - „ein Bein ausreißen“, um die bestmögliche Betreuung zu gewährleisten. Das darf nicht unter den Tisch fallen.
Zweitens: In unseren Gesprächen mit den verschiedenen Trägern konnten wir den Eindruck gewinnen, dass den Verantwortlichen die Probleme in den Kitas alles andere als egal sind. Der Geschäftsführer eines großen Kita-Trägers versicherte uns: „Uns allen ist bewusst, was das für die Eltern bedeutet. Wir wissen, worum es geht, wir wissen, worum es bei den Familien geht, wir wissen, was das für Kinder heißt, wenn sie keine verlässliche Betreuung haben.“
Alle Aspekte wollen wir intensiv beleuchten und haben daher folgende Themen geplant:
Dortmunds Kitas im Überblick: Zahlen und Fakten
Vom Leiden der Eltern
Reportage aus der Notbetreuung
Finanzierung als Ursache allen Übels
Sind Dortmunds Kita-Gebühren zu hoch?
Warum bekomme ich kein Geld zurück, wenn mein Kind nicht in die Kita darf?
Zwei Kita-Welten, wie es andernorts besser läuft
Warum haben manche Träger Personalmangel, andere nicht?
Die Mitschuld der Eltern an der Kita-Misere
Wie ein Wirtschaftsunternehmen mit Kitas Gewinne macht
Warum Kitas für die Wirtschaft so wichtig sind
Kommentar: Was muss sich zum Besseren ändern?
Welche Kita-Erfahrungen haben Sie gemacht?
Sie erreichen uns ganz einfach per WhatsApp unter der 0160 331 390 3 oder per Mail unter leserreporter@ruhrnachrichten.de, wenn Sie uns Ihre Ansicht zum Thema des Artikels, Ihre Erfahrungen mit Kitas in Dortmund oder Anregungen zur Serie zukommen lassen möchten.