Schnelles Wachstum auf Kosten der Mitarbeiter? In einem anonymen Brief an die Geschäftsleitung klagen Mitarbeiter des Lieferdienstes „Flaschenpost“ über die Arbeitsbedingungen.

Dortmund

, 28.07.2019, 14:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die weiß-grün-pinken Transporter des Getränkelieferservices Flaschenpost rollen seit dem 25. April durch Dortmund. Online bestellt – und spätestens nach zwei Stunden soll der Mitarbeiter mit den Getränken vor der Tür stehen, so das Versprechen. In Dortmund komme der Service so gut an, dass man allein in der Eröffnungswoche 1000 Bestellungen ausgeliefert habe, teilte das Unternehmen damals mit. Um die ganze Stadt beliefern zu können, wurde im Dortmunder Hafen ein Getränkelager eingerichtet. Bislang 50 Lieferfahrzeuge bringen die Bestellungen zum Kunden. Aktuell werden weitere Auslieferungsfahrer gesucht.

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Doch Mitarbeiter, die bereits für das 2016 in Münster gegründete und auch in anderen Städten vertretene Start-Up tätig sind, haben jetzt eine Überlastungsanzeige an die Geschäftsführung geschickt, die es an Vorwürfen in sich hat. Anonym, weil geäußerte Kritik in der Vergangenheit mit vorübergehender Arbeitsfreistellung und sogar fristloser Kündigung quittiert worden sei, so die Verfasser. Das Schreiben liegt dieser Redaktion vor.

Geschäftsleitung weist Vorwürfe zurück

Auf sechs eng bedruckten Seiten klagen die Verfasser über Missstände wie Lieferfahrzeuge ohne Klimaanlage, kalte Lager im Winter, zu kurze Pausenzeiten, unbezahlte Überstunden, Selbstkostenbeteiligung bei Autounfällen, schmutzige Toiletten und frustrierte Kunden. Auf Nachfrage weist die Geschäftsleitung die meisten Vorwürfe zurück.

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Der expandierende Lieferdienst wirbt mit schnellem Service bis in den 5. Stock und Supermarktpreisen. Für die Mitarbeiter schwere körperliche Arbeit, bei der man auch ohne schweißtreibende Temperaturen ins Schwitzen kommt. Trotzdem habe die Geschäftsleitung im vergangenen Hitzesommer mit Rekordtemperaturen in den Lieferwagen, die eine Klimaanlage haben, diese abklemmen lassen. Der „Spiegel“ hatte Anfang des Jahres darüber berichtet. Angeblich, so lautete damals die Erklärung der Chefetage, um Erkältungen bei den Mitarbeitern vorzubeugen. Diese allerdings vermuteten dahinter Maßnahmen zur Kosteneinsparung.

Selbstkostenbeteiligung der Fahrer bei Unfällen

Inzwischen funktionieren die Klimaanlagen zwar wieder, aber in der Fahrzeugflotte gibt es weiterhin Lieferautos ohne Klimaanlage, räumt das Unternehmen auf Nachfrage dieser Redaktion ein. Hierbei handele es sich um die Fahrzeuge der ersten Generation, die nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kämen. „Wir achten bei allen Fahrzeugneubestellungen explizit auf eine bestmögliche Ausstattung inklusive Klimaanlage“, so die Stellungnahme. Das Gros der Auslieferungsfahrzeuge sei mit einer Klimaanlage ausgestattet.

Die dem Kunden zugesagten 120 Minuten Lieferzeit seien unter Spitzenbestellzeiten nicht oder nur unter größtem Stress für die Fahrer realisierbar, heißt es in der Überlastungsanzeige. Der Druck sei verbunden mit einer erhöhten Unfallgefahr. Doch bei unbeabsichtigt verursachten Unfällen mit den Transportern würden den Fahrern – sie erhalten laut dem Schreiben in der Regel etwas mehr als den gesetzlichen Mindestlohn – die Selbstkostenbeteiligung der Versicherung vom „hart erarbeiteten und ohnehin schon sehr geringen Monatslohn“ abgezogen. Das dürfe „in dieser Weise wohl eine Flaschenpost-Eigenhandhabung sein“.

Monatslohn und Pausenzeiten

Dazu sagt Flaschenpost: „In Fällen von fahrlässigem Handeln kann dem Unfallverursacher eine Selbstbeteiligung in Höhe von bis zu 200 Euro in Rechnung gestellt werden.“ Der vom Fahrer getragene Anteil mache aber nur einen Bruchteil der Gesamtkosten für Unfälle und Reparaturen aus.

Überstunden würden immer wieder nicht vergütet, und erst seit ein paar Monaten werde bei einer Acht-Stunden-Schicht eine 15-minütige Pause gewährt, kritisieren die anonymen Verfasser. Das Unternehmen hält dagegen: Überstunden würden voll vergütet und direkt mit der Lohnabrechnung des jeweiligen Monats ausgezahlt. Zudem würden alle Mitarbeiter instruiert und angehalten, wie gesetzlich vorgeschrieben, ab einer Schichtlänge von sechs Stunden eine 30-minütige Pause zu nehmen oder wahlweise zweimal mindestens 15 Minuten.

Zu der Überlastungsanzeige selbst wollte Flaschenpost keine Stellungnahme abgeben, da es ohne Absender schwer sei, „die einzelnen Punkte konkret zu prüfen und nachzuvollziehen, ob die Anschuldigungen in diesen Einzelfällen zu Recht oder zu Unrecht erfolgen.“

Toiletten werden täglich gereinigt

Zur Kritik, die Sanitäranlagen seien an mehreren Standorten in „einem mehr als ekelhaften Zustand“ und seit Monaten ohne Handseife, sagt Flaschenpost, dieser Vorwurf sei „nachweislich unbegründet“. Eine professionelle Putzfirma reinige täglich alle Räumlichkeiten von Flaschenpost in Dortmund inklusive der Mitarbeitertoiletten. Die Putzkräfte seien ihrer Verpflichtung seit Vertragsunterzeichnung „zu jeder Zeit und ohne Beanstandung nachgekommen.“ Zu jeder Zeit stünden auch Handseife, Papierhandtücher und Desinfektionsmittel zu Verfügung.

Zudem könne es im Lager gar nicht zur Engpässen in der Versorgung kommen; denn Hygieneartikel wie Seife, Klopapier und Putzmittel verkauft Flaschenpost auch in seinem Online-Shop.

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