Abschied von einem Prinzen Erinnerungen an den Dortmunder Karnevalisten Dirk Mertins

Erinnerungen an den Dortmunder Karnevalisten Dirk Mertins
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Es gibt da dieses Foto. Dirk Mertins steht auf dem Festwagen des Närrischen Rates, auf dem Kopf die Kommiteemütze des Festausschusses Dortmunder Karneval. Mertins wirft Kamellen in die Menge und ruft enthusiastisch nach unten in die Kamera, aus der das Foto stammt. Das Bild, aufgenommen an Rosenmontag 2024, zeigt nicht nur, wie Dirk Mertins aussah, es gibt auch Aufschluss darüber, wie er war. Immer begeistert für das, was er tat.

Der Rosenmontagsumzug 2024 war sein letzter. Am 7. November 2024 starb Dirk Mertins vollkommen unerwartet. Vier Tage später begann die Session 2025, die für Mertins‘ Angehörige war wie keine zuvor. Traurig. Das erzählen sie an einem Freitagabend im Februar, zwei Wochen vor Rosenmontag.

Rosenmontag 2024 in Dortmund: Dirk Mertins fährt auf dem Festwagen der Närrischen Rates ehemaliger Prinzen und Freunde.
Dirk Mertins auf dem Rosenmontagsumzug im Jahr 2024: Als Mitglied des Närrischen Rates ehemaliger Prinzen und Freunde fuhr er auf dessen Festwagen mit. © Schütze

Wir treffen uns bei Familie Mertins zu Hause in Alt-Scharnhorst. Auf dem Küchentisch stehen Platten mit Schnittchen, Schüsseln mit Keksen und Schokolade. Die Szene erinnert an einen Leichenschmaus, denn um die Tafel sind Menschen versammelt, die Dirk Mertins‘ gedenken – seine Frau Birgit, sein Freund Thomas Rekel, Eva Behrends, die 2013 als Eva I. mit Dirk Mertins das Dortmunder Prinzenpaar stellte, und Udo Fricke, Vorsitzender des Närrischen Rates.

„Die Session war schwer“, sagt Birgit Mertins. „Immer, wenn ich auf einer Veranstaltung war, kam alles wieder hoch. Ich haue dann ab und stelle mich dorthin, wo mich keiner sieht.“ Deshalb habe sie zunächst nicht mitkommen wollen zu den Sitzungen, erzählt Birgit Mertins. Ihre Freunde aber hätten das nicht zugelassen. „Schon zwei Tage nach der Beerdigung hat das Telefon geklingelt und sie haben mir gesagt: ‚Wir holen dich ab. Das Leben geht weiter.‘“

Auf dem Foto zu sehen sind (v.l.) Udo Fricke, Vorsitzender des Närrischen Rates, Birgit Mertins, die Witwe des Verstorbenen, Freund und Mitkarnevalist Thomas Rekel sowie Mertins' einstige Karnevalsprinzessin Eva Behrends.
Um über das Leben von Dirk Mertins zu sprechen, trafen sich im Februar 2025 (v.l.) Udo Fricke, Vorsitzender des Närrischen Rates, Ehefrau Birgit Mertins, Freund und Karnevalist Thomas Rekel sowie Mertins' einstige Karnevalsprinzessin, Eva Behrends. © Schütze

Also ging sie mit. Erinnerungen an die Veranstaltungen der Session 2025 hängen an der Türklinke, Plaketten an langen Bändern. Wenn jemand durch die Küchentür tritt, klimpern sie leise gegeneinander wie ein melancholisches Windspiel. „Dirk hätte nicht gewollt, dass du dich verkriechst“, meint Eva Behrends und die Anwesenden am Tisch brummen zustimmend.

Karnevalisten seit 2006

Die 57-Jährige kennt das Ehepaar Mertins aus dem Karnevalsverein Grün-Gold Scharnhorst. 2006 traten Dirk und Birgit ein. Drei Jahre waren die beiden damals zusammen, kurz zuvor war Birgit zu Dirk in das alte Bergmannshaus gezogen. „Wir wollten vor allem neue Leute kennenlernen.“ Dass sie dafür dem ortsansässigen Karnevalsverein beitraten, war kein Zufall: Ihr Freund und Nachbar Bodo Mattew war damals Karnevalsprinz Bodo I.

Mit dem Karneval hielt Dirk Mertins es wie mit allem im Leben: Er zeigte vollen Einsatz, verpasste nie eine Sitzung und dachte sich die kuriosesten Verkleidungen aus. Er ging als Pharao, als Fee, als Koch aus dem Trickfilm „Rattatouille“. „Die Mütze hatte er sich vorher im Disneyland gekauft“, erzählt Birgit Mertins. Dann, ein paar Jahre später, war für Mertins vor allem ein Kostüm interessant – das Ornament des Karnevalsprinzen. „Irgendwann hat er zu mir gesagt: ‚Weißt du was? Ich will Prinz werden.‘“, erzählt Birgit Mertins.

Dirk Mertins als Prinz Dirk II. und Eva Behrends als Prinzessin Eva I. 2013 stellten sie das Prinzenpaar des Dortmunder Karneval.
In der Karnevalssession 2013 wurde Dirk Mertins (links) zu seiner Tollität Prinz Dirk II. gekrönt. An seiner Seite: ihre Lieblichkeit Prinzessin Eva I. Auch Jahre später waren Mertins und Eva Behrends gut befreundet. © Schütze

Sein Traum erfüllte sich 2013: An der Seite von Prinzessin Eva I. wurde Dirk Mertins am 11. November als Prinz Dirk II. proklamiert. Eva Behrends erinnert sich an den Abend: „Jeder von uns hatte eine Rede vorbereitet, die Zettel hatten wir dabei. Im Hotelzimmer, wo wir uns fertiggemacht haben, hat Dirk mich dann gefragt: ‚Und, kannst du deine Rede auswendig?‘ ‚Den ersten Satz‘, habe ich gesagt. Und er: ‚Ich kann meine auch nicht.‘ Dann haben wir das Papier zusammengeknüllt, in die Tonne geschmissen und auf der Bühne frei geredet. Als die Fanfaren anfingen zu spielen, war die Aufregung weg.“

Als Prinz im Speziellen und als Narr im Allgemeinen sei Dirk Mertins wie geschaffen gewesen. „Er hat es gelebt“, sagt seine Frau. Auch später, nach seiner Regentschaft. „Normalerweise ist es unsere Aufgabe, Kontakt zu den ehemaligen Prinzen aufzunehmen und sie in den Närrischen Rat zu holen“, erklärt Udo Fricke. „Bei Dirk war es umgekehrt.“

2017 verkleideten Birgit Mertins und ihr Ehemann Dirk sich zum Dämmerschoppen bei der Karnevalsgesellschaft Grün-Gold Scharnhorst als Pharaonen.
Karnevalisten durch und durch: 2017 verkleideten Birgit Mertins und ihr Ehemann Dirk sich zum Dämmerschoppen bei der Karnevalsgesellschaft Grün-Gold Scharnhorst als Pharaonen. © Schaper

Er wurde Vorstandsmitglied, verwaltete die Finanzen des Vereins. Im Festausschuss engagierte Mertins sich zudem als Prinzenführer, unterstützte die Karnevalsjugend und brachte sich für seinen Heimatverein Grün-Gold Scharnhorst ein. „Er hatte die nötige Ernsthaftigkeit, aber immer auch einen flotten Spruch auf den Lippen. Das hat die ganze Sache aufgelockert“, sagt Udo Fricke. Und Thomas Rekel ergänzt: „Es gibt Menschen, die mit der Masse gehen, und es gibt Typen, die hervorstechen. Dirk war ein Typ. Das ist so und das fehlt.“

Die Gartenlaube – Erinnerungen an ein Leben

Draußen in der Gartenhütte bewahrte Dirk Mertins seine Erinnerungen an vergangene Sessionen auf. Plaketten und Orden hängen zu Dutzenden an den holzvertäfelten Wänden neben Fotos von Dirk Mertins und Eva Behrends als Prinzenpaar. Ihre Gesichter zieren auch die Biertulpen über der Bar.

Und dann sind da noch die anderen Andenken. Die, die nichts mit Karneval zu tun haben, ein Flaschenöffner von Harley-Davidson zum Beispiel. 2020 machte Mertins seinen Motorrad-Führerschein und trat dem Club „Westfalen-Mitte Chapter“ bei. Sonntags gab es immer eine Ausfahrt – oder Fußball, denn Mertins hatte eine Dauerkarte fürs Westfalenstadion. Über einem BVB-Schal sind Urkunden an die Wand gepinnt, vom Nürburgring-Lauf, vom Angelsportverein Alt-Scharnhorst. 1987 belegte der Junge aus Dortmund, damals 15 Jahre alt, den dritten Platz im Königsangeln.

In der Gartenlaube der Familie Mertins sind zahllose Erinnerungen an den Dortmunder Karneval zu finden, zum Beispiel diese Plaketten.
Erinnerungen an vergangene Sessionen: Die Gartenlaube der Familie Mertins ist voll davon. An den Wänden hängen zum Beispiel diese Plaketten sowie Fotos und ein paar Clownsnasen. © Schütze

Die Andenken in der Gartenlaube und die Erinnerungen seiner Angehörigen zeichnen Dirk Mertins als einen Tausendsassa. Immer unterwegs. Das galt auch für seinen Beruf. Der gelernte Chemikant heuerte zuletzt bei Seitz an, einer Firma für chemische Textilreinigung, und wurde dort vor allem im Ausland eingesetzt. Indien, Vietnam, Dubai, die Vereinigten Staaten.

Obwohl Mertins‘ Zeit stets so knapp bemessen schien, blieb doch immer genug davon übrig für die Menschen in seinem Leben. „Er war immer für alle da, auch für mich. Egal, was war“, sagt Birgit Mertins. „Ich kam nach Hause und musste mich um nichts mehr sorgen. Meine Freundinnen haben immer gesagt: ‚So einen Mann will ich auch haben.‘“

Dirk Mertins war nicht nur Karnevalist, er angelte auch, war Mitglied im Motorrad-Club und nahm beim Nürburgring-Lauf teil. Hier zu sehen sind die zahlreichen Urkunden und Erinnerungsstücke.
Das, was er tat, machte er mit vollem Einsatz: Dirk Mertins war nicht nur Karnevalist, er angelte auch, war Mitglied im Motorrad-Club und nahm beim Nürburgring-Lauf teil. Hier zu sehen sind die zahlreichen Urkunden und Erinnerungsstücke. © Schütze

Birgit Mertins sah ihren Mann zum letzten Mal am Morgen des 6. November. „Wir standen im Flur. Dirk hatte einen Anzug an und das Sakko zugeknöpft.“ Das Jackett habe nicht gepasst, denn ihr Mann hatte zugenommen. „Also habe ich ihm gesagt: ‚So kannst du nicht gehen. Mach die Jacke auf oder zieh einen anderen Anzug an.‘“ Dirk Mertins gehorchte mit einem Lächeln und öffnete das Sakko. „Dann haben wir uns verabschiedet, sind gemeinsam hinausgegangen, ich bin zur Arbeit, er nach Frankfurt.“

Dort war er auf Dienstreise. „Er hat mich noch angerufen, gesagt, dass er sich nicht wohlfühlt.“ Dann nichts mehr. Noch in derselben Nacht starb Dirk Mertins im Alter von 52 Jahren. Woran, wurde nicht geklärt. „Das konnte ich nicht über mich bringen“, sagt Birgit Mertins. Sie habe sich so an Dirk erinnern wollen, wie er war – ein liebevoller Ehemann, ein treuer Freund, ein lebenslustiger Mann.

Dirk Mertins
Dirk Mertins sei ein Genussmensch gewesen, sagen Familie und Freunde über ihn. So hatte er etwa eine Schwäche für kubanische Zigarren und Whiskey. © privat