Mit 19 war sie Deutschlands erste Gerüstbaumeisterin Heute ist Nadine Bönninger (36) Chefin

Nadine Bönninger (36): Unternehmerfrau des Jahres und Mutter
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Gerüstbau ist genauso wie er sich anhört: schmuckloses Auf- und Abbauen von Stangen, Brettern und Diagonalen. Ein Gerüst muss vor allem stehen - fertig! Mit dieser Vorstellung werden viele in das diesem Klischee voll entsprechende, ganz schlicht eingerichtete Büro von Nadine Bönninger gehen - und mit einigem Respekt vor der Arbeit der Gerüstbauer wieder herauskommen.

„Gerüstbau“, sagt die 36-jährige Brackelerin, die gerade deutsche Unternehmerfrau im Handwerk 2024 wurde, „ist jeden Tag eine neue Herausforderung. Jedes Gebäude, jede Aufgabe ist anders. Oft gibt es spezielle Aufträge: etwa für die Wartung des Florianturms, für Arbeiten unter großen Brücken oder für den Aufbau von Tribünen zur Fußball-Europameisterschaft auf dem Friedensplatz. Spektakulär war für uns auch die Einrüstung des Hochhauses an der Kielstraße, das dann Stockwerk für Stockwerk abgerissen wurde. Also langweilig wird es in unserem Beruf nicht.“

Ja klar, so mag man denken, als Chefin einer Gerüstbaufirma muss sie so reden und für ihr Handwerk werben. Aber: erstens macht man das bei Bönninger ganz anders und schreibt an den Baustellen auf große Transparente etwa Slogans wie „Planlos und erfolglos? - dann komm zu uns“. Und zweitens lebt Nadine Bönninger für den Gerüstbau. Sie hat das Handwerk von der Pike auf gelernt, war mit 19 Jahren die jüngste und erste Gerüstbauermeisterin Deutschlands - und ist bis heute immer noch die jüngste geblieben.

Über 200 Beschäftigte

Ihr Vater Andreas (64) gründete den Familienbetrieb, der am Graffweg 42a in Brackel über 200 Menschen beschäftigt, im Jahr 1988 - kurz nach ihrer Geburt. Wie sehr ihr damit der Gerüstbauerberuf quasi schon in die Wiege gelegt wurde, zeigt ein Foto. Quietschfidel ist sie da als Fünfjährige auf einem Baugerüst zu sehen.

Nadine Bönninger auf dem Fahrersitz eines 26-Tonners der Firma Bönninger in Dortmund.
Als Chefin ist Nadine Bönninger auch „Mädchen für alles“, wie sie selbst sagt. Sie fährt auch die LKW der Gerüstbaufirma in Brackel. © Stephan Schütze

„Ich bin in dem Betrieb aufgewachsen, hab schon als Kind den Platz mit aufgeräumt. Und statt meiner Mama Carmen, die zusammen mit meinem Vater den Betrieb aufgebaut hat, im Büro zu helfen, bin ich lieber mit Papa zum Ausmessen und auch zum Aufbauen auf die Baustellen gefahren“, sagt Nadine Bönninger.

Vergeblich versuchten ihre Eltern ihr auszureden, den Gerüstbau zu ihrem Beruf zu machen. „Sie haben gesagt: mach’s nicht, weil du dann, um dich zu behaupten, viel mehr leisten musst als Männer“, erzählt sie. „Aber“, sagt Vater Andreas, „sie war nicht umzustimmen. Sie ist handwerklich begabt und hat Durchsetzungsvermögen. Beides brauchte sie als Frau auch, sonst hätte sie sich in der Männerdomäne nicht so durchsetzen können.“

Nadine Bönninger als Kind auf einem Baugerüst in Dortmund.
Nadine Bönninger als Kind: Schon als Fünfjährige sprang sie wie selbstverständlich auf Gerüsten herum. © privat

Sie machte also im elterlichen Betrieb ihre Ausbildung. Da war es auch relativ easy. Sie kannte alles und die Mitarbeiter kannten sie. An der Berufsschule aber war es einzige Frau unter lauter Männern sehr hart. Da musste sie anfangs so manchen dummen Spruch wie „Was will denn das Mädchen hier?“ kontern. „Weil ich nicht auf den Mund gefallen bin, hat das auch geklappt und irgendwann hatte sich das Thema erledigt“, sagt Nadine Bönninger. Danach hätte sie es sich dann wie andere Töchter von Chefs in der Branche einfach machen und ins Büro gehen können, um den Betrieb zu leiten. Den Job aber hat sich, wenn man es flapsig formulieren will, schon ihr Bruder geschnappt.

Klassischer Rollentausch

„Wir haben bei uns den klassischen Rollentausch“, sagt die Geschäftsführerin. Der bahnte sich schon in der Kindheit an. Sie hat genauso wie ihr Bruder Christian mit Autos und nicht mit Puppen gespielt und war dann aber immer lieber bei und auf den Gerüsten, während Christian in der Regel bei Mutter Carmen im Büro mit half. „Er ist der absolute Kaufmann“, sagt sie. Und ihr Bruder sagt seinerseits: „Ja, es war immer klar, dass sie aufs Gerüst geht. Mich hat das Kaufmännische interessiert. Da habe ich auch zuerst meine Ausbildung gemacht, bin danach zwar auch noch Gerüstbauermeister geworden, arbeite heute aber ausschließlich im Büro.“

Familienfoto auf dem Firmengelände von Gerüstbau Bönninger in Dortmund (v.l.): Christian, Carmen, Andreas und Nadine Bönninger.
Nadine Bönninger führt heute mit ihrem Bruder Christian (l.) den Familienbetrieb, den ihr Vater Andreas und Mutter Carmen in Brackel aufgebaut haben. © Stephan Schütze

Schwester Nadine dagegen mischt draußen in der Männerdomäne mit. Sie muss mit anpacken. „Natürlich“, sagt sie, „hat man als Frau weniger Kraft. Ansonsten aber arbeitet man in dem Job ganz normal wie Männer auch - oft nur viel besonnener.“ Und sie hat alle Lkw-Führerscheine, fährt sogar große 40-Tonner. „Wenn irgendwo zusätzliches Material benötigt wird, bringe ich es hin. Als Chefin ist man Mädchen für alles.“

Nadine Bönninger in Dortmund auf einem Gerüst.
Auf Gerüsten fühlt sich Nadine Bönninger einfach wohl. „Unsere Arbeit wird nie ein Computer ersetzen“, sagt sie. © Stephan Schütze

Apropos Mädchen: Zwei Töchter im Alter von 12 und 14 Jahren hat die alleinerziehende Mutter zu Hause in Neuasseln. „Wir sind ein reiner Frauen-Haushalt. Nur unser Hund Niño, eine Deutsche Dogge, ist männlich. Meine Mädels müssen natürlich mitziehen, damit ich alles unter einen Hut bekomme. Aber das klappt. Sie kommen nach der Schule, die ganz in der Nähe ist, zur Firma und zu Opa und Oma, die wie mein Bruder direkt auf dem Betriebsgelände wohnen. Sie wachsen hier quasi so auf wie ich. Und bei der Kleinen ist es schon so: wenn irgendwo ein Gerüst ist, ist sie die Erste, die oben ist“, so Nadine Bönninger.

Motorrad statt Pferd

Ihr größtes Hobby, das Reiten, hat sie vor drei Jahren aufgegeben. „Bis dahin war ich seit meinem neunten Lebensjahr jeden Tag am Stall bei meinen Pferden. Das geht heute zeitlich einfach nicht mehr, aber den Reitsport habe ich geliebt“, sagt sie. Inzwischen hat sie ihr Motorrad wieder flott gemacht und ist froh, dass sie sich als Jugendliche nach einer kurzen Zeit des Überlegens, ob sie wirklich Gerüstbauerin oder Reitsportlehrerin werden möchte, für den Gerüstbau und die elterliche Firma entschieden hat: „Man lebt das hier einfach.“

Nadine Bönninger telefoniert auf dem Firmengelände von Gerüstbau Bönninger in Dortmund.
Bei ihr laufen die Fäden im Betrieb zusammen: Nadine Bönninger ist als Chefin viel gefragt, gleichzeitig ist sie aber auch Mutter von zwei Töchtern. © Stephan Schütze

Geht man mit ihr über das Firmengelände, dann spricht sie jeden, der da gerade arbeitet mit Namen an - egal ob es Platzmeister Waldemar Schulthais oder Dominic Lange beim Gabelstaplerfahren ist, der nach einem Schlüssel für einen Lkw fragt. „Ja“, sagt Nadine Bönninger, „auch wenn wir in der Spitze 200 gewerbliche Mitarbeiter und neben meinen Eltern noch 22 Beschäftigte in der Verwaltung haben, kenne ich jeden persönlich. Ich bin zwar nicht mehr morgens um sieben Uhr mit draußen, aber weil ich die Lohnbuchhaltung mache, kenne ich trotzdem alle.“

Obwohl die Chefin eine Frau ist, taucht ein weiblicher Vorname in der Liste mit den im Gerüstbau Beschäftigten nicht auf. „Nein, leider haben wir auf dem Gerüst keine Frau. Wenn man in so einer Firma groß wird, ist es etwas anderes, als wenn man als junges Mädchen nach der Schule in diese Branche kommt. Da muss man mit 16, 17 Jahren schon ein dickes Fell haben“, so Nadine Bönninger.

Unternehmerfrau des Jahres

Für die Frauenpower auf der Baustelle muss sie also selbst sorgen. Ansonsten aber ist die Firma Bönninger ein ziemlich bunter Haufen. Das darf man so sagen, weil sie sich in der Öffentlichkeit auch sehr locker-flockig präsentiert. „Du bist jung und der Plan fehlt dir total? Fitnessstudio langweilt dich? Dann komm zu uns als Gerüstbauhelfer oder Bauhelfer (m/w/d)“, heißt es an Gerüsten auf riesigen Plakaten, mit denen Bönninger um Arbeitskräfte wirbt. „Wir machen sowas Verrücktes“, sagen die Chefin und der Chef, „damit wir Aufmerksamkeit bekommen. Wir wollen Mund-zu-Mund-Propaganda.“

Als deutsche Unternehmerfrau im Handwerk wurde Nadine Bönninger (2.v.l.) aus Dortmund in diesem Jahr in Bingen ausgezeichnet.
Als deutsche Unternehmerfrau im Handwerk wurde Nadine Bönninger (2.v.l.) in diesem Jahr in Bingen ausgezeichnet. © Handwerk Magazin

Weit über die Hälfte der gewerblich Beschäftigten im Betrieb sind ausländischer Herkunft - kommen unter anderem aus Syrien, dem Iran oder der Türkei. „Auf den Baustellen gibt es Anfeindungen oder Sprüche gegen Ausländer. Wichtig ist, sich nicht nur hinter die Belegschaft zu stellen und dadurch ein Zeichen zu setzen. Wir können Leute anregen, darüber zu diskutieren: Das ist wichtig“, betonen Nadine und Christian Bönninger gemeinsam. Dafür haben sie im Jahr 2023 den Interkulturellen Wirtschaftspreis bekommen - aus der Hand von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur.

Nadine Bönninger in einem Gabelstapler auf dem Firmengelände von Gerüstbau Bönninger in Dortmund.
Nadine Boenninger packt überall mit an. Hier fährt sie einen Gabelstapler. © Stephan Schütze

Und in diesem Jahr kam vor wenigen Wochen gleich die nächste Auszeichnung hinzu. Nadine Bönninger gewann Ende Oktober den vom „handwerk Magazin“, Würth und R+V-Versicherung ausgelobten Preis als „Unternehmerfrau des Jahres im Handwerk“. Über 100 Bewerbungen aus ganz Deutschland hatten die Jury erreicht - und Nadine Bönninger gewann. „Wir unterstützen Frauen dabei, die Arbeitswelt neu zu denken, vernetzt mehr zu erreichen, auf Vielfalt zu setzen und den Unterschied zu machen“, erklärte R+V-Projektleiterin Jutta Holzmann bei der feierlichen Verleihung im Rahmen des Bundeskongresses der Unternehmerfrauen im Handwerk (UFH) in Bingen.

Klar, über solche Ehrungen freut sich die 36-Jährige. Genauso freut sie sich aber auch, nach einem langen Gespräch mit der Presse endlich in den 26-Tonner auf dem Hof steigen zu können. Auf einer Baustelle in Münster wird wieder Material benötigt. „Unser Handwerk“, sagt sie, „wird immer eine Zukunft haben. Was wir rüsten, wird nie ein Computer machen können.“

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 3. Dezember 2024.

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Große Banner gegen Rechtsextremismus

Seit mehreren Jahren nutzt die Bönninger Gerüstbau GmbH & Co. KG ihren „Arbeitsbereich“ für Botschaften. Mit großen Bannern und Plakaten setzte der Brackeler Familienbetrieb zuletzt ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und für Vielfalt und ein friedliches Miteinander. Zuletzt machte das Unternehmen mit meinungsstarken Bierdeckeln innerhalb Dortmunds auf sich aufmerksam, auch Amateursportvereine und regionale Organisationen werden regelmäßig vom Gerüstbaubetrieb unterstützt.

Im Jahr 2023 erhielt die Gerüstbaufirma den mit 1.000 Euro dotierten Interkulturellen Wirtschaftspreis, der vom Multikulturellen Forum in Partnerschaft mit der Wirtschaftsförderung Kreis Unna, der Hammer Wirtschaftsagentur Impuls, der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund, der Handwerkskammer Dortmund, dem Kommunalen Integrationszentrum Dortmund und dem Verein Selbständiger Migranten verliehen wird.