
© dpa (Symbolfoto)
Wie in Dortmund die Adresse über die Zukunft mit entscheidet
Ungleiche Bildungschancen
Das Schulsystem beruht auf Leistungsgerechtigkeit. Doch beim Übergang von der Grund- auf eine weiterführende Schule zählt nicht nur Leistung. Dortmunder Zahlen zeigen ungleiche Bildungschancen.
Die in der Regel wichtigste Weichenstellung in einer Bildungsbiographie ist der Übergang von der Grund- auf eine weiterführende Schule. Wer eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommt, hat am Ende gute Chancen auf einen Beruf mit hohem Einkommen. Doch nicht immer ist diese Weichenstellung gerecht. In Dortmund findet sich in ihr eine altbekannte Ungleichheit wieder.
Große Unterschiede bei den Anmeldungen zum Gymnasium
Zahlen aus Dortmund zum Schuljahr 2019/2020 zeigen, dass sich das soziale Gefälle zwischen dem Norden und dem Süden der Stadt auch in den Schulanmeldungen niederschlägt.
Während zum Beispiel in der westlichen und östliche Innenstadt rund 45 Prozent der Schülerinnen und Schüler der vierten Klassen auf ein Gymnasium gewechselt sind, sind es in der nördlichen Innenstadt und Lütgendortmund nur rund 20 Prozent. Spitzenreiter bei den Übergängen ans Gymnasium sind die Schülerinnen und Schüler der Grundschulen in Hombruch mit fast 60 Prozent.
Dass das nicht daran liegt, das Kinder in Hombruch knapp dreimal so schlau sind wie Kinder in Lütgendortmund, dürfte wohl selbstverständlich sein. Woran dann?
Soziale Herkunft ist wichtiger Einfluss
„Das kulturelle und soziale Kapital der Eltern hat einen erheblichen Einfluss auf den Bildungserfolg von Kindern“, erklärt Dr. Christina Möller von der FH Dortmund. Wenn die Eltern selbst gebildet sind, wenn in Familien zum Beispiel gelesen oder musiziert wird oder wenn die Eltern mit Akademikern vernetzt sind, profitieren davon laut Dr. Christina Möller auch deren Kinder.
Und genau so lässt sich auch der Unterschied zwischen Dortmunds Norden und Süden erklären: Denn die bildungsnahen Dortmunder wohnen in der Regel eher im Süden und der Innenstadt als im Norden.
Auch der städtische Bildungsbericht (aus dem Jahr 2014) konstatiert: „Die Bildungschancen variieren nach Stadtbezirken erheblich. Es bedarf keiner Phantasie, um diese Differenzen mit der unterschiedlichen Sozialstruktur und der damit einhergehenden elterlichen Bildungsorientierung in Zusammenhang zu bringen.“
Unabhängig von tatsächlicher Leistung
Förderung durch die Eltern kann selbstverständlich auch zu besseren Leistungen führen. Allerdings werden die Chancen auf einen Übergang ans Gymnasium laut Dr. Christina Möller auch völlig unabhängig von den Leistungen vom Hintergrund der Eltern beeinflusst.
So zeigt zum Beispiel die unter anderem vom Dortmunder Institut für Schulentwicklungsforschung durchgeführte IGLU-Studie, dass Akademikerkinder wesentlich wahrscheinlicher eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen als Arbeiterkinder - bei gleichen Leistungen.
Entscheidung fällt früh
Die Schulformempfehlungen treffen am Ende Lehrer. Und auch diese könne bei ihrer Entscheidung durchaus von der sozialen Herkunft beeinflusst werden.
„Möglicherweise trauen Lehrer Schülern, die aus einem eher bildungsnahen Elternhaus kommen, auch eher zu, dass sie am Gymnasium zurechtkommen“, sagt Volker Maibaum von der Lehrergewerkschaft GEW. Bildungsnahe Eltern könnten zum Beispiel leichter Nachhilfeunterricht organisieren.
Als Kern des Problems sieht Maibaum den Zeitpunkt der Entscheidung: „Lehrer müssen zu früh im Leben eines Kindes eine sehr wichtige Entscheidung treffen.“ Er plädiert für längeres gemeinsames Lernen an einer Schule, die verschiedene Abschlüsse anbietet.
Auch Dr. Christina Möller sieht die Selektion im Schulsystem als Problem. Der glaube daran, dass diese nur nach Leistung stattfinde, sei eine Illusion. Christina Möller war übrigens selbst ursprünglich Hauptschülerin.
Geboren in Dortmund. Als Journalist gearbeitet in Köln, Hamburg und Brüssel - und jetzt wieder in Dortmund. Immer mit dem Ziel, Zusammenhänge verständlich zu machen, aus der Überzeugung heraus, dass die Welt nicht einfacher wird, wenn man sie einfacher darstellt.
