Es ist erstaunlich: Wer sich mit der 17-jährigen Kira Kuropiatnyk unterhält, glaubt kaum, dass die junge Frau vor gut zweieinhalb Jahren noch kein einziges Wort Deutsch gesprochen hat. Die Jugendliche floh aus der kriegsgeschüttelten Ukraine, lernte im Eiltempo Deutsch, besuchte sofort das Gymnasium – um jetzt anderen Menschen auf einem ganz anderen Kontinent zu helfen.
Im März 2022 hatte ihre Familie beschlossen, vor dem Krieg in ihrer Heimat, der Ukraine, zu fliehen. Mit ihrem Bruder und ihrer Mutter ging es nach Dortmund. Dort lebt eine Schwester ihrer Tante. Kiras Vater kam kurze Zeit später nach.

Die Familie lebte in Tscherkassy, einer Stadt etwa 200 Kilometer südöstlich von Kiew. „Als der Krieg begann, sind wir sofort nach Lemberg gefahren. Zum Glück haben wir dort nicht viel mitbekommen.“ Nach einer weiteren Woche sei die Familie nach Deutschland weitergereist, erzählt die 17-Jährige.
Hier ist sie sicher, hier fühlt sie sich wohl. Doch ihre Gedanken sind oft in ihrer Heimat. Dort leben noch ihre Großeltern. „Es geht ihnen gut. Wir telefonieren oft“, sagt sie. Dort, wo sie leben, ist der Krieg noch nicht angekommen.
Freundin noch in der Ukraine
Wenn sie von der Ukraine erzählt, wird Kira nachdenklich. „Meine beste Freundin ist noch dort.“ Viele andere, die sie kannte, seien über ganz Europa verstreut. „Man kann nicht viel machen. Ich bekomme alles immer in den Nachrichten mit“, sagt sie. Das sei schon komisch.
Seit gut zwei Jahren hat die Familie eine eigene Wohnung. Kira hat einen Schulplatz am Gymnasium an der Schweizer Allee (Gadsa) bekommen. „Ich musste schnell Deutsch lernen, um dann auch auf dem Gymnasium zu bleiben. Das wollte ich unbedingt“, sagt sie.
Westfalia Bildungszentrum
Und das hat sie im Turbotempo geschafft. Los ging es mit einem Deutschkurs im Westfalia Bildungszentrum. „Das habe ich in den Sommerferien und in den Herbstferien gemacht.“ Zusätzlich gab es Nachhilfe. „Ich musste viele lernen, aber das war mir wichtig. Ich wollte unbedingt Deutsch lernen.“
2024 absolvierte die junge Ukrainerin ein Schulpraktikum im Bildungszentrum. Im Anschluss wurde ihr dort ein Minijob angeboten.
Erst internationale Klasse
Sie engagiert sich seit dem in der Freiwilligenorganisation in dem Bildungszentrum Westfalia und arbeitet dort ehrenamtlich in einer Gruppe Jugendlicher, die verschiedene Projekte auf die Beine stellen.
Am Gymnasium an der Schweizer Allee besuchte Kira Kuropiatnyk zunächst die Internationalen Klasse. „Ich war am ersten Tag richtig nervös. Ich wusste nicht, wie mich die anderen Schülerinnen und Schüler empfangen würden“, sagt die 17-Jährige. Die Angst war unbegründet. Kira lernte schnell die Sprache. In der Internationalen Klasse nimmt man zunächst nicht am normalen Unterricht teil. Man kommt an, gewöhnt sich an Sprache und Lerninhalte und geht, je nach Fortschritt, erst stundenweise und später komplett in den regulären Unterricht.

Kira Kuropiatnyk besucht jetzt die Oberstufe des Aplerbecker Gymnasiums. Sie spricht fast fließend Deutsch, nur bei einigen Fachbegriffen in den Schulfächern hat sie noch ihre Probleme. Doch sie kommt gut mit. Und man könnte meinen, dass jemand, der vor dem Krieg aus seiner Heimat geflohen ist, genug mit sich selbst zu tun hat. Nicht so Kira. Sie will lernen und helfen, wo immer sie kann.
Nach Sansibar
Über das Bildungszentrum kam sie zu einem Jugendbegegnungsprojekt in Tansania. Genauer gesagt auf der Insel Sansibar. Im November 2024 reiste sie für neun Tage auf den afrikanischen Kontinent. Das Gymnasium hat sie für diese Zeit freigestellt. „Wir haben hier in Dortmund Spenden gesammelt und sind dann in den Flieger gestiegen“, erzählt die Ukrainerin. Auf Sansibar angekommen, gingen sie in die Dörfer, verteilten Lebensmittel. Sie waren in Schulen, um Schulmaterial zu verteilen.
Vom Krieg ablenken
„Die Menschen dort waren sehr nett“, sagt Kira. Aber viele hätten Hilfe gebraucht, gerade auf dem Land. Angst vor der fremden Welt hatte sie nicht. „Ein bisschen aufgeregt war ich schon. Meine Eltern hatten mehr Angst als ich“, lacht sie. Aber woher kommt dieses große Engagement, dieser Wille, Gutes zu tun, obwohl man sich doch genug Sorgen um Freunde und Verwandte macht?
„Ich weiß es nicht“, sagt die 17-Jährige und überlegt lange. Vielleicht wollte sie sich ein wenig vom Krieg in der Ukraine ablenken. Am Anfang sei das sicher so gewesen. „Es ist schwierig. Dort ist Krieg und ich sitze hier und kann nichts tun“, sagt sie.
Abitur in Aplerbeck
Aber es gäbe auch so viele Probleme auf der Welt. „Man muss immer helfen, wenn man kann.“ In Aplerbeck hat Kira Kuropiatnyk manchmal ein schlechtes Gewissen. Die Schule und das ehrenamtliche Engagement nehmen sie so gefangen, dass sie den Krieg in ihrer Heimat manchmal für kurze Zeit vergisst. Dann telefoniert sie wieder mit ihren Großeltern in der Ukraine und hofft bei jedem Anruf, dass noch alles in Ordnung ist.
Am Gymnasium an der Schweizer Allee will sie jetzt ihr Abitur machen. Und dann in Deutschland studieren. „Was danach kommt, weiß ich noch nicht“, sagt Kira. Ob sie zurück in die Ukraine geht? Schulterzucken. Aber sie weiß, dass sie Menschen helfen will, denen es nicht so gut geht. Egal wo.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals am 19. Januar 2025.