Ulrike Seiferts Faustregel für die Kindererziehung lautet: „Es gibt keine Methode, es gibt nur Achtsamkeit.“ © Tilman Abegg
Kita-Leiterin über Helikopter-Eltern
„Überbesorgte Eltern denken, dass die Welt zu schlecht für ihre Kinder ist“
Viele Eltern beschützen ihre Kinder viel zu sehr, sagt Kita-Leiterin Ulrike Seifert. Doch damit, sagt die Expertin, machen sie ihre Kinder zu unselbstständigen Erwachsenen.
Es komme immer wieder mal vor, sagt Ulrike Seifert, dass ein 14- oder 15-Jähriger ein Praktikum in der Kita machen möchte, dann aber seine Eltern bei ihr anrufen, um die Einzelheiten zu besprechen. Das sei dann ein ziemlich verlässliches Indiz dafür, dass diese Eltern ihr Kind zu wenig selbst machen lassen.
Erfahrungen mit sehr besorgten Eltern hat Ulrike Seifert sehr viele gesammelt: Sie leitet eine Fabido-Kita in Dortmund und gibt seit 2006 Seminare für Eltern, unter anderem zum Thema Übergang von der Kita zur Schule.
Woran erkennen Sie Helikoptereltern?Daran, dass sie insgesamt wenig Platz für Gefühle lassen. Sowohl für ihre eigenen als auch die ihrer Kinder. Wenn Kinder sehr eingeschränkt werden in ihren Möglichkeiten, sich auszuprobieren.Zum Beispiel?Wenn ein Kleinkind laufen lernt. Wenn Eltern sehr darauf bedacht sind, möglichst alle Ecken abzurunden, damit dem Kind auch ja nichts passieren kann, wenn es stürzt. Das nimmt dem Kind ja die Erfahrung, wie es sich anfühlt, sich weh zu tun.Naja, die Eltern wollen dem Kind die Erfahrung ersparen, wie sich eine Platzwunde anfühlt.Ja, aber dem halte ich entgegen: Wie oft ist man selbst als Kind hingefallen und hatte eine Platzwunde? Ich bin ohne abgepolsterte Ecken groß geworden und hatte zweimal eine.Zwei Platzwunden sind in Ordnung?Ich hab’s überlebt. Und dadurch Erfahrungen gemacht.Sicher, Platzwunden sind nicht tödlich. Aber warum sind sie gut?Ich habe gelernt, wo meine eigenen Grenzen sind. Und dass es bestimmte Dinge gibt, die ich als Kind nicht tun kann. Es ist wichtig zu wissen: Ich kann nicht sofort die Stützräder abschrauben und losfahren, sondern muss eine gewisse Zeit üben und meinen Körper wahrnehmen, wie er ist.Das heißt also, um zu begreifen, dass die Welt auch gefährlich sein kann? Kleinere Verletzungen erleben, um größere zu vermeiden?Wenn ich einmal die Treppe runtergefallen bin, weiß ich beim nächsten Mal, dass ich das Geländer benutzen sollte. Manche Bildungsprozesse können die Kinder ganz alleine, ohne dass die Eltern sie behüten müssten.Zum Beispiel hinfallen und sich weh tun.Richtig. Oder in der Schule einen Vokabeltest zu versemmeln und beim nächsten Mal einfach mehr zu lernen – oder für sich eine andere Möglichkeit zu entdecken. Je mehr ich meinem Kind abnehme – auch aus gutem Willen – hindere ich es daran, selbstständig zu werden. In dieser Welt laufen zu lernen, buchstäblich und im übertragenden Sinn.Möglicherweise entdeckt das Kind ja eine eigene Art zu laufen – im übertragenden Sinn. Eine, die es nicht lernen könnte, wenn es alles so macht wie seine Eltern.Natürlich. Und die Welt entwickelt sich ja auch weiter, und wir müssen uns anpassen. Ich glaube, diese sehr besorgten Eltern haben eins gemeinsam: Sie denken, dass diese Welt zu schlecht ist, als das ihr Kind damit klarkommen könnte.Ich glaube, dass alle Eltern sich um ihre Kinder kümmern, so gut sie können. Niemand will seinen Kindern schaden. Aber die überbesorgten Eltern vertrauen sich selbst nicht. Und wenn ich mir selbst nicht vertraue, wenn ich nicht weiß, wie ich mit unplanbaren Dingen umgehen kann, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich sage: um meinem Kind diese ganzen Enttäuschungen zu ersparen, mache ich das alles für mein Kind. Damit es nie eine Grenzerfahrung machen muss.Weil diese Eltern denken, dass Enttäuschungen etwas Schlechtes sind. Sie dagegen meinen, Enttäuschungen seien wichtig.Auf jeden Fall, ganz wichtig. Die ganze Palette an Gefühlen ist sehr wichtig.Meinten Sie das, als Sie eingangs sagten, die Eltern ließen keinen Platz für Gefühle?Vor allem für Negative, genau. Gerade die sind aber so wichtig. Denn ein Kind kann nur lernen, mit negativen, unangenehmen Gefühlen zurechtzukommen, wenn es die auch erleben kann. Wenn es verstehen lernen kann: Auch diese Gefühle sind ein Teil von mir, und sie bringen mich nicht um, sondern weiter.
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