Simone stirbt mit 39 an Krebs – „Möwe“ hilft der Familie „Wie sage ich es den Kindern?“

Trauerzentrum „Möwe“ begleitet Familie nach dem Tod der „Mama“
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Es ist die Abschlussuntersuchung kurz vor dem errechneten Geburtstermin. Es gibt keinen Grund, sich zu sorgen bis hierhin. Aber dann der Schock: Bei Simone (39) wird Brustkrebs diagnostiziert. Die Geburt wird eingeleitet. Direkt danach beginnen die Ärzte mit dem Kampf gegen den Krebs: „Chemo, Bestrahlung, Operation“, sagt ihr Mann Simon. Und erstmal sieht alles gut aus, „es ging um Heilung“, sagt Simon (Nachname der Redaktion bekannt) heute. Doch dann kommen die Rückschläge: Es gibt Metastasen im Kopf, Simone erblindet. Und irgendwann ein gutes Jahr später ist der Familie klar: Die Ärzte und Simone werden den Kampf gegen den Krebs verlieren.

Dass damals die Corona-Pandemie Besuche im Krankenhaus fast unmöglich macht, macht das Schicksal noch unerträglicher. „Meine Frau wollte unbedingt nochmal nach Hause, die Kinder durften ja gar nicht ins Krankenhaus“, sagt Vater Simon. Die Kinder, das sind neben Freddy, der damals inzwischen eineinhalb Jahre alt ist, noch Johanna (damals vier) und Leo (damals sieben Jahre alt). Gemeinsam feiert man noch das Weihnachtsfest 2021. Der Trubel ist anstrengend für Simone – sehen kann sie da schon nicht mehr. Im Januar 2022 stirbt sie.

Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche in der "Möwe" in Dortmund-Hörde
Die Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche ist im Hörder Zentrum in der Hörder Rathausstraße zuhause. Die pädagogische Leitung hat Katrin Riebling, die hier mit Vater und Tochter zusammen sitzt. © Britta Linnhoff

Gemeinsam nach Hörde

Das alles ist jetzt etwas mehr als drei Jahre her. Der Mann, der das alles erzählt, sitzt im Sessel des Trauerzentrums Möwe in Hörde. Auch seine Tochter Johanna ist da. Die beiden und auch Leo und Freddy gehen hier seit zwei Jahren ein und aus. Man trifft sich in Kinder-, Familien, Teenie- oder Erwachsenengruppen.

In der ersten Zeit nach dem Tod funktioniere man halt, sagt der 42-Jährige. Es gibt so viel zu regeln: „Es ist auf allen Ebenen ein Schock“: die Kinder, die Familie, die Arbeit. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass es mir und den Kindern besser geht, wenn ich was mache. Simon macht, findet zunächst eine andere Gruppe von Menschen mit ähnlichen Erfahrungen und erinnert sich: „Wir haben auf dem Spielplatz gesessen und über Metastasen gesprochen. Und ich habe gemerkt, dass es gut tut“. Kurze Zeit später findet der Ingenieur die Möwe in Hörde und damit ein Angebot für alle in der Familie. Allein die Fahrt alle zwei Wochen nach Hörde vom Zuhause im Dortmunder Süden sei für alle vier Familienmitglieder eine Gelegenheit über Simone, die Mama zu sprechen.

Hier in der Möwe fühlen sie sich gut aufgehoben; hier gibt es Beratung und Begleitung in vielfältiger Form. Es sei einfach leichter, mit Menschen, die ein vergleichbares Schicksal haben, darüber zu reden. Wer nicht selbst betroffen ist, ist entweder sprachlos, wenn Simon erzählt, andere fangen an zu weinen. „Ich habe für jede dieser Reaktion Verständnis“, betont der Familienvater. Aber hier in der Möwe müsse er nicht überlegen, was und wie er erzähle, sein Schicksal scheint hier „normal“.

Der Jüngste, Freddy, beginnt erst jetzt viele Fragen zu stellen. Der Junge hat keine eigene Erinnerung mehr an seine Mutter. Manchmal sage er aus dem Nichts „ich vermisse Mama“, erzählt sein Vater. Katrin Riebling, Pädagogische Leiterin der Möwe, wundert das kein bisschen: „Es ist ganz normal, dass der Junge sich jetzt damit auseinandersetzt, vieles kommt erst in einem bestimmten Alter, das alles kommt jetzt mit Verzögerung an“, erklärt sie. Der Junge stelle jetzt fest, dass es nicht „normal“ ist, dass zu der „Norm“ (Familie mit Mama, Papa, Kinder) etwas fehle, so Riebling.

„Simon und Simone“

Aber auch wenn Mama Simone nicht mehr lebt, gegenwärtig ist sie dennoch, man spricht über sie, vor allem in der Möwe. Das hilft auch für den Alltag: „Manche sind da im Gedenken bei den Todestagen“, sagt Simon. Er selbst verspüre eher das Bedürfnis, sich an schöne Tage zu erinnern. „Vorletztes Jahr waren wir zehn Jahre verheiratet, Simon und Simone“.

Simon lädt an diesem Tag enge Freunde ein, man geht essen, im selben Restaurant wie damals. Auch an Simones Geburtstag kamen bisher Gäste. Dieses Mal ist Simones Geburtstag an Ostern und Simon mit seinen Kindern verreist. Sie werden hier an Simone denken; sie würde 43 Jahre alt.

Schule, Kita und Job

Aber nicht nur für die Familie sind der Umgang mit Erinnerungen und die Bewältigung eine Herausforderung: Auch für Freunde, Mitschüler, für die Kita, Schulen und Arbeitgeber: Simon stößt auf Verständnis bei seinem Arbeitgeber, kann Stunden reduzieren, kann ins Homeoffice. Dienstreisen, wie zuvor, sind aber jetzt ein riesiges Problem. Der Opa hilft.

Aber Katrin Riebling weiß nur zu gut, dass andere Betroffene durchaus ihren Job verlieren, wenn das alles so nicht geht. Simon kämpft sich durch, auch wenn die Stunden im Homeoffice ihm schwerfallen: Es erinnert an die Zeit mit Corona und die Zeit mit Simone und den Kampf gegen den Krebs, als er auch Zuhause saß. Darum kreisen dann die Gedanken. „Ich war damals froh, dass Johanna in einer kirchlichen Kita war“, erinnert sich Simon. „Es war nicht immer meine Antwort, aber sie hatten damals eine für meine Tochter“. Und sie haben an sie gedacht, als es zum Beispiel darum ging, Muttertagsgeschenke zu malen: Johannas Bild wurde laminiert, damit man es aufs Grab legen kann.

Die „Möwe“

Die Möwe, das Dortmunder Zentrum für Trauerbegleitung von Kindern und Jugendlichen in der Hörder Fußgängerzone, kennt all’ diese Probleme – und bietet Hilfestellung bei vielen Fragen an: Wie sage ich es den Kindern? Wann ist ein guter Zeitpunkt, es zu sagen? Wie behalten Kinder die Eltern in Erinnerung? Wie kann eine kindgerechte Trauerfeier aussehen? Wann sollen Kinder nach dem Tod eines nahestehenden Familienmitglieds wieder in die Schule oder Kita? Die Einrichtung finanziert sich über Spenden.

Es gibt feste Gruppen „Zwergmöwen“ (Kinder zwischen fünf und elf Jahren), die „Sturmmöwen“ (12-18 Jahre), das „Möwennest“ (Gruppe für Familien, deren Kinder noch unter fünf sind) und das „Anker-Café“ mit der Möglichkeit für Erwachsene, sich auszutauschen. Die Gruppen können so lange wie gewünscht besucht werden. Sind die Gruppen voll, kann man sich auf eine Warteliste setzen lassen. Die Möwe bietet auch Einzelberatungen an. Unverbindliche Kennenlerntermine sind per Mail unter hallo@kindertrauerzentrum-dortmund.de möglich. Weitere Infos gibt es auch im Netz auf der Homepage des Trauerzentrums. Telefonisch ist das Zentrum unter (0231) 533 89 800 erreichbar.

Sämtliche Angebote für die Familien sind grundsätzlich kostenlos. Alle, die die Trauernden begleiten, sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Trägerverein der Möwe ist der „Deutsche Kinderhospiz Dienste e.V.“.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals am 16. März 2025.