Im April 2019 wurde eine Regionalbahn bei Bad Berleburg von einem Gullydeckel getroffen. Der Lokführer aus Lünen hätte sich zu Beginn dieses Jahres erneut vor Gericht verantworten müssen. © picture alliance/dpa

Ungelöster Kriminalfall

Toter Lokführer aus Lünen – Zusammenhang mit Doppelmord von Eving?

Ein toter Lokführer aus Lünen, fast 14 Jahre nach einem Doppelmord in Eving – hängen die Fälle von 2008 und 2022 zusammen? Jedenfalls gibt es eine ungewöhnliche Verbindung.

Dortmund

, 04.01.2022 / Lesedauer: 5 min

Dortmund 2008. Zwei ältere Frauen – Mutter und Tochter – sterben in ihrem Haus im Stadtteil Eving. Sie sind Opfer eines brutalen Doppelmörders. Irgendjemand hatte es auf ihren angesparten Geldbetrag abgesehen, der für eine Renovierung vorgesehen war. Doch wer sie tötete? Ein Verwandter? Einbrecher? Seit über 13 Jahren ist das ungeklärt geblieben.

Lünen 2022. Ein Lokführer wird in einer Laube gefunden. Der 51-Jährige hat sich möglicherweise das Leben genommen – einen Tag, bevor ihm an diesem Dienstag erneut der Prozess gemacht werden sollte. Er war schon 2020 wegen eines Gullydeckel-Anschlags auf die Regionalbahn bei Bad Berleburg zu einem Jahr und neun Monaten Haft verurteilt worden.

Er soll selbst die drei jeweils 35 Kilo schweren Gullydeckel an eine Brücke gehängt haben, bevor er mit seinem Triebwagen hineinraste und dabei unverletzt blieb.

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Lokführer war der Sohn der Ermordeten

Zwischen den beiden Kriminalfällen gibt es einen ungewöhnlichen Zusammenhang. Denn der tote Lokführer Thomas Ch. ist der Sohn von Roswitha Ch. aus Eving.

Er war es, der seine Mutter und die Großmutter Edith Sch. leblos im Haus an der Evinger Zipstraße gefunden hatte.

Das war gegen 10 Uhr am 28. Juni 2008, einem Samstag. Er plante, tags darauf mit seiner Frau und der Tochter nach Ägypten in den Urlaub zu fliegen. Vorher wollte er bei Mutter und Oma Kartoffeln und Sprudelwasser vorbeibringen und den Rasen mähen. Als auf sein Schellen hin niemand geöffnet habe, sei er um das Haus herumgelaufen und über ein geöffnetes Schwingfenster in den Wintergarten der Parterrewohnung eingestiegen. So hat er das damals den Ermittlern berichtet.

46 Schraubenzieher-Stiche im toten Körper

Edith Sch. lag erstickt im Schlafzimmer-Bett, Roswitha Ch. blutüberstömt auf der Treppe zwischen Obergeschoss und Dachboden, getötet von 46 Stichen mit einem Drehschraubenzieher. Schubladen und Schränke in allen Etagen waren geöffnet und durchwühlt.

10.000 angesparte Euro, die in Keramiktöpfen versteckt waren, waren nicht mehr da, weitere 10.000 im Keller jedoch unangetastet. Thomas Ch. bat einen Nachbarn, die Polizei zu verständigen.

Das Haus an der Zipsstraße in Dortmund-Eving – hier passierte der Doppelmord im Jahr 2008. © Oliver Schaper

Ein Familiendrama? Was steht im Abschiedsbrief?

Könnte es ein Familiendrama gewesen sein damals in Eving? Könnte der Lokführer der Täter von 2008 sein? Und welche Rolle spielt der Abschiedsbrief, den Thomas Ch. in der Laube hinterlassen hat?

Henner Kruse ist heute Sprecher der Staatsanwaltschaft Dortmund. 2008 war er selbst einer der Ermittler in dem Doppelmordfall. Er bestätigt ein Todesermittlungsverfahren, das derzeit geführt wird.

„Er hatte Kenntnis von dem Geld und war klamm“

Er sagt, der Abschiedsbrief nehme nach seiner Kenntnis nicht Bezug auf den Mord an Mutter und Oma von 2008. Er sagt aber auch: Thomas Ch. war ein Beschuldigter. „Er hatte die Leichen gefunden. Er hatte Kenntnis von dem Geld. Er war finanziell klamm.“

Henner Kruse, heute Sprecher der Staatsanwaltschaft, war selbst Ermittler in dem Fall. © picture alliance/dpa

Aber: Im Haus fanden die Ermittler damals keine DNA des Sohnes. Die Gen-Spuren, die gesichert werden konnten, können bis heute noch nicht zugeordnet werden. Die Schlussfolgerung: „Wir prüfen die neuen Erkenntnisse.“

Nachbarn hörten nächtliche Schreie

Kommen noch andere Täter in Frage? In der Nacht auf den 28. Juni 2008 wurden gleich vier Nachbarn in der kleinen Seitenstraße in Dortmund-Eving von Schreien geweckt. Das war nach deren übereinstimmender Aussage zwischen 3.23 und 3.30 Uhr.

Die Nachbarschaft schlief schnell wieder ein und wunderte sich am Morgen. Das Dachfenster bei Frau Ch., sonst immer offen, war geschlossen. Kruse war damals sicher: „Einiges spricht dafür, dass die Tötung der beiden Frauen nicht geplant war“. Das Ziel des oder der Täter war mutmaßlich anders: viel Geld.

Geld war gedacht für eine große Renovierung

Roswitha Ch., die getrennt vom Vater ihres Sohnes in Obereving lebte, wollte das Zweifamilienhaus renovieren. Türen und Fenster sollten erneuert werden. Am 10. April hob sie 30.000 Euro vom Konto ab. 10.000 davon gab sie ihrem Sohn Thomas.

Den restlichen Betrag – je 10.000 Euro – verteilte sie auf Verstecke im Heizungskeller und in Keramiktöpfen in der ersten Etage. Doch so vorsichtig die Frau beim Verstecken selbst vorging, so leichtfertig erzählte sie davon: Roswitha Ch. war Stammgast im Kleingartenlokal „Stübchen“ und manchmal laut Erzählungen anderer wohl durchaus dem Alkohol zugewandt.

Nicht nur am Tresen mit der hohen Summe geprahlt

Zeugen sagten aus, dass sie nicht nur am Tresen mit der Summe geprahlt habe. In Geschäften wie der Reinigung, ja, in der „halben Siedlung“ sei die Haus-Finanzierung Gesprächsstoff gewesen.

Von Anfang an war es denkbar, dass ganz andere Täter zugeschlagen hatten. Fest stand: Der oder die Täter haben vom Geld gewusst und das Haus gekannt. Dieser Satz war die Kernthese der Dortmunder Fahnder.

Profiler vom LKA rekonstruierten die Tatnacht

Sie schalteten das Landeskriminalamt in Düsseldorf und die Münchner Rechtsmedizin ein. Das LKA NRW legte eine Profiler-Analyse vor, die den Ablauf in der Todesnacht von Eving rekonstruierte: Den Einstieg der Täter durch das gekippte Schwingfenster an der Gebäuderückseite. Das Kappen aller Telefon- und Notrufleitungen, die ein Alarmieren möglich gemacht hätten.

Dann das Öffnen der Schränke im Wohnzimmer, das die 85-jährige Edith Sch. aufweckte. Als die gehbehinderte, an Parkinson leidende Frau aufstehen wollte, erfolgt der tödliche „Angriff auf den Hals“, wie das LKA annahm.

10.000 Euro gefunden – aber es gab noch mehr Geld

Das Obergeschoss wurde nach der LKA-Analyse zur Todesfalle für die Tochter. Die Eindringlinge stießen auf die 10.000 Euro in den Töpfen. Und obwohl sie jetzt eine hohe Summe mitnehmen konnten, suchten sie weiter.

Sie mussten, schlussfolgerten die Profiler, von weiteren Barbeträgen wissen, als Roswitha Ch. wach wurde und sich wehrte. Die Täter schlossen schnell das eigentlich immer offene Dachfenster. Die Schreie sollte keiner hören.

Stiche in den Hals, in die Lunge und in die Herzgegend

Noch im Bett erlitt die Frau Stiche mit dem Schraubenzieher in den Hals. Sie flüchtete, als auf der Treppe vier Mal in ihre Lunge und bis zu 14 Zentimeter tief in die Herzgegend gestochen wird.

Wer richtete dieses Blutbad an der Zipsstraße in Eving an? Die Spurensicherung hat damals weder Tatwerkzeug noch Fingerabdrücke gefunden. Doch da waren zwei DNA-Spuren. Die eine im Treppenhaus: die eines Mannes. Die andere die einer Frau. Diese DNA haftet am Hals der erwürgten Edith Sch. .

Ermittler befragten Verwandte und weitere Verdächtige

Elf Verdächtige wurden in den Monaten und Jahren nach der Tat befragt. Familienangehörige darunter, einige mutmaßlich mit Geldsorgen. Zwei junge Männer wurden in der Tatnacht nahebei auf einem Motorroller gesehen. Stiegen sie in die Wohnungen ein und töteten zwei Unschuldige, um sich zu bereichern?

Ein Betrunkener soll in der Nachbarschaft in einem Zelt übernachtet haben. Er stritt die Tat ab und hatte ein Alibi. Da ist aber noch der Kreis derjenigen, die wegen der Offenheit der ermordeten Roswitha Ch. von immerhin 30.000 versteckten Euro erfahren haben - Kunden, Wirtshaus-Gäste, Stadtteilbewohner.

Dass Thomas Ch. verwandt mit früheren Mordopfern war, wurde nicht zum Gegenstand im ersten Prozess wegen des Anschlags auf die Regionalbahn. Jetzt aber kann das erneut ein Thema für die Mordermittler werden.

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