Die Kollage zeigt, wie sich die TU-Studenten die Tiny-House-Siedlung auf der Südtangente vorstellen würden. © Vervoorts/Jording/Lange/Leuthe
Wohnen in Dortmund
„Tiny House“-Hype in Dortmund – der Wohntrend hat aber ein großes Problem
Die Tiny-House-Bewegung sehnt sich nach nachhaltigem Wohnen auf kleinstem Raum. In Dortmund entsteht ein in NRW einzigartiges Pilotprojekt. Doch haben die Mini-Häuser ein großes Problem.
Das letzte Stück der Südtangente ist eine von Dortmunds vergessenen Ecken. In den 1970er-Jahren als großer Wurf zur Verbindung der Uni mit dem Baroper Krückenweg geplant, endet die vierspurige Straße immer noch kurz vor der Marie-Curie-Allee im Nichts. Ein toter Raum, in den lediglich die H-Bahn alle paar Minuten etwas Bewegung bringt. Deren Trasse führt über den Straßenstummel.
Dabei könnte es hier ganz anders aussehen, findet Henrik Vervoorts. Der Student der Raumplanung würde die brachliegende Fläche inmitten eines Waldstücks gerne zu einem Experimentierfeld für eine neue Form des Wohnens machen und mehrere Dutzend Kleinst-Häuser auf den Asphalt stellen; mit Gemeinschaftshäusern, in denen sich die Bewohner der lang gezogenen, im Grünen gelegenen Siedlung treffen. „Das könnten Studenten sein, aber auch junge Familien“, erzählt Vervoorts.
Weniger besitzen, mehr teilen, extrem mobil sein
Das Gedankenspiel hat der 30-jährige Dortmunder zusammen mit einigen Kommilitonen für ein Masterseminar an der TU Dortmund entworfen – als Teil einer flexiblen Stadt, in der die Menschen weniger besitzen, mehr teilen, extrem mobil sein und stärker für sich selbst sorgen wollen.
Wenn sich die Lebensumstände ändern, man einen neuen Job bekommt oder die Brachfläche später doch einmal wieder für andere Zwecke genutzt werden sollte, ziehen die Mini-Eigenheime einfach mit ihren Besitzern um. „Die ganze Siedlung wäre von Anfang an nur temporär“, sagt Vervoorts.
Henrik Vervoorts (r.) und Lennart Jording auf der ungenutzten Südtangente. Die Studenten haben die Idee, dort eine experimentelle Tiny-House-Siedlung anzusiedeln. © Stephan Schütze
Tiny-House-Pionierin: „Wir bauen viel zu groß“
Das Projekt der Dortmunder Studenten ist inspiriert von einem globalen Trend, der sich in den vergangenen Jahren von den USA aus über die ganze Welt ausgebreitet hat: die Tiny-House-Bewegung. „Wir bauen viel zu groß, dämmen mit Sondermüll und versorgen unser Zuhause mit fossiler Energie – so kann das nicht weitergehen!“, sagt etwa die österreichische Tiny-House-Pionierin Theresa Steininger.
Die Tiny-House-Anhänger wollen – wie der Name schon sagt – in möglichst kleinen Häusern wohnen, die wenig Energie verbrauchen und idealerweise eigene erzeugen. Sie wollen ein möglichst selbstbestimmtes, nachhaltiges, manchmal sogar autarkes Leben führen.
Tiny Houses sind meist zwischen 15 und 40 Quadratmeter groß. Viele sind mobil und stehen auf einem Fahrgestell für Anhänger. © picture alliance / Patrick Pleul
Auch abseits von Uni-Seminaren ist der Trend längst in Dortmund angekommen. „Jeden Tag meldet sich mindestens ein Interessent, der sich ein Tiny House anschaffen will“, sagt Gerald Kampert. Der 56-Jährige arbeitet seit 1992 im städtischen Planungsamt. Seit Anfang des Jahres leitet er eine städtische Tiny-House-Kampagne, mit der er die neue Wohnform bekannt machen möchte.
Meist kommen Paare zu Kampert, bei denen die Kinder aus dem Haus sind und denen ihr bisheriges Haus nun zu groß ist. Doch fast immer muss der Stadtplaner die Interessenten enttäuschen. Denn bei aller Euphorie gibt es bei „Tiny Houses“ ein riesiges Problem: das deutsche Baugesetzbuch.
Deutsches Baurecht erschwert Tiny-House-Verbreitung extrem
Die Anhänger der Mini-Eigenheime lieben den Gedanken, ihr Haus dorthin zu stellen, wo sie wollen: Absolute Freiheit, absolute Flexibilität. Doch das ist mit dem Baurecht nicht zu machen. Kampert erklärt es so: „Sobald Sie dauerhaft in etwas wohnen wollen, brauchen Sie eine Baugenehmigung. Doch die kriegen Sie nur bei einer Erschließung. Und eine vorschriftsmäßige Erschließung gibt es nur auf Bauland.“
Das macht Ideen wie die Südtangenten-Vision der TU-Studenten unmöglich: Eine Straße ist kein Bauland. Und selbst für einzelne Tiny Houses wird die Standortsuche dadurch extrem erschwert. Zwar gab es in Dortmund im Frühjahr für einige Wochen ein bewohntes „Tiny House“, doch stand das 19 Quadratmeter große Eigenheim auf Rädern illegal auf einem Schotterplatz im Dortmunder Süden. Inzwischen ist seine Besitzerin mit ihrem Haus auf einen Bauerhof im Umland umgezogen, immer noch nicht auf rechtmäßiges Bauland, aber abgeschieden genug gelegen, damit es nicht auffällt.
In Dortmund stand im Frühjahr für einige Wochen ein 19 Quadratmeter großes Tiny House illegal auf einem Schotterplatz. Inzwischen ist es mit seiner Besitzerin weitergezogen. © Thomas Thiel (Archivbild)
Muss also das Baurecht gelockert werden, um den Tiny Houses zum Durchbruch zu verhelfen? Stadtplaner Kampert ist dagegen: „Wir haben ein gutes Baurecht, es hat sich bewährt.“ Dortmund geht einen anderen Weg: In Sölde stellt die Stadt gerade einen Bebauungsplan für ein Neubaugebiet speziell für „Tiny Houses“ auf. Es wäre die erste Siedlung ihrer Art in NRW, mit Platz für 20 bis 30 der Mini-Eigenheime. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass man dort bedeutend kleinere, für „Tiny Houses“ aber ausreichende Grundstücke ausweisen kann, die es ansonsten fast nirgends gibt.
Noch steht die Planung der Tiny-House-Siedlung in Sölde ganz am Anfang – alles sei denkbar, egal ob eine Gemeinschaftsküche oder ein Gästehaus für die ganze Siedlung, meint Kampert. Er ist ein experimentierfreudiger Stadtplaner: „Ich habe auch schon einmal eine Feng-Shui-Siedlung geplant, mit Wünschelruten und allem.“
„Die Energie-Effizienz in Häusern ist ausgereizt“
Hinter Kamperts Einsatz für „Tiny Houses“ liegt aber ein ernsthaftes Ansinnen: Seit Jahren beschäftigt sich Kampert mit Energieeffizienz von Häusern. Er ist auch zuständig für ein städtisches Projekt, mit dessen Hilfe 100 „Energie Plus“-Häuser in Dortmund entstehen sollen, die mehr Strom produzieren als sie verbrauchen. Doch dieser Ansatz habe seine Grenzen, sagt er: „Die Energie-Effizienz in Häusern ist ausgereizt, jetzt müssen wir schauen, dass wir mit den Wohnflächen runterkommen.“
Die Entwicklung geht jedoch in die andere Richtung: Standen den Dortmundern 1998 noch durchschnittlich 35,4 Quadratmeter Wohnraum pro Kopf zur Verfügung, waren es 2016 laut Stadt vier Quadratmeter mehr. Effizienzgewinne würden so durch größeren Konsum aufgefressen, meint Kampert: „Das bringt uns nichts. Die Leute müssen generell wieder auf weniger Raum wohnen.“
Die Dortmunder Firma "Greenspaces" bietet ein 40 Quadratmeter großes Tiny House an. Große Fenster sorgen für viel Licht im Innern. In dieser Panorama-Aufnahme wirkt der Raum größer als er tatsächlich ist. © Thomas Thiel
Dennoch: Revolutionieren werden die Tiny Houses den Dortmunder Wohnungsmarkt nicht. „Es wird ein kleines Marktsegment bleiben“, glaubt Kampert. Für den Stadtplaner sind die Mini-Häuser eher ein Lifestyle-Phänomen, ein Luxus: „Das ist eine Sache für Leute, die es sich leisten können, klein zu wohnen.“
Dortmunder Firma bietet Luxus-Tiny-Houses an
Auf diese Klientel hofft Franziska Böhmer. Die Dortmunder Juristin gründete 2016 zusammen mit einer Architektin die Firma „Greenspaces“, die eine Art Luxusvariante von Tiny-Houses anbietet. „Unser Haus ist auf das Nötigste reduziert, ohne das man auf etwas verzichten muss“, sagt sie.
Ihre 40-Quadratmeter-Bungalows haben nur wenig zu tun mit der Do-it-Yourself-Romantik vieler Tiny-House-Anhänger: Die Innenausstattung ist hochwertig, es gibt ein relativ großzügiges Bad, Panorama-Fenster sorgen für viel Licht im Innern. Entsprechend hoch ist auch der Preis: Rund 120.000 Euro kostet Böhmers Tiny House in der Vollausstattung, wer es als Rohbau kauft, muss immer noch 70.000 Euro bezahlen.
Doch auch wenn sich vier bis fünf Interessenten pro Woche Böhmers Modell-Haus anschauen, das auf dem Parkplatz eines Parketthändlers in Barop steht – verkauft hat die 47-Jährige noch kein einziges ihrer Mini-Eigenheime.
So bleibt Böhmer nur, darauf zu hoffen, dass der Hype um die „Tiny Houses“ auch bald zu weiteren Neubaugebieten für die Mini-Eigenheime führt. Die Chancen stehen gut: In Stadt- und Gemeinderäten in ganz Deutschland wird über Tiny-House-Siedlungen diskutiert, sei es in Großstädten wie Hannover und Karlsruhe oder in kleineren Kommunen wie Nordkirchen, Ahaus oder Warendorf.
Suche nach weiteren Tiny-House-Flächen in Dortmund läuft
Auch in Dortmund sieht Stadtplaner Gerald Kampert noch reichlich Potenzial für weitere Tiny-House-Baugebiete: „Wir suchen nach weiteren Flächen, besonders in Uni-Nähe.“
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