Der Laufsteg ist der Weg von der Küche ins Esszimmer: nur wenige Schritte, aber die haben es in sich. Malischka, die eigentlich Carolina Tolstik heißt, schreitet auf High Heels über das blitzeblanke Parkett, den Oberkörper durchgestreckt, das Kinn leicht angehoben, die Hüften schwingend. Dennoch schwappt kein Tröpfchen Kaffee aus den beiden Tassen, die sie links und rechts zum Tisch balanciert: eine für sich selbst, eine für ihren Freund Giorgio, ihren Prinzen, wie sie sagt. Die 28-Jährige aus Dortmund hat darin Übung: Diese Szene taucht in nahezu jedem ihrer fast 100 Videos auf, die sie bislang über das vermeintlich schöne Hausfrauenleben auf Mallorca produziert hat. Millionenfach klicken das Menschen auf TikTok und Instagram an - begeistert, irritiert und nicht selten auch stinksauer.
Malischka serviert nicht nur Kaffee. Sie backt (vorzugsweise Hefezöpfe und Blinis mit Blattgoldverzierung), kocht, putzt, wäscht, bügelt, macht sich schön. „Alles für meinen Prinzen“ säuselt sie in ihren 30-Sekunden-Clips in die Kamera: „Dein Job ist es, Deinen Mann glücklich zu machen.“ Damit ist die schlanke, langhaarige Frau zu Deutschlands bekanntester Vertreterin eines internationalen Social-Media-Trends geworden, der Feministinnen verzweifeln lässt.
Als „Stayathomegirlfriends“ filmen Malischka und andere Frauen, wie sie ihren berufstätigen Partnern ein behagliches Heim bereiten: eine moderne Version des Heimchens am Herd. Genauso machen es auch „Tradwives“, nur dass sie verheiratet sind. Als traditionelle Ehefrauen, auf Englisch Tradwives, zeigen sie nicht nur, wie sie den Göttergatten umsorgen, sondern auch die Kinder: Filmchen, von denen das Publikum zurzeit nicht genug zu bekommen scheint. Simone de Beauvoir würde sich im Grabe umdrehen.
Nara stellt Kaugummi selbst her
Nara Smith ist so eine Tradwife: 22 Jahre alt, in Südafrika geboren, in Frankfurt aufgewachsen, mit 18 als Model in die USA gezogen. Dort heiratete sie ihren renommierten Model-Kollegen Lucky Blue Smith. Inzwischen ist das dritte gemeinsame Kind auf der Welt. Dennoch herrscht in der Küche der Smiths nicht klebriges Chaos. Und Nara Smith sieht auch kein bisschen übernächtigt aus. Ganz im Gegenteil.

„Heute wünschte sich meine kleine Tochter Chicken Nuggets und Pommes“, sagt Nara Smith auf TikTok. Oder besser: Sie haucht es mit einer fast tonlosen Stimme, die auch dazu geeignet wäre, dem Liebsten intime Geheimnisse zuzuflüstern. Statt die Tiefkühltruhe zu öffnen oder zum nächsten McDonald`s zu fahren, wuchtet das gertenschlanke Model den Fleischwolf auf die Arbeitsplatte und legt los:
Hähnchenfleisch durchdrehen, würzen, formen, panieren, frittieren. Kartoffeln schälen, stiften, würzen und backen. Alles in einem roten Cocktailkleid mit perfekter Aufsteckfrisur. Ohne Flecken, Spritzer und Stress. Spätestens seitdem sie nicht nur Nutella (aus Haselnüssen) und Cornflakes (aus Maismehl), sondern auch Kaugummi (aus dem Naturharz griechischer Mastiha-Bäume) zubereitet hat, darf man vermuten, dass das Nara Smith nicht alles so todernst meint. Anders als Estee Williams (26)
Estee Williams rät zu Gehorsam
Die US-Amerikanerin, die aussieht wie eine wiedergeborene Marilyn Monroe, belässt es nicht bei Rezepten für mehr oder weniger ausgefallene Gerichte. Sie gibt auch Ehe-Tipps. Etwa diesen: Frauen sollten sich unterordnen und ihren Männern gehorchen, denn „eine gehorsame Ehefrau wird von ihrem Ehemann beschützt und geführt“.
Hier heroische Männlichkeit, da fürsorgliche Weiblichkeit: Dieses Geschlechterbild gefällt nicht nur der neuen Rechten auf der anderen Seite des Atlantiks. In ihrem Parteiprogramm spricht die AfD von der „traditionellen“ Frau und der „Mutter, Vater, Kind“-Familie. Feminismus und „Gender“ gelten als Gefahren. Frauen, die selbstbewusst und fotogen das Hausfrauendasein glorifizieren, kommen da wie gerufen. Frauen wie Malischka.
Deren Schöpferin Carolina Tolstik aus Scharnhorst will ihre Kunstfigur aber keineswegs politisch vereinnahmen lassen. Und sich selbst erst recht nicht, wie sie im Gespräch mit dieser Redaktion sagt.

Nähe zur AfD und neuen Rechten?
„Gerne werde ich in einen Topf mit einer bestimmten Partei geschmissen“, sagt Tolstik mit Blick auf die AfD. Davon distanziere sie sich „ganz klar“. Ihre TikTok-Beiträge seien humorvoll gemeint. Bisweilen geradezu satirisch. Zum Beispiel die Sache mit dem Eierfisch:
Das Publikum sieht, wie Malischka in weißer Badekleidung zu einer traumhaften Bucht schlendert. Sonnenstrahlen tanzen auf dem Wasser, als sie sich anmutig hinabbeugt, um zwischen Felsen und Algen drei Eier einzusammeln: die wichtigste Zutat für das Shakshuka, das herzhafte Frühstücksgericht, das sie ihrem „Prinzen“ zubereiten möchte. „Jeden Morgen“, erfährt das Publikum, lege der Eierfisch dort zwischen Algen und Felsen die Eier ab.“ Für alle Fälle hat Tolstik auch noch den Hashtag „lustig“ dahinter gesetzt.
„Alles ist vor etwa eineinhalb Jahren aus einem Spaß entstanden“, erzählt die Dortmunderin mit ukrainischen Wurzeln. Ein Jahr zuvor hatte sie ihren Job als Lehrerin für Sport und Deutsch aufgegeben und war nach Mallorca ausgewandert. Es war die Corona-Zeit. Die Stimmung war „allgemein gedrückt“, ihr schien alles „irgendwie festgefahren“. Kurzum: „Ich brauchte einen Tapetenwechsel.“
Die Tatsache, dass auf Mallorca Verwandte lebten, machten ihr den Start im Urlaubsparadies leicht. Statt sich auf die Suche nach einem reichen Mann zu machen, den sie umtüddeln und auf dessen Kosten sie leben könnte, schrieb sie ihre Masterarbeit fertig und startete eine neue Karriere: nicht in der Schule, aber auch nicht am heimischen Herd, sondern im Marketing. Malischka, ihr Alter Ego auf TikTok und Insta, sollte ihr dabei helfen.
Marketing statt Mission
„Ich wollte schauen, wie weit ich es persönlich ohne jegliche Marketingkenntnisse schaffe“, schreibt sie selbst im Karrierenetzwerk LinkedIn. „Nach meiner eigentlichen Arbeit fing ich also an, Teile meines Alltags zu Hause zu filmen und sie in den sozialen Medien zu teilen.“ Die „Selfchallenge“, wie sie das nennt, zeigte überraschenden Erfolg. „Meine Videos erhielten hunderttausende von Aufrufen. Plötzlich wurde ich zum deutschen Stay-at-home-girlfriend“, die moderne Hausfrau. Das Bedürfnis, ihr das ohne Wenn und Aber abzunehmen, sei groß gewesen: „Dass ich gar keine typische Hausfrau bin, wollten die meisten nicht hören.“ Sie schrie es aber auch nicht gerade heraus.

Die Rechnung ist aufgegangen: „Innerhalb von einem Jahr habe ich über 30 virale Videos mit insgesamt über 100 Millionen Aufrufen erstellt, deutsche und internationale Reichweite erlangt und mit namenhaften Brands zusammengearbeitet“, schreibt Carolina Tolstik bei LinkedIn. Eine Erfolgsgeschichte im viralen Marketing. Hat sie mit Malischka also nur bewusst provoziert, um maximale Aufmerksamkeit zu erzielen? Ist der Sprung auf den Tradwife-Zug nur ein gut kalkulierter Schachzug gewesen? Ein gelungenes Geschäftsmodell?
So will sie das nicht verstanden wissen. Immerhin: Zu 50 Prozent sei die echte Carolina mit der künstlichen Malischka identisch, sagt deren Schöpferin. Dem Partner etwas Gutes tun zu wollen, entspreche durchaus ihrem Temperament. Backen gefalle ihr ebenfalls. Kochen allerdings weniger. Das beherrsche ihr Freund viel besser als sie: der Mann, mit dem sie zusammen wohnt und arbeitet, auf dessen Geld sie aber nicht angewiesen ist: der entscheidende Unterschied zu Malischka, den viele nicht sehen.
Kein Modell für junge Mädchen
Das legen die Bemerkungen in den Kommentarspalten nahe: Komplimente von Männern, die in Malischka ihre Traumfrau zu erkennen glauben, Dankesworte von Hausfrauen, die sich und ihre Arbeit endlich wertgeschätzt sehen, Beschimpfungen von anderen Frauen, die ihr Antifeminismus vorwerfen - in jedem Fall starke Emotionen. So etwas ist im Marketing gefragt. Eine Art von Reaktion hat die erfolgreiche Contentproduzentin indes erschreckt: die Bewunderung durch junge Mädchen, die ihr nacheifern wollen. Die Vorstellung, dass sich 15-Jährige auf ein Leben als Hausfrau vorbereiten, statt ihre Energie in Schule und Ausbildung zu setzen, sei ihr ein Graus, sagt die ehemalige Lehrerin. „Ich schreibe ihnen dann, dass TikTok und Instagram nicht die Realität sind.“
Jede Frau dürfe zwar selbst entscheiden, wie sie leben wolle, betont sie. Gerne auch als Hausfrau, wenn der Partner genug für beide verdiene: „Aber es ist gut einen Plan B zu haben.“ Für den Fall, dass die Beziehung scheitert.
Seit der Reform des deutschen Scheidungs- und Unterhaltsrechts 2008, sind geschiedenem Partner für ihren eigenen Lebensunterhalt selbst verantwortlich, sofern keine Kinder unter drei Jahren betreut werden: eine Reform, die vor allem zulasten von Frauen ging. Sie verdienen nach wie vor weniger als Männer, leisten aber den Löwinnenanteil der Sorgearbeit in Familie. Nach einer längeren Auszeit wird der Wiedereinstieg in den Beruf schwieriger. Und wenn er gelingt, dann oft nur im Teilzeitbereich, weil Betreuungsangebote in Kita und Schule immer noch nicht ausreichen. Die Folge: später auch nur eine Teilzeitrente.
Paartherapeutin: „Reden“
Rechtzeitig über die wechselseitigen Bedürfnisse und Gefühle, auch über Geld und Arbeitsverteilung, sprechen: Das empfiehlt Dr. Petra von der Osten von der katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatung (EFL) im Dortmunder Propsteihof. Gerade bei jungen Frauen beobachte sie eine zunehmende Verunsicherung angesichts der vielen Optionen. Manchmal, aber nicht immer, steht am Ende einer Paarberatung nicht die Trennung vom Lebenspartner, sondern nur von einer Erwartung. Welche falsch oder richtig ist, entscheiden dabei allein ihre Klientinnen und Klienten. Von der Osten bleibt da bei ihrer Rolle: sie begleitet.
Hierin sieht sie ihre Aufgabe – auch dort, wo es um überkommen geglaubte Rollenmodelle wie beim Tradwife-Boom geht. Andere werden da deutlicher.
Hausfrauenehe bis 1977
Prof. Dr. Susan Arndt aus Bayreuth zum Beispiel. Sie hat unter anderem „Sexismus. Geschichte einer Unterdrückung“ geschrieben und forscht zum immer noch nicht beendeten Kampf um Gleichberechtigung. Dass es jetzt ausgerechnet Frauen sind, die das Patriachat feiern, ärgert sie. Daran lässt sie am Telefon keinen Zweifel. Arndt differenziert aber auch. Solange eine einzelne Person für sich aus freien Stücken entscheide, sich einem Mann unterzuordnen, sei das ihre Entscheidung. „Sobald sie dieses Rollenmodell aber absolut setzt und auch anderen nahe legt, wird es gefährlich.“ Gleiches gelte für den ebenfalls von Tradwives propagierten Mutterschaftskult. Er werde „nach wie vor instrumentalisiert, um zu legitimieren, dass es ‚natürlich‘ und richtig sei, dass Männer an allen Schalthebeln dieser Welt sitzen“.
Nicht einmal 50 Jahre ist es her, dass die Hausfrauenehe als bundesweites Leitbild galt. „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist“, hieß es bis 1977 im Bürgerliches Gesetzbuch. Erst dann wurde daraus: „Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen.“
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Millennials sind konservativer
Der aktuelle Trend zu Rückbesinnung auf traditionelle Rollenverteilungen lässt sich nicht nur am Erfolg der Tradwife- und Stay-at-home-girlfriend-Bewegung ablesen. Das Meinungsforschungsinstitut Ipsos hatte im März 2024 eine Studie zum Geschlechterverhältnis veröffentlicht. Danach findet in Deutschland etwas mehr als ein Drittel der Millennials einen Mann unmännlich, der zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert. Von den Babyboomern sehen das nur acht Prozent so.
Miss Marias Missverständnis
Malischka ist ein Kind ihrer Generation. In einem Clip sinniert sie mit Blick aufs Meer nach einem neuen Hobby. „Gendern und Sich-auf die-Straße-Kleben ist irgendwie nichts für mich“, flötet sie und bringt die Netzgemeinde - die Konservativen genauso wie die Progressiven - wieder in Wallung. Den Hashtag „Satire“ übersehen die meisten. Fast meint man Carolina Tolstik kichern zu hören.
