Es ist ein sonniger Mittag im Park, als Thomas Ballhoff über die Werte redet, die er als Mensch vertreten möchte. Offenheit, Herzlichkeit und das Bewusstsein, dass man nicht allein auf dieser Welt lebt. Diese Werte habe er in seiner christlichen Erziehung vermittelt bekommen und er lebt heute noch nach ihnen. Die katholische Kirche jedoch habe sich von eben diesen Werten distanziert – und Ballhoff, der als Kind noch gerne Pfarrer werden wollte, ist nun kein Kirchenmitglied mehr.

Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Thomas Ballhoff (47), Social Media Manager beim Deutschen Kinderhospizdienst in Dortmund, ist einer davon. Sein Eindruck: „Die Kirche interessiert sich nicht mehr für die Gläubigen.“ Das sei früher noch ganz anders gewesen. „Als ich in der Schule war, sind wir jeden Mittwoch in die Kirche gegangen. Den Religionsunterricht hat der Pfarrer geleitet. Dadurch hatte er auch einen Draht zu den Kindern und wusste, wie man sie für sich gewinnt.“
So nicht, liebe Kirche!
Thomas Ballhoff hat nicht bereut, im christlichen Glauben erzogen worden zu sein: „Man hat die Religion als Kind gelebt und vorgelebt bekommen. Das hat mich nicht gestört. Ich habe meine Werte damals vermittelt bekommen. Und jetzt als Erwachsener kann ich sie nach außen tragen. Ich glaube, mit einer anderen Erziehung wäre ich ein anderer Mensch geworden.“
Früher war das mit der Kirche einfach ganz anders. Wie sehr sie sich verändert hat, war Ballhoff nach seinem Umzug nach Witten klar: „Früher wären der Pfarrer oder der Diakon zu mir nach Hause gekommen und hätte die Menschen in der Gemeinde willkommen geheißen.“ Doch der 47-Jährige bekam: nichts. Das wollte er nicht auf sich sitzen lassen.
„Ich bin ja ein Mensch, der gerne mal aneckt. Also habe ich dem Bistum geschrieben, ob es sie denn nicht interessiert, dass sie ein neues Gemeindemitglied haben“, erzählt er. Sechs Monate lang kam nichts. „Dann habe ich es noch mal probiert. Dann hieß es von einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin sinngemäß: ‚Ist ja ganz nett, da ist deine Kirche, kannste ja mal gucken gehen‘“. Da sei es für ihn klar gewesen: „Ne. Wenn ihr das so wollt, da mache ich nicht mit.“
Einfach mal Reden statt Jammern
„Die Kirche ist einfach nicht mehr da, wo sie sein sollte – bei der Gemeinde. Man sieht sie einfach nicht mehr.“ Ballhoff, der eine Zeit als Palliativpflege gearbeitet und dort Menschen auf ihrem letzten Lebensabschnitt begleitet hat, erinnert sich: „Es gab eine Sache, die ich in der Palliativpflege nicht gesehen habe: einen Pfarrer. Sicher wäre einer gekommen, wenn nach ihm verlangt worden wäre. Aber von sich aus kam niemand.“
Dabei wäre das Erste, was die katholische Kirche bräuchte, die Nähe zum Menschen: „Die Kirche sagt aktuell, ihnen laufen die Gläubigen davon. Aber anstatt zu jammern, könnte man auch einfach mit den Gläubigen sprechen“, sagt er. „Ich glaube nämlich nicht, dass die Leute ihren Glauben verlieren. Sie wechseln ihn einfach.“
Evangelische Kirche nicht besser
Offenheit und Herzlichkeit – das sind die Werte, die die Kirche nicht mehr zeige. Sie sei auf Distanz zum Menschen gegangen. Auf Thomas Ballhoff wirke es, „als hätten die Pfarrer ihre Gemeinde. Wenn Leute hinkommen, machen sie es, wenn nicht, dann nicht, aber eigentlich ist es egal, denn sie bekommen eh ihr Geld.“
Er wünschte, dass Pfarrer nahbarer wären. Wie zum Beispiel im Islam: „Von jung bis alt leben sie den Koran. Und der Imam ist immer bei den Menschen der Gemeinde.“ Das sehe er in der katholischen Kirche nicht. Und auch der evangelischen Kirche stellt Ballhoff ein schlechtes Zeugnis aus: „Nach meinen Beobachtungen nähert sich die evangelische Kirche eher der katholischen an und nicht umgekehrt. Da würde ich mir wünschen, die evangelische Kirche würde das umsetzen, was sie sich vor so vielen Jahren auf die Fahnen geschrieben hat.“
Ein Wiedereintritt in die Kirche komme für Ballhoff allerdings bei beiden Kirchen nicht infrage: „Ich brauche die Kirche nicht, um meine Religion auszuleben.“ Schon viele Jahre habe er – außer zu besonderen Anlässen wie Feiertagen, Kommunion oder Hochzeiten – keine Kirche mehr betreten. Seine Rituale bleiben weiter Teil von ihm: „Wenn ich in das Zimmer von einem Verstorbenen gehe, bekreuzige ich mich. Und wenn jemand etwas Schweres erlebt, bete ich auch weiterhin manchmal für ihn.“
Kirche auf Social Media
„Die Kirche ist im Mittelalter stehen geblieben“, urteilt Thomas Ballhoff, „ich denke zwar nicht, dass die Kirche keine Zukunft hat. Aber damit sie die hat, muss sie sich an die Zeit anpassen, offener werden.“ Heute gebe es viele verschiedene Communitys, auf die die Kirche aber nicht zugeht. Dabei gibt es Einzelfälle, die zeigen würden, wie es geht. Als Beispiel nennt Ballhoff Streamerinnen, die neben anderen Themen ihre Reichweite auf sozialen Netzwerken nutzen, um über das Thema Kirche zu reden und so näher an die jüngeren Menschen zu bringen.
„Sie holen die Menschen da ab, wo sie sind“, sagt Ballhoff. „Wieso sollte man Social Media nicht verstärkt so nutzen? Das wäre ein guter Weg, um die Strukturen für Jüngere zu öffnen.“ Wenn jüngere und ältere Menschen aufeinandertreffen, ist das zwar immer etwas schwierig, doch Ballhoff vermutet, „die ältere Generation tut sich da aber eher schwer als umgekehrt“.
Skandal-Image selbstverschuldet
Natürlich spricht Ballhoff auch die Kirchenskandale der letzten Jahre an: „Mit den vielen Skandalen in den letzten Jahren geht die Kirche katastrophal um.“ Und kirchliche Sonderrechte trugen zu so etwas bei: „Wieso zum Beispiel gibt es die Kirchensteuer? Und das Kirchenrecht?“
Fragen, die ihn beschäftigen. Auch wenn das Ganze nun hinter ihm liegt. Auf die Frage, ob er bei seinem Lebenslauf und der Tatsache, dass er seinen Glauben immer noch lebt, Schuldgefühle durch den Austritt aus der Kirche habe, sagt Thomas Ballhoff: „Gar nicht. Das Prozedere ist sehr formell. Ein schlechtes Gewissen habe ich da nicht.“ Viel mehr sei Ballhoff nach dem Austritt noch in seinem Handeln bestärkt worden.
„Auch hier zeigte sich einfach wieder, wie sehr die Kirche auf Distanz geht. Ein Brief, um die Leute vielleicht wieder zurück in die Kirche zu holen, wie es früher eventuell der Fall gewesen wäre, kam nicht.“ Er wünschte sich, die Kirche würde hier mal ansetzen: „Wie wäre es denn, alle Ausgetretenen mal zu einem Dialog einzuladen?“ Damit würde die Kirche das machen, was Ballhoff schon so lange vermisst. Sie würde Offenheit zeigen und endlich wieder beweisen, dass sie Interesse an ihren Gemeindemitgliedern hat.
Dieser Text erschien ursprünglich bereits am 16. Juli 2023.
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