Warum unter der Thier-Galerie fünf große, leere Hallen begraben liegen

© Jana Klüh

Warum unter der Thier-Galerie fünf große, leere Hallen begraben liegen

rnGeheimnisse des Westenhellwegs

Es ist die unbekannte Unterwelt der Thier-Galerie: Im Keller des Einkaufszentrums erstrecken sich fünf zwölf Meter hohe, komplett leere Hallen. Einst lagerte hier hektoliterweise Bier.

Dortmund

, 23.03.2019, 04:05 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Stufen in den Keller des Hauses, das er seit dem Sommer 2018 managt, nimmt Markus Haas nicht allzu oft. Seine tägliche Arbeit spielt sich in den vier Etagen und fast 86.000 Quadratmetern darüber ab, in Dortmunds großem Einkaufszentrum, der Thier-Galerie.

Hier, zwischen Westenhellweg und Hohem Wall, kehren jeden Tag Zehntausende Menschen ein und aus, um zu bummeln, zu essen, zu verweilen. Sie ziehen von Laden zu Laden, lassen sich von Modetrends inspirieren, erledigen schnell ein paar Besorgungen oder vertreiben sich ihre Zeit stundenlang. Für viele ist dieser Ort ein Arbeitsplatz, für noch mehr ein Freizeitvergnügen. Die Thier-Galerie ist ein eigener Mikrokosmos in Dortmund. Hier ist es selten leer und fast nie ruhig.

Markus Haas im Keller der Thier-Galerie.

Markus Haas im Keller der Thier-Galerie. © Jana Klüh

Umso krasser ist der Kontrast zu dem, was sich unter der Thier-Galerie erstreckt. Eine ganz eigene Welt. Groß ist sie, weitläufig, sehr leise – und vor allem sehr leer. Fünf Hallen mit einer Deckenhöhe von zwölf Metern verlaufen unterhalb der Fläche der Thier-Galerie. Boden, Decke, Wände – alles sieht nahezu gleich aus, hat das gleiche, leicht versiffte Grau.

An manchen Stellen verlaufen Rohre, anderswo ragen Nägel hervor, an manchen Wänden sind Graffiti, wie auch immer sie dahingekommen sein mögen, der einzige Farbfleck. Manchmal sind im Boden kleine Krater, manchmal in den Wänden. Hier und da steht ein Gerüst und eine Leiter. Und in einigen Hallen stützen dicke Pfeiler Decke und Boden.

Ansonsten ist hier: nichts.

SERIE

Geheimnisse des Westenhellwegs

In unserer Serie „Geheimnisse des Westenhellwegs“ erzählen wir in loser Folge spannende, wenig bekannte Geschichten rund um Dortmunds wichtigste Einkaufsmeile.

Ein Überbleibsel aus den Tagen, als am Westenhellweg noch Bier gebraut wurde

Diese Kellerhallen erfüllen keinen Zweck mehr. Sie existieren einfach weiter, aber gebraucht werden sie nicht. Das war vor 35 Jahren noch ganz anders. Die Räume sind ein Überbleibsel aus jenen Tagen, als am Westenhellweg noch Bier gebraut wurde. Als das riesige Gelände mitten in der Dortmunder City noch nicht Thier-Galerie hieß, sondern Thier-Brauerei. Jahrelang wurde in diesen riesigen Räumen unter der Erde Bier vergoren und gelagert.

Ursprünglich lag an der Stelle, an der später jene Kellerhallen entstanden, die Feuerwache 1 der Dortmunder Feuerwehr. Von hier aus fuhren die Wehrleute zu ihren Einsätzen. Als die Feuerwache in den Norden, zur Steinstraße umzog, kaufte die Privatbrauerei Thier das Grundstück.

Ein historisches Bild der Thier-Brauerei.

Ein historisches Bild der Thier-Brauerei. © Archiv

Josef Cremer hat 1888 die Brauerei übernommen, die etwas mehr als 30 Jahre zuvor von den Dortmunder Kaufleuten Wilhelm von Hövel, Gustav Thier, der eine geborene Cremer zur Frau hatte, und Heinrich Sonnenschein gegründet worden war. Seither war die Brauerei in den Händen der Dortmunder Familie Cremer.

Der Beginn einer hochmodernen Zeit

Peter Cremer, der Ur-Enkel von Joseph Cremer, dem späteren Geheimrat und Ehrenbürger der Stadt Dortmund, war es, der damals die Geschicke der Brauerei mit seinem Onkel Dr. Walter Cremer leitete. Mit dem Erstehen des ehemaligen Feuerwehr-Geländes habe Mitte der 80er-Jahre für die Thier-Brauerei eine neue hochmoderne Zeit begonnen.

Als die Feuerwehr umgezogen war, wurde das Gelände zunächst als Kraftfahrzeughalle genutzt. Doch der Gär- und Lagerbereich musste damals dringend modernisiert werden, auch, weil die Thier-Brauerei expandieren wollte.

Die Kfz-Halle (links) auf dem Gelände der Thier-Brauerei 1978. Sie wurde bei der Erweiterung der Tiefkeller 1984 abgerissen. Auf ihrem Standort wurden auch Gär- und Lagertanks aufgestellt. Im Hintergrund: Das Eckhaus Potgasse / Silberstraße, das auch heute noch steht.

Die Kfz-Halle (links) auf dem Gelände der Thier-Brauerei 1978. Sie wurde bei der Erweiterung der Tiefkeller 1984 abgerissen. Auf ihrem Standort wurden auch Gär- und Lagertanks aufgestellt. Im Hintergrund: Das Eckhaus Potgasse / Silberstraße, das auch heute noch steht. © Privatarchiv Cremer

Deshalb fiel die Entscheidung, an jener Stelle Tiefkeller zu installieren mit Platz für circa 20 Gär- und Lagertanks. Ein Tank konnte jeweils 2000 Hektoliter Bier fassen. Mithilfe riesiger Kräne seien die Tanks in die Erde gelassen worden, erzählt Peter Cremer. Gestützt wurden sie von dicken Pfeilern, die auch heute noch in den Hallen zu sehen sind.

Die Ruhr Nachrichten berichteten im Dezember 1984 über den Einbau der Gär- und Lagertanks. Mithilfe von Spezialtransportern waren diese zur Thier-Brauerei geliefert worden. „Ein Kran hob die monumentalen Tanks in die vorbereiteten Fundamente“, heißt es in dem Artikel. Für die Fahrer des Spezialtransports sei die Anlieferung Millimeterarbeit gewesen – denn an der Ecke Silberstraße / Potgasse war es ganz schön eng.

Die 14 Tonnen schweren Gär- und Lagertanks wurden mithilfe von Kränen in die Tiefkeller der Thier-Brauerei gehievt.

Die 14 Tonnen schweren Gär- und Lagertanks wurden mithilfe von Kränen in die Tiefkeller der Thier-Brauerei gehievt. © Aloys Reminghorst

Zuvor hatte die Brauerei ausschließlich mit offenen Gär-Bottichen und kleineren Lagertanks gearbeitet. Diese neuen, geschlossenen Tanks waren das modernste der damaligen Brautechnik, sagt Peter Cremer. Sie gestatteten ein äußerst hygienisches Vorgehen beim Gär- und Lagerprozess sowie eine exakte Kontrolle durch ausgedehnte Datenverarbeitung. Wenn vorgegebene Daten über- oder unterschritten wurden, gab es Alarm. Somit gab es bei reduziertem Personalaufwand und hohen Investitionen eine erhebliche und andauernde Qualitätsverbesserung für die Biere, berichtet Peter Cremer.

1977 entstand dieses Bild von den Bauarbeiten an Tiefkellern auf dem Gelände der Thier-Brauerei, unter der heutigen Thier-Galerie.

1977 entstand dieses Bild von den Bauarbeiten an Tiefkellern auf dem Gelände der Thier-Brauerei, unter der heutigen Thier-Galerie. © Privatarchiv Cremer

Das Ende von Thier am Westenhellweg

Ende 1992 verkaufte die Familie Cremer die Thier-Brauerei an den Dortmunder Konkurrenten Kronen – und mit ihr auch das gesamte technische Equipment. Als Kronen wiederum 1996 an die Dortmunder Actien-Brauerei verkauft wurde, zog die gesamte Produktion an die Steigerstraße in der Nordstadt. Ein Großteil des Equipments sei dann von der Kronen-Brauerei nach China verkauft worden, sagt Peter Cremer. Wahrscheinlich auch die Gär- und Lagertanks.

Ende der 90er-Jahre entstand auf dem ehemaligen Thier-Gelände eines der bis heute beliebtesten Party-Viertel Dortmunds, bis 2008 die Entscheidung für den Bau der Thier-Galerie fiel. Die Kellerräume spielten da schon lange keine wichtige Rolle mehr.

Ende 2009 haben die Bauarbeiten für die Thier-Galerie auf dem Gelände der ehemaligen Thier-Brauerei begonnen. Die alten Gär- und Lagerkeller wurden dabei überbaut.

Ende 2009 haben die Bauarbeiten für die Thier-Galerie auf dem Gelände der ehemaligen Thier-Brauerei begonnen. Die alten Gär- und Lagerkeller wurden dabei überbaut. © Dieter Menne

Als Ende 2009 die Bauarbeiten für die Thier-Galerie begonnen haben, sind sie dann einfach überbaut worden. „Es ist eine Fläche, die nicht vermietet werden kann“, sagt Thier-Galerie-Manager Markus Haas. Und so wird er auch in Zukunft nur selten die Treppen in den Keller hinuntersteigen. Denn die Räume, die einst von großer Bedeutung für Dortmunds Bierversorgung waren, bleiben das, was sie jetzt sind: groß und leer.

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