In Dortmund trainiert die Elite Kai Wehnes‘ Sport ist wie Billard - und doch anders

Team aus Dortmund trainiert für die Carrom-Meisterschaften
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Treffpunkt Manhattan Sportsbar, an einem Dienstag. Das Lokal ist erst seit einer Stunde geöffnet, doch ein paar besonders Sportbegeisterte haben sich bereits eingefunden. Direkt hinter den zur Hälfte belegten Billardtischen bereiten sich gerade die Carrom-Spieler auf ihr wöchentliches Training vor.

Ein blonder Mann erhebt sich und stellt sich als Kai Wehnes vor. Der 34-Jährige ist der Jugendwart des RCS Dortmund e.V.. Aus einem Nebenraum trägt Wehnes nun den letzten Spieltisch herein und baut ihn zusammen. Eine Schreibtischlampe steht direkt neben dem Brett, eine Wasserwaage liegt auf dem Tisch. Auch wenn die Umgebung vielleicht ein wenig heimelig anmutet, hier trainiert heute die deutsche Carrom-Elite mit. Daher müssen die Bedingungen Wettkampftauglich sein.

Das Ziel haben die Spieler bereits vor Augen. Am 4. November wird die deutsche Meisterschaft im Carrom ausgetragen. Stattfinden wird das Event im Jugendzentrum an der Gleiwitzstraße. „Bis 9.30 Uhr kann man sich dort zum Mitmachen eintragen“, sagt Kai Wehnes und grinst.

Taschenbillard aus Indien

Ein älterer Spieler setzt sich auf den Platz gegenüber von Wehnes. Als er über Carrom spricht, beginnen seine Augen zu leuchten. Seit mehr als 25 Jahren spielt Dierk Taraks nun Carrom. Das Spiel stammt aus dem indischen Kulturraum und galt in der Region lange als Volkssport. Die umgangssprachliche Bezeichnung „Taschenbillard“ kommt nicht von ungefähr, sagt Kai Wehnes. Carrom hat viele Parallelen zum Billard, auch wenn Carrom ohne Queue auskommt.

Dierk Taraks legt die Carrom-Steine in die Startformation.
„Ich bin nach Arnhem gefahren und wir haben die ganze Nacht durchgespielt“, erinnert sich Dierk Taraks an seine erste Begegnung mit dem Spiel. © Mathias Gaumann

Dierk Taraks hat das Spiel bei einem holländischen Entwicklungshelfer kennengelernt. Dieser brachte ein schiefes Carrom-Board aus Nepal mit. „Ich bin nach Arnhem gefahren, und wir haben die ganze Nacht durchgespielt“, erinnert sich Taraks. Am nächsten Tag hat er sich dann ein eigenes Board gekauft, erzählt er weiter.

Auch Wehnes verbindet eine persönliche Geschichte mit dem Brettspiel. Sein Großvater brachte ein Carrom-Spielbrett von einer Reise aus Berlin mit, „da war ich zwölf oder dreizehn“, erinnert sich Wehnes. Bis heute ist die Faszination für die schwarzen und weißen Holzstücke geblieben.

So wirds gespielt

Das Carrom-Spielfeld hat eine Größe von 74 mal 74 Zentimetern. In der Mitte des Brettes liegen neun weiße und neun schwarze Spielsteine. In der Mitte thront ein einzelner roter Stein, die sogenannte Queen. Mithilfe des Strikers, dem etwas größeren Schussstein, versuchen die Spieler, die neun eigenen Spielsteine der eigenen Farbe in den Ecklöchern des Carrom-Bretts zu versenken. Pro versenktem Stein gibt es einen Punkt, die versenkte Queen bringt sogar drei Punkte.

Beim ersten Hinsehen irritiert, dass sowohl das Spielbrett als auch das ein oder andere T-Shirt mit weißem Staub bedeckt ist. „Das ist Kartoffelmehl“, sagt Kai Wehnes und greift nach einem Gegenstand, der wie ein großer Salzstreuer aussieht. Großzügig verteilt er das Pulver auf dem Spielfeld. Dierk Taraks ergänzt: „Das Pulver erhöht die Gleitfähigkeit der Spielsteine. Die Steine würden sonst durch die Reibung mit der Spielplatte ihre Geschwindigkeit verlieren.“

„Das ist Wettkampf-Standard“, sagt Wehnes und grinst. Genau wie die großen Schreibtischlampen, die senkrecht über jedem der Spielfelder montiert sind, um für die Spieler optimales Licht zu liefern. Noch gut einen Monat ist Zeit, bis in Scharnhorst die deutschen Meisterschaften ausgetragen werden. Viele der Spieler haben mit der persönlichen Vorbereitung begonnen. „Da wird dann vereinzelt stärker auf Leistungen geschaut“, sagt der Jugendwart.

Jeder kann Carrom spielen

Während des Gesprächs hat Wehnes bereits angefangen, Carrom-Steine in die anfängliche Sternpostion zu schieben. Auf der anderen Seite sitzt Dierk Taraks und lässt den Kontrahenten nicht aus den Augen. Wehnes schnippt den Striker mit voller Kraft in die Formation, einer seine Spielsteine verschwindet in einem der Ecklöcher, was Taraks ein anerkennendes Brummen entlockt. Heute ist das Glück auf der Seite des Jugendwarts. Innerhalb weniger Minuten kann er alle Steine, inklusive Queen, versenken.

Mehrere Carrom-Spieler grübeln über ihren Partien.
Jeden Dienstag trifft sich der Verein in der Manhattan Sportsbar in Brackel. Los gehts ab 19 Uhr, bis etwa 23 Uhr, sagt Jugendwart Kai Wehnes. © Mathias Gaumann

„Manchmal trifft man nicht sofort, dann muss man sich mental von der Situation lösen“, sagt Taraks. Verlieren gehört eben auch dazu. „Es gibt im Spiel tausende Situationen, wo keine der anderen gleicht“, sagt der Carrom-Fan. Grundsätzlich sei die Atmosphäre sehr freundschaftlich. Starallüren gebe es bei ihnen nicht.

Was alle Spieler eint, ist die Faszination für den gemeinsamen Sport. Ein anderer Spieler kommt am Ende des Gesprächs zur Redaktion. Er zeigt ein Video von einem indischen Carrom-Spieler, der keine Arme hat. Er spielt mit den Füßen — und das sehr erfolgreich.

„Wer Lust hat zu spielen, kann sehr gern vorbeikommen. Carrom kann jeder spielen“, sagt Kai Wehnes zum Schluss. Das trifft nicht nur auf die Meisterschaft zu. Jeden Dienstag trifft sich der Verein in der Manhattan Sportsbar in Brackel. Los gehts ab 19 Uhr, bis etwa 23 Uhr, gibt der Jugendwart weiter. Dann setzt er den Striker erneut auf die Grundlinie und schnippst seinen nächsten Stein in die Ecke.

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