
© Marc D. Wernicke
Geschichte hinter den Stolpersteinen: Eine starke Familie kehrt zu ihren Wurzeln zurück
Nationalsozialismus
In Hombruch wurden am Montag zwei Gedenksteine für Gustav und Emmi Eisenstein eingeweiht. 17 Nachkommen reisten dazu an. Wie erinnern sie sich an ihre Ahnen, denen sie selbst nie begegneten?
Es ist Montag (8. Juli) kurz vor 14 Uhr in Hombruch. Am westlichen Zugang der Fußgängerzone herrscht alltägliche Geschäftigkeit – doch etwas ist heute anders. Vor der Filiale eines Mobilfunkanbieters an der Harkortstraße 73 hat sich eine Menschenmenge versammelt. Die meisten Passanten gehen schnell vorbei, andere werden neugierig, als sie hören, dass hier nicht nur Deutsch, sondern auch Englisch und Hebräisch gesprochen wird.

Rund 50 Personen wohnten der Verlegung der Gedenksteine bei. Neben den heutigen Nachkommen von Gustav und Emmi Eisenstein nahmen auch lokale Amtsträger und Passanten teil. © Marc D. Wernicke
Es ist die Familie Eisenstein, die an diesem Tag aus Israel sowie verschiedenen Orten im Kölner Raum und Bayern angereist ist, um ihrer Vorfahren zu gedenken: Emmi und Gustav Eisenstein haben in Hombruch gelebt, bis sie von den Nationalsozialisten deportiert wurden. Seitdem gelten sie als verschollen und wurden mit dem Ende des Krieges am 8. Mai 1945 für tot erklärt.
Bewegende Worte
Aus den Reihen der Familie tritt eine Frau nach vorn und wendet sich an die rund 50-köpfige Menge, der sich neben Amtsträgern von Stadt und Bezirk nun auch einige Passanten angeschlossen haben. Die jüngste Enkeltochter Ruth Eisenstein, geboren 1956, hält eine bewegende Ansprache: „Liebe Oma, lieber Opa! Wir sind alle heute hier hingekommen, um euch zu sagen – Die Familie hat euch nicht vergessen. Und auch die Stadt Dortmund hat euch nicht vergessen.“
Sie erzählt vom Leben ihrer Großeltern, die sie selbst nie kennengelernt hat. Emmi Eisenstein, geborene Meyer, kam 1879 in Hagen zur Welt. Gustav wurde 1875 in Witten-Annen geboren. Sie heirateten 1905 und bekamen drei Kinder – Hilde, Ilse und Günther Alexander, Ruth Eisensteins Vater. Das Ehepaar lebte in Hombruch und betrieb ein Sportartikelgeschäft. Nach der Reichspogromnacht im November 1938 wurde Gustav festgenommen und in der Steinwache, dem damaligen Gestapo-Gefängnis in der nördlichen Innenstadt, eingesperrt.

Ruth Eisenstein (links) ist die jüngste Enkeltochter von Gustav und Emmi. Sie lernte ihre Großeltern nie kennen. Urenkelin Erga Eisenstein erzählte von ihrem Großvater Gavriel, der 1937 aus Deutschland floh. © Marc D. Wernicke
Die Nationalsozialisten nennen die Inhaftierung „Schutzhaft“, Ruth Eisenstein nennt es „Verrat“. Hatte ihr Großvater als Patriot doch selbst im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft. 1942, als der Zweite Weltkrieg und der Holocaust bereits in vollem Gange waren, wurden Gustav und Emmi nach Riga im besetzten Lettland verschleppt. Dort verliert sich ihre Spur. Ihre Tochter Ilse und die damals zehnjährige erste Enkelin namens Ruth waren zu diesem Zeitpunkt schon tot: Die Nazis hatten sie im November 1941 nach Minsk vertrieben und ermordet.
Neuanfang in Israel
Ilses zwei jüngere Töchter haben überlebt, ebenso ihre Geschwister Hilde und Günther Alexander, der bereits 1937 auf Geheiß der Eltern in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina geflohen war, aus dem nach dem Krieg der moderne Staat Israel entstand. Dort lebte er als Gavriel Eisenstein und gründete eine Familie. Seine Enkelin Erga erinnert sich an ihn: „Kind-Großvater, rief ich dich, denn du hast immer versucht, uns zum Lachen zu bringen. Du warst dem Leben gegenüber stets dankbar und positiv eingestellt, hast dich nie mit dem Negativen befasst.“

17 lebende Nachkommen von Gustav und Emmi Eisenstein waren aus Israel und verschiedenen deutschen Städten angereist. © Marc D. Wernicke
Von ihrem Großvater wisse sie, dass Emmi und Gustav zu Lebzeiten Freude an der Natur und klassischer Musik gehabt hätten. Es ist eine gemischte Stimmung, die in der Luft liegt: Einerseits Trauer für die Ermordeten, andererseits Zuversicht und Genugtuung darüber, dass die Erinnerung an sie fortbesteht: „Ihr habt in dieser Welt lebendige Spuren hinterlassen“, betont Ruth Eisenstein, „Zwei Kinder, die überlebt haben, sieben Enkelkinder, sechzehn Urenkel und um die 22 Ururenkel.
Meine Söhne Avner und Noam, die heute hier neben mir stehen, haben mir mehrmals gesagt, sie werden den Namen Eisenstein für euch, für unsere Familie, auf ewig in Ehren halten.“
Auch in Hombruch sollen sie nicht vergessen werden: An der Harkortstraße 73, vor dem Haus, in dem sie einst lebten, erinnern jetzt zwei Gedenksteine im Bürgersteig an Emmi und Gustav Eisenstein.
1988 in Dortmund geboren. Lokaljournalist seit 2010. Schreibt für die Ruhr Nachrichten seit 2014 über Hombruch, Hörde und Aplerbeck.