Als die Staatssicherheit Monika Schultheis zur Agentin machen wollte

© Stephan Schütze

Als die Staatssicherheit Monika Schultheis zur Agentin machen wollte

rnStasi in Dortmund

Neue Spitzel brauchte das Land. Besuche bei der Oma in Dresden nutzte die Stasi für Anwerbeversuche. Wie gut informiert Mielkes Männer über die junge Frau waren, wundert sie bis heute.

von Dirk Berger

Dortmund

, 31.01.2020, 15:48 Uhr / Lesedauer: 3 min

Ich? Monika Schultheis war immer weit davon entfernt, sich so wichtig zu nehmen, als dass ein ausländischer Geheimdienst sich jemals hätte für sie interessieren können. Dass es anders kam, lag vielleicht an ihrer Vita als Tochter von Eltern, die Anfang der 50er Jahre in den Westen „rübergemacht“ hatten, und daran, dass sie als Enkelin über Jahre durch Besuche die Verbindung zur Oma in Dresden aufrechterhielt. Oder daran, dass sie bis 1972 als Reisekauffrau beim DGB Freizeitwerk am Ostwall Reisen organisierte. „Was weiß ich“, sagt sie heute.

Unbekannter Mann vor der Tür

Als aber am 16. November 1971 bei der Oma in Dresden ein unbekannter Mann an der Tür klingelte und die Enkelin ins Gespräch verwickelte, ahnte sie, dass das ihr ganz persönlicher Stasi-Moment werden könnte. „Rogalla“, stellte er sich vor. Ganz offiziell. 30 bis 35 Jahre alt und unscheinbar. Als Typ und auch so gekleidet.

Die Galerie für Mode, Schmuck und Design „Moni’s Art“ an der Alten Benninghofer Straße 11, die die 75-jährige seit den 70er Jahren betreibt: Auf einem Kaffeetisch liegt eine beige Aktenmappe. 40 Kopien stark, vielleicht anderthalb Zentimeter dick. 1,5 Zentimeter von insgesamt 111 Kilometern Akten, in denen zuletzt 180 000 inoffizielle Mitarbeiter der Stasi über Jahrzehnte ihre Beobachtungen, Lauschangriffe, ihr ganzes Wispern und Raunen einfließen ließen.

Monika Schultheis stellte nach der Wende einen Antrag auf Akteneinsicht an die Stasiunterlagen-Behörde in Berlin. Mit Erfolg. Die Recherchen ergaben: Das MfS legte eine Akte über die Dortmunderin an.

Monika Schultheis stellte nach der Wende einen Antrag auf Akteneinsicht an die Stasiunterlagen-Behörde in Berlin. Mit Erfolg. Die Recherchen ergaben: Das MfS legte eine Akte über die Dortmunderin an. © Stephan Schütze

Es war die Erinnerung an die Besuche bei der Oma, die einige Male mit dem Auftauchen unbekannter Männer einher gingen, mit anschließenden Gesprächen in irgendwelchen Gaststätten. Belanglos, „weil ich absolut nichts mitzuteilen hatte, was sie hätte interessieren können. Aber ich wusste: Das war die Stasi.“

Den Decknamen hatte die Stasi bereits ausgesucht

1998 hat Monika Schultheis schließlich Akteneinsicht bei der damaligen Gauck-Behörde beantragt. „Es war eine fixe Idee“, erinnert sie sich, „und als im April 2001 wirklich eine Akte kam, war ich platt.“

Sie blättert in den Unterlagen und muss heute noch lachen, wenn sie in der „Begründung der Notwendigkeit der Gewinnung und Plan der Überprüfung eines Kandidaten IM-West“ liest, weshalb sie zur IM West mit dem Decknamen „Theis“ geadelt werden sollte: „Es geht darum, den Nachweis über die Ausnutzung der westlichen Reiseverkehrseinrichtungen zur Feindtätigkeit in den sozial. Ländern sowie gegen die DDR zu erbringen.“ Dann ging es um das „Abschöpfen der SCH. über den Charakter des Reisebüros, Vertragsabschlüsse mit dem soz. Ausland…“ und so fort. Alles nachzulesen in der Akte VII 2112.2.

„Ich musste das Spiel mitspielen“

„Ich war ,Material‘, so steht das da drin“, sagt Monika Schultheis heute, und das geht ihr schon noch quer runter. Angst habe sie nie gespürt bei den Treffen. „Ich war viel zu selbstbewusst, als dass die mich hätten unter Druck setzen können.“ Doch die ersten zehn Jahre nach der Republikflucht hätte die Familie die Oma nicht besuchen dürfen. Daher wusste die Enkelin, dass sie das Spiel mitspielen musste, um weitere Nachteile für ihre Großmutter zu vermeiden, ihre Besuche bei ihr nicht zu riskieren. Sie musste sich immer interessant halten. Also traf sie sich zum Plaudern über – nichts. Sie blättert weiter, eine Kopie zeigt eine an die Oma adressierte, abgefangene Postkarte, eine Stadtansicht. „Die haben sie sogar von vorne abfotografiert“, wundert sie sich, „was hat das für eine Aussagekraft?“ Naja, keine eben.

Inoffizielle Mitarbeiter schätzten Westbesucher umfassend ein. Könnte derjenige einer Agenten-Tätigkeit aufgeschlossen gegenüber stehen?

Inoffizielle Mitarbeiter schätzten Westbesucher umfassend ein. Könnte derjenige einer Agenten-Tätigkeit aufgeschlossen gegenüber stehen? © Stephan Schütze

„Der Kandidat hat objektiv gute Möglichkeiten, unser Organ über uns interessierende Probleme zu informieren“: Dafür gab Rogalla, von dem Monika Schultheis nur den Nachnamen erinnert, alles. In einem handgeschriebenen Brief versuchte sich der Mann der Staatssicherheit auf einem weiteren Feld: Er raspelte Süßholz. „Ihre nette, aufgeschlossene Art veranlasste mich, mir nach unserem Gespräch auszumalen, wie schön es gewesen wäre, mit Ihnen gemeinsam die schönsten Ecken und Eckchen in Dresden neu zu entdecken. Sicherlich hätten wir auch einmal die Nacht zum Tage gemacht…“ Monika Schultheis lacht: „Ist das wohl irre?“ Einmal hätte er sie sogar gefragt, ob sie ihm nicht für sein Auto ein Ersatzteil im Westen besorgen könne? „Was ich nicht tat“, sagt sie. Und dann ganz offen, ob sie nicht für die DDR arbeiten wolle. Die Antwort: „nein.“

Irgendwann kam die Stasi nicht mehr

Aber eines musste sie den Mielke-Agenten lassen: Sie waren gut über sie informiert. „Die standen immer vor der Tür, wenn ich da war“, erinnert sie sich. Unangemeldet und jedes Mal. Bis dann irgendwann 1973 Schluss war. „Ich war eine Frau mit einem ganz normalen Job, die nichts zu verraten hatte“, stellt Monika Schultheis fest. Das hat Rogalla dann auch irgendwann gemerkt. Danach habe sie nie mehr etwas von der Stasi gehört. Sie fasst die Kopien wieder zusammen und schiebt sie in den Umschlag.

Das Reden darüber und das Lachen haben dafür gereicht, dass durch ihre Galerie für Mode an diesem Nachmittag noch einmal kurz der Mantel der Geschichte wehte. 41 Millionen Karteikarten fanden sich in den Regalen der Stasi, in einem Staat mit 16 Millionen Einwohnern. Eine davon trägt ihren Namen. „Es hat mein Leben nicht tangiert“, sagt sie heute, „keiner hat irgendwelche Nachteile davon gehabt.“ Aber eine markante Erinnerung ist es geblieben.

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