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Unionviertel: „Am Anfang der Entwicklung“
Stadtteilcheck
Das Unionviertel ist ein spannendes Quartier in der Innenstadt und profitiert vom Stadtumbau an der Rheinischen Straße. Die Anwohner fühlen sich hier wohl, Kritikpunkte gibt es dennoch.
Yvonne Johannsen (32) ist bestens vertraut mit dem Viertel, das damals, als sie für ihr Studium zur Raumplanerin aus dem Münsterland nach Dortmund zog, noch gar nicht so hieß. Im Herbst 2011 lernte sie bei einem Studien-Projekt „Die Urbanisten“ kennen – einen Verein „für die aktive Mitgestaltung der eigenen Stadt“. 2012 folgte die Diplomarbeit über Kinder und Jugendliche im Quartier. Im gleichen Jahr bezog der Verein, dessen Vorstand sie heute angehört, sein Stammhaus an der Rheinischen Straße 137 – und der Name „Unionviertel“ wurde aus der Taufe gehoben.
Über die Jahre hat sie „ihr“ Viertel ins Herz geschlossen, wohnt selbst nur wenige Minuten Fußweg von ihrem Arbeitsplatz entfernt. „Was in Sachen Stadtentwicklung in den vergangenen Jahren hier geschehen ist, ist ein großer Erfolg. Auch dass der Name Unionviertel schnell angenommen wurde.“ Sie betont aber auch: „Die Bahntrasse ist eine Grenze innerhalb des Unionviertels, das ist sofort spürbar.“ Und tatsächlich teilt die Dorstfelder Brücke das Quartier in zwei Hälften: „Westlich der Brücke leben ökonomisch schwache Haushalte, vergleichbar mit einigen Nordstadtquartieren.“ Dennoch hätten der Stadtumbau, vor allem aber die Akteure vor Ort viel erreicht: „Es ist gelungen, Rechtsextreme aus dem Unionviertel zu drängen.“ Bezirksbürgermeister Ralf Stoltze rechnet mit einer baldigen Entwicklung: „Ab Januar arbeitet das neue Quartiersmanagement der Bezirksvertretung, wie gerade beschlossen, wieder an Verbesserungen für die Bewohner des Gebiets westlich der Dorstfelder Brücke bis zur Anbindung des HSP- Geländes an Dorstfeld.“
Das wurde positiv bewertet
Verkehrsanbindung: Hier vergeben die Anwohner die volle Punktzahl. Die U 44 verbindet die Nordstadt mit Marten, die U 43 Dorstfeld mit Wickede. Von der S-Bahn-Haltestelle West S geht es Richtung Lütgendortmund und Unna, die Rheinische Straße ist eine der wichtigsten und meistbefahrenen Verkehrsadern in der Innenstadt.
Nahversorgung: Auch da gab es 10 Punkte. Entlang der Rheinischen Straße stehen mehrere Supermärkte, auch die unmittelbare Nähe zum Kreuzviertel bietet zahlreiche Möglichkeiten zum Einkauf. „Außerdem gibt es hier eine sehr lebendige Kiosk-Kultur“, meint Yvonne Johannsen. „Manche kann man schon fast als Vollversorger bezeichnen.
Gastronomie: „Diese positive Bewertung hat mich überrascht“, gesteht Yvonne Johannsen. Immerhin 8 Punkte haben die Leser vergeben – deckungsgleich mit dem gesamtstädtischen Durchschnitt. „Ich würde mir wünschen, dass die Stadt Gastronomen, die hier etwas wagen möchten, die Ansiedlung erleichtert.“ Dennoch kann sie sich den positiven Wert erklären: Immerhin sei die Kaufkraft im Viertel eher gering, dafür sei das Angebot recht groß. „Und das, was da ist, ist dafür nicht so teuer.“ Größtenteils beschränkt sich das Angebot auf ordentliche bis sehr gute Grill-Restaurants. Und auf dem Kneipensektor ist die einstige Tankstelle, das „Kraftstoff“, immer noch eine beliebte Anlaufstelle.
Wohnen: Zwar haben die Teilnehmer hier „nur“ 7 von 10 Punkten vergeben, damit liegt das Unionviertel aber einen Punkt über dem stadtweiten Durchschnitt. Für die Raumplanerin ist die Punktvergabe leicht nachzuvollziehen: „Gerade am Anfang der Entwicklung, aber auch jetzt noch gibt es hier bezahlbaren Wohnraum in teilweise zusammenhängenden Altbau-Häusern, alles in einer wahnsinnig stadtnahen Gegend.“ Fest stehe aber auch: „Die positive Entwicklung zeigt sich im östlichen Bereich, überschreitet man die Dorstfelder Brücke, sieht das ganz anders aus. Die beiden U-Bahn-Haltestellen sind nicht einmal barrierefrei.“
Das wurde negativ bewertet
Radfahren: Nur 4 Punkte gibt es für das Radwegenetz. „Das ist im Viertel richtig furchtbar, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll“, so Johannsen. „Nahe des Zentrums gibt es noch einen breiten Weg, der Richtung Berufskolleg immer enger wird.“ Auf der anderen Seite der Rheinischen Straße beeinträchtigen die Arkaden die Sicht für Radfahrer. „Und hinter der Brücke hört der Radweg ganz auf. Und es gibt überhaupt keine Radständer. Hier muss die Stadt ihre Arbeit machen. Wie will man denn sonst die Menschen dazu bringen, vom Auto auf das Rad umzusteigen?“

Die Arkaden an der Rheinischen Straße machen es Rad- wie Autofahrern nicht leicht, immer die Übersicht zu behalten. © Schütze
Das sieht Ralf Stoltze, Bezirksbürgermeister Innenstadt-West, sehr ähnlich: „Rund 50 Prozent der Bewohner haben gar kein Auto mehr und müssen dringend in den nächsten Jahren sichere und bequemere Wege für das Rad und die schon heute gute ÖPNV- Anbindung bekommen. Die Bezirksvertretung fordert eine schnellere Umsetzung dieser Ideen.
Sauberkeit: Auch im Bereich Sauberkeit strafen die Anwohner ihr Viertel mit nur 4 Punkten ab. Johannsen sieht hier ebenfalls einen Knackpunkt: „Die Erfahrung machen wir ja auch direkt vor unserem Büro, da muss man sich schon häufiger bücken und Müll aufheben. Und das liegt wirklich nicht an der Infrastruktur, die Abfallbehälter sind da, manchmal nur einen Meter entfernt.

Müll wird im Viertel gerne auf den Boden geworfen oder auch mal an Straßenecken abgestellt. © Schütze
Bei der Entsorgung Dortmund GmbH (EDG) kennt man das Problem: „Das Unionviertel ist ein stark beparktes Viertel, das von unseren Kleinkehrmaschinen oft nicht befahren werden kann“, berichtet EDG-Sprecherin Petra Kroll. Man sei zwar auch oft mit Kehrern vor Ort, aber das achtlose Wegwerfen von Müll, Papier und Zigarettenkippen sei ein Problem. „Wir tun, was wir können, aber es ist eben auch ein Zusammenspiel zwischen uns und den Bewohnern.“
Yvonne Johannsen: „In strukturschwachen Gegenden kann man manchmal gar nicht so oft die EDG anrufen, wie man möchte. Das Thema ist ein echter Dauerbrenner.“ Sie ist aber überzeugt: „Wenn man die äußere Hülle aufwertet, zum Beispiel die Häuserfassaden, schätzen die Menschen ihre direkte Umgebung auch anders ein.“ Eine Strategie, die der Spar- und Bauverein vor Ort schon lange und mit Erfolg praktiziere. Franz-Bernd Große-Wilde, Vorsitzender der Genossenschaft: „Mittlerweile gehören die Straßenzüge mit komplett sanierten Fassaden und modernen Wohnungen samt neuen Balkonen zu den Schmuckstücken rund um den Westpark.“
Familienfreundlichkeit: Lediglich 6 Punkte für diesen wichtigen Themenbereich. „Mit Ach und Krach noch eine akzeptable Note“, meint Yvonne Johannsen. „Zwar gibt es eine steigende Anzahl an Kitas, aber keine einzige Grundschule.“ Dabei sei es gerade für die Alleinerziehenden im Viertel, die Kleinunternehmer sind, wichtig, den Nachwuchs möglichst nah unterbringen zu können. „Schließlich sind viele von ihnen nicht mit dem Auto unterwegs.“ Eine Hilfe sei immerhin das Heinrich-Schmitz-Bildungszentrum für Kinder. Das sei zwar keine Schule, biete aber eine zusätzliche Betreuung.

Sicherheit: In Sachen Sicherheit haben die Leser aus dem Unionviertel nur 6 Punkte vergeben - einen weniger, als Dortmund insgesamt erhalten hat. „Der Sicherheitsaspekt ist natürlich hochgradig subjektiv“, meint Yvonne Johannsen. Für sie gebe es keine Indikatoren dafür, dass es im Unionviertel unsicherer sei, als es der unterdurchschnittliche Wert zeige. „Aber die Stadt wächst, es wird voller und vielfältiger. Das allein kann dazu führen, dass sich einige mit der Situation nicht mehr wie zuvor zurechtfinden.“ Wichtig für die Stadtplanung: „Reagieren kann man bei der Stadtplanung, wenn man Räume hell und offen gestaltet, frei von Angsträumen. Da gibt es viele Möglichkeiten.“
Streitthema Westpark: „Der Westpark ist ein wichtiger Freiraum“, sagt Yvonne Johannsen. „Und zwar nicht für eine bestimmte Szene, sondern für die gesamte Gesellschaft: Studenten, Familien, Migranten, Trinkerszene – integrativer geht es eigentlich nicht.“ Der Leidensdruck der Anwohner sei absolut nachvollziehbar, besonders nach diesem langen, heißen Sommer. „Es muss aber eine Lösung für das Allgemeinwohl geben. Der Westpark ist städtisch, kostenlos und für alle da, das muss erhalten bleiben. Wichtige Frage: Wie kann ich die Tagesbesucher dazu bringen, sich so zu benehmen, als würden sie selbst da wohnen.“
EIN „NEUES“ QUARTIER FÜR 8026 MENSCHEN
- Einst war das Viertel zwischen Westentor und Dorstfelder Brücke, zwischen Rheinischer Straße und Sonnenstraße den meisten Dortmundern schlicht als Westend bekannt.
- Das Quartier gehört heute zum Stadtumbauprogramm Rheinische Straße. 2012 wurde im Rahmen einer Imagekampagne der Name Unionviertel etabliert.
- Heute leben auf etwa 155 Hektar 8026 Menschen. Vor allem die Kreativwirtschaft soll hier ansässig werden.

Das einstige Brauereigebäude der Union-Brauerei ist heute Wahrzeichen Dortmunds und Namensgeber des Viertels. © Stephan Schütze