
© Oliver Schaper
Darum wurde Brechten zu Dortmunds lebenswertestem Stadtteil gekürt
Stadtteilcheck
Ein Besuch bei Familie Benkhofer macht deutlich, warum die Brechtener einen Tick mehr Lebensqualität empfinden als andere Dortmunder. Dabei ist dort die Welt auch nicht nur in Ordnung.
Manchen Dortmunder im südlichen Stadtgebiet wird das Ergebnis überraschen, die Brechtener nicht. Sie haben bei unserer Stadtteilcheck-Umfrage die Lebensqualität durchschnittlich mit 10 Punkten bewertet. Kein anderer Stadtteil erzielte diesen Höchstwert. „Brechten ist wirklich ein sehr lebenswerter Stadtteil, der ländlich und von viel Heimatliebe geprägt ist. Wir sind das Tor zum Münsterland, sind verkehrlich super angeschlossen und ziemlich schnell sowohl am Schloss Nordkirchen als auch im Sauerland“, sagt Magnus Benkhofer (39). Der Architekt lebt mit seiner fünfköpfigen Familie am Rauhen Kamp – und damit am nach Lünen blickenden Rand des Stadtteils.
„Es gibt fast alles vor Ort“
Das Topergebnis für Brechten ist kein wissenschaftliches Ergebnis, aber als Ur-Brechtener nennt Magnus Benkhofer auf Anhieb noch mehrere Beispiele für die besondere Attraktivität des nördlichsten Dortmunder Stadtteils: „Es gibt fast alles vor Ort: einen Kinderarzt, einen Tierarzt, Friseure und viele andere Kleinbetriebe. Für Kinder gibt es etliche Angebote: zum Beispiel Reiten, eine Tanzschule oder das schnell erreichbare Schwimmbad in Eving.“
Universum mit einem Radius von 500 Metern
Das Wichtigste aber ist für den ehrenamtlich tätigen Landschaftswächter folgendes: „Man kann hier zu Fuß schnell die Natur erleben“, sagt Magnus Benkhofer und holt einen Kalender von der Wand, den er jedes Jahr zusammen mit einem Freund erstellt. Er zeigt zwölf beeindruckende Naturaufnahmen. Vom Sonnenaufgang im Mühlenbachtal, vom Rehbock im Rapsfeld, von einem Fasan im Feld. „Wir sind hier direkt am Wald, direkt“, wirft der siebenjährige Julius enthusiastisch ein. Sein perfektes Universum hat einen Radius von gerade mal 500 Metern, darin liegt die Grundschule am Scharfen Eck, sein Kinderzimmer und eben der Wald, in dem sie schon mal ein Baumhaus gebaut haben.
Hier gibt es alle Ergebnisse des Stadtteilchecks auf einen Klick:
„Ich will kein Bullerbü malen“, sagt Mutter Simone (39), „aber die Jungs können hier raus und unbeobachtet spielen. Das ist in einer Großstadt nicht so oft noch möglich.“ In Brechten ist es möglich, weil Familien über Generationen nachbarschaftlich miteinander verbunden sind. Man kennt sich. Julius mag nicht so viele kennen, aber alle kennen Julius. Wenn er zu einem der benachbarten Landwirte kommt, darf er dort auf dem Trecker mitfahren.
Wohlgefühl in guter Nachbarschaft
Was so eine gute Nachbarschaft für die Lebensqualität ausmacht, erklärt Dr. Sebastian Kurtenbach (31), Vertretungsprofessor für Politikwissenschaften und Sozialpolitik an der Fachhochschule Münster: „Wenn wir in guter Nachbarschaft leben, fühlen wir uns wohler. Gute Nachbarschaft wirkt sich positiv auf unser Sicherheitsempfinden aus. Eine gute Nachbarschaft ist auch eine gute Alarmanlage.“ Und, das haben zahlreiche internationale Studien ergeben, in einer guten Nachbarschaft lebt man sogar gesünder.
Irgendwann in den 90er-Jahren hat Brechten seinen ländlichen Charakter verloren. Die alte Straßenbahnlinie 1 wurde zur Stadtbahn mit pompösen Bahnhöfen statt simpler Haltestellen ausgebaut. Die Autobahn, die früher hinterm Gartenzaun her führte ist hinter großen Lärmschutzwänden verschwunden und die Brücken an der B 54 und am Schiffhorst sind mit ihrem wuchtigen Beton und den Graffiti gewissermaßen zu Projektionsflächen des voranschreitenden Urbanismus geworden.
Wie eine münsterländische Kleinstadt
Brechten funktioniert vielleicht wie eine abgeschiedene münsterländische Kleinstadt, ist aber Teil einer Großstadt. Die allerdings spielt für viele Familien zwischen dem Rauhen Kamp und dem Gulloh nur eine nachrangige Rolle. Die Benkhofers sind dafür ein gutes Beispiel. Sie alle sind zwar große BVB-Fans, aber keine Großstadt-Menschen. Brambauer ist nah, Lünens Innenstadt auch. Da gibt es Ärzte, Schulen, Kinosäle, Bekleidungsgeschäfte, Drogeriemärkte, die es in Brechten nicht gibt.
Seit die Schuleinzugsbezirke gefallen sind, besuchen Brechtener Kinder auch nicht mehr vornehmlich Schulen in der Dortmunder Nordstadt. Die Realschule in Brambauer ist viel näher und Fritz, mit 13 der älteste Sohn der Benkhofers besucht sogar das Theodor-Heuss-Gymnasium in Waltrop. „Für mich ist es da viel schöner, weil in Eving oder in der Dortmunder Innenstadt alles so zugebaut ist“, sagt er. Acht Kilometer sind es nur bis zu seiner Schule, wenn er mit dem Fahrrad über die Felder fährt. Im Sommer hat er das oft gemacht, jetzt ist er mit Bahn und Bus eine gute halbe Stunde unterwegs.
Container für Grundschule am Scharfen Eck
Sicherlich gibt es in Brechten auch Einiges zu meckern. „Die Grundschule ist heute viel zu klein“, sagt Simone Benkhofer. Container wurden am Scharfen Eck aufgestellt, damit alle Kinder unterrichtet werden können. Die Infrastruktur ist nach der Ausweisung der Brechtener Heide als Neubaugebiet für 630 Wohneinheiten nicht mitgewachsen. Auch Kindergartenplätze fehlen. „Und der Rewe-Parkplatz ist zu klein“, so Simone Benkhofer. Was banal klingt, ist ein Riesenärgernis. Der Parkplatz des Supermarktes an der Evinger Straße ist wahrscheinlich der engste und verwinkeltste Supermarkt-Parkplatz in ganz Dortmund.

Brechten ist Zuzugsgebiet. In der Brechtener Heide entstehen 630 Wohneinheiten. Der Ort wächst dort fast mit Holthausen zusammen. © Oskar Neubauer (Archiv)
Nach dem Studium wieder nach Brechten zurück
Diese neuen Makel können an den gewachsenen Strukturen nicht kratzen. Mitgliedschaft und Engagement beim TV Brechten, in den Kirchengemeinden oder bei der Arbeiterwohlfahrt verbinden. „Beim letzten Klassentreffen hab ich festgestellt, dass die meisten, die für das Studium weggegangen sind, jetzt wieder mit ihren Familien nach Brechten zurückgekommen sind“, sagt Magnus Benkhofer.
Einmal Brechtener immer Brechtener also? Hängt der Grad dieser Identifikation davon ab, wie wohl man sich in seinem Stadtteil fühlt? Der Experte Sebastian Kurtenbach sagt: „Der Mechanismus scheint andersherum zu funktionieren. Durch das Vertrauen in und die Vertrautheit mit dem eigenen Stadtteil entsteht auch eine Identifikation mit ihm. Allerdings fehlen uns hier noch ausreichende empirische Untersuchungen für Deutschland. Das ist eine Aufgabe für die Zukunft.“
Attraktiv durch das Engagement der Menschen
Für Simone Benkhofer macht der Gemeinschaftssinn in Brechten auch ganz viel Lebensqualität aus. „Ein Stadtteil wird durch das Engagement der Menschen attraktiv. Und das gibt es hier. Etwa mit dem Oktoberfest, das der Verein ‚Brechten aktiv‘ organisiert, oder durch den Posaunenchor der jedes Jahr an Heilig Abend durch den Ort läuft.“
Nach mehreren Stationen in Redaktionen rund um Dortmund bin ich seit dem 1. Juni 2015 in der Stadtredaktion Dortmund tätig. Als gebürtigem Dortmunder liegt mir die Stadt am Herzen. Hier interessieren mich nicht nur der Fußball, sondern auch die Kultur und die Wirtschaft. Seit dem 1. April 2020 arbeite ich in der Stadtredaktion als Wirtschaftsredakteur. In meiner Freizeit treibe ich gern Sport: Laufen, Mountainbike-Fahren, Tischtennis, Badminton. Außerdem bin ich Jazz-Fan, höre aber gerne auch Rockmusik (Springsteen, Clapton, Santana etc.).
