Sie merkte es an der Käsetheke: Es war vorbei mit der Anonymität. Sie, die Frau aus der zweiten oder dritten Reihe, die stille und besonnene Teamplayerin, war nun berühmt. Zumindest in ihrer Heimatstadt Dortmund.
Auf die zweithöchste Ebene im Rathaus hatte sie es schon einige Jahre vorher geschafft. Unterhalb des Oberbürgermeisters stehen die Dezernentinnen und Dezernenten. Eine von ihnen, seit 2011: Birgit Zoerner.
Auf Streife durch die Nordstadt
Für Arbeit, Soziales und Gesundheit war sie von Beginn an zuständig, ab 2013 dann auch für Sport und Freizeit. Und über die Jahre war sie zeitweise auch Chefin über andere Bereiche – mal über das Ordnungsamt, mal über Wohnen, mal über alles, was Kinder, Jugend, Schule betrifft.
Zoerner ging mit auf Streife durch die Nordstadt. War zur Stelle, als 2017 der riesige Hannibal-Wohnkomplex in Dorstfeld geräumt werden musste. Und erinnert sich an nur zwei Jahre „ohne zusätzliche Krisen“: 2018 und 2019.
Erst Flüchtlinge, dann Corona
Der Großteil der Zeit aber war Krise. 2014/2015 etwa, als immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland drängten – und eben auch nach Dortmund. Zoerner wurde Leiterin des Krisenstabs und stand plötzlich im Fokus. So richtig bekannt machte sie aber erst Corona.
„Ich glaube, wir waren die Ersten, die einen Krisenstab eingerichtet haben, schon im Februar 2020. Wir wollten ja vorbereitet sein, wir wussten ja, dass da etwas kommen wird.“ Krisenstabs-Leiterin wird – klar – wieder Birgit Zoerner.

Wöchentliches Update zur Infektionslage
So sitzt sie in den Pandemie-Jahren Woche für Woche in einer Pressekonferenz der Stadt – neben dem Gesundheitsamtsleiter Dr. Frank Renken und neben dem jeweiligen Oberbürgermeister, erst Ullrich Sierau, dann Thomas Westphal. Wie ist die Infektionslage? Was passiert mit Schulen, Krankenhäusern, Seniorenheimen, dem Sport, der City?
Vor allem Zoerner und Renken geben die Antworten. Sachlich, aber bestimmt. Deeskalierend, aber eindringlich. Spätestens jetzt sprechen die Menschen an der Käsetheke sie an: Ach, Frau Zoerner, können Sie mir vielleicht helfen? Können Sie mir das erklären? An wen muss ich mich denn da wenden?
Bürgermeisterin? Ministerin?
„Das war auch für meine Familie eine Umstellung“, erinnert sich die heute 63-Jährige. Dass eben auch ihre Söhne hörten: Ach, der Sohn von Frau Zoerner?
Eine Rolle in Reihe eins, womöglich selbst als Oberbürgermeisterin oder als Ministerin in Düsseldorf? Zoerner winkt kurz ab: Nein, niemals hätte sie das gewollt! Dann hätte sie ihren Bereich, die Arbeit an der Sache doch abgeben müssen. Das Zeug dazu indes hätte sie gehabt, sind sich Mitstreiter sicher.
Assistentin von Franz Müntefering
Karriere gemacht hatte Zoerner, die als kleines Mädchen den Paulus-Kindergarten in der Nordstadt besuchte, nämlich schon außerhalb ihrer Heimatstadt: 22 Jahre lang pendelte sie mit der Bahn nach Düsseldorf.
„Relativ schnell“ habe sie es ins Ministerbüro geschafft, an die „Schnittstelle von Verwaltung und Politik“, wie sie es nennt. Sie war Assistentin des späteren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Dessen sauerländische Art, Dinge kurz und knapp auszudrücken, habe sie immer gemocht. Das sei eben anders gewesen als beispielsweise beim Ministerpräsidenten Johannes Rau. Der konnte unterhaltsam reden, tat das aber auch lange und gerne.

Kontakte nach Berlin und Brüssel
Was sie in der Zeit in Düsseldorf aber vor allem lernte: Wer sind die richtigen Ansprechpartner beim Land und im Bund? „Ich bin auch in Brüssel gewesen“, unterstreicht sie: „Das hat mir später sehr geholfen.“
Später – das war 2011, als sie Dezernentin in Dortmund wurde. „Das war für mich wie in Nach-Hause-Kommen.“ Eine hohe Rathaus-Stelle in einer anderen Stadt? „Nein, das hätte ich nicht gemacht!“ Denn: Weggezogen aus ihrer Heimatstadt war Birgit Zoerner ohnehin nie.

Der Beruf als Mannschaftssport
Sie, die Handballerin – Rechtsaußen oder Mitte bei Aplerbeck 09 – war viel zu verwurzelt hier. Ob auf dem Feld oder im Beruf sei eins gleich gewesen: „Ich komme aus dem Mannschaftssport; man muss so aufgestellt sein, dass man gut spielt und gewinnt.“
Dank an all die Kollegen, an all die Ehrenamtlichen in der Stadt, an die Amateursportvereine in Dortmund – immer wieder betont Zoerner, wie wichtig es sei, dass viele Gruppen, viele Akteure gemeinsam Dinge verbessern wollen. „Ich halte das Thema Zusammenhalt für noch wichtiger als früher.“
Dann kam Krisenstab Nummer drei
„Wir haben es geschafft, das wirklich gut zu meistern.“ Den Satz könnte sie auf 2015 beziehen oder auf 2020, auf die Themen Flüchtlinge oder Corona. In diesem Moment beschreibt sie damit aber 2022/2023. Denn während sie noch oberste Krisenmanagerin für Corona war, gab es den russischen Angriff auf die Ukraine.
Die Stadt Dortmund brauchte einen neuen Krisenstab. Mit der Leitung beauftragte OB Westphal – Sie ahnen es sicher: Birgit Zoerner, dem Vernehmen nach eine seiner engsten Vertrauten in der Rathaus-Spitze. Wie kann Dortmund sich um die Menschen aus der Ukraine kümmern? Wie kann die Stadt wirken, um die Energieversorgung sicherzustellen und halbwegs bezahlbar zu halten?

Nach dem Krebs zurück
Und das alles parallel zu den permanenten, nicht akuten Themen, „mit denen man eh nie fertig ist“: der Kampf gegen Arbeitslosigkeit, die Integration von Menschen , zum Beispiel von denen aus Rumänien und Bulgarien, das Gestalten von Vierteln in Dortmund, dass sich dort Schulen, Vereine, Ehrenamtliche und andere vernetzen und den Alltag besser machen, und und und...
Nach dem 19. März 2025 wird sich Birgit Zoerner nicht mehr um all das kümmern. Im Herbst 2023 wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Erst im Herbst 2024 kehrte sie zurück. In den Wochen danach bemerkte sie: Diese ihre Aufgabe im Rathaus lässt sich nur mit einem Einsatz bewältigen, den sie nicht mehr geben kann und will.
„Nordic Walking anfangen?“
Also geht sie. Freiwillig und auf eigenen Wunsch. „Ich könnte Nordic Walking anfangen“, überlegt die 63-Jährige. Sie fahre auch viel Fahrrad und gehe gerne schwimmen. Nur für Handball sei sie mittlerweile zu alt.
Zoener, die aktuell noch Chefin von 1400 städtischen Mitarbeitern ist, will sich aber Zeit lassen: „Ich steige nicht aus einem vollgetakteten Tag in einen vollgetakteten Ruhestand um.“ Und wer weiß: Vielleicht ist sie auch irgendwann an der Käsetheke wieder anonym.
