
Der Dortmunder Florian Zeugner (37) hat eine Unterschriftenaktion für seine Nachbarin gestartet. Ihr wurde das Sorgerecht für ihren Sohn entzogen. Aus Datenschutzgründen haben wir das komplette Dokument gepixelt. © Beate Dönnewald
Florian Zeugner kämpft: „Ilyas soll bei seiner geliebten Mutter leben“
Sorgerechtsstreit
Über 100 Nachbarn haben bereits unterschrieben. Sie appellieren an Jugendämter und Gerichte: Die Dortmunderin Stefanie S. soll ihren kleinen Sohn Ilyas zurückbekommen.
Seit mehr als zwei Jahren kämpft die Dortmunderin Stefanie S. um ihren Sohn. Im Februar 2020 verlor sie das Sorgerecht für den damals vier Jahre und acht Monate alten Jungen. Mit Polizeigewalt wurde Ilyas* (Name von der Red. geändert) aus der Wohnung der Großeltern geholt und seinem Vater übergeben.
Nun haben zwei Nachbarn der stellvertretenden Leiterin eines Kindergartens eine Unterschriftenaktion zugunsten von Stefanie S. gestartet. Über 100 Personen aus dem näheren Umfeld haben bereits unterschrieben. „Wir leiden mit Stefanie mit und wollen nicht länger die Füße stillhalten“, sagt Florian Zeugner. Der 37-Jährige Familienvater lebt Tür an Tür mit Stefanie S.
„Mit dieser Unterschriftenaktion wollen wir uns für den kleinen Ilyas und seine Mutter stark machen, die vor über zwei Jahren durch das unbarmherzige Verhalten durch den Kindesvater, das Jugendamt und das Amtsgericht Dortmund auseinandergerissen wurden“, heißt es einleitend in dem Schreiben.
Das Schreiben ist ein Appell an die beteiligten Gerichte und Jugendämter: „Alle Mitwirkenden auf dieser Unterschriftenliste fordern, dass das Kind Ilyas wieder bei seiner geliebten Mutter leben und aufwachsen darf und die gerichtliche Entscheidung revidiert wird.“
Man wolle, heißt es, dem nun zuständigem Jungendamt Bochum und den Gerichten aufzeigen, dass Ilyas über viele Jahre in einem stabilen, sozialen Umfeld aufgewachsen ist.
„Die Gesellschaft darf nicht weggucken“
„Die Gesellschaft darf nicht weggucken, wir wollen, dass die Öffentlichkeit weiter auf dieses Verfahren schaut“, sagt Florian Zeugner, der als Physiotherapeut arbeitet. Viele hätten einfach „keinen Mumm, etwas Unbequemes zu sagen, das hat mit Zivilcourage zu tun“. Er persönlich wolle nicht mehr länger schweigen. „Denn umgekehrt würde ich mir ja auch wünschen, dass man mir hilft.“

Seit über zwei Jahren darf Stefanie S. ihren Sohn nur alle zwei Wochen im Beisein eines Umgangsbegleiters treffen. Viele wichtige Ereignisse wie Geburtstage oder die Einschulung hat sie verpasst. © Beate Dönnewald
Unsere Redaktion hat im Juni 2022 ausführlich über den Fall berichtet. Seit der Inobhutnahme lebt Ilyas bei seinem Vater in Bochum, der kurz nach seiner Geburt ausgezogen war. Das Amtsgericht und später das Oberlandesgericht Hamm begründen ihre Entscheidungen so: Stefanie S. habe die Beziehung von Vater und Sohn anders als von den Behörden eingefordert nicht ausreichend gefördert. Beispielsweise soll es wiederholt Probleme bei den Übergaben, etwa am Kindergarten, gegeben haben. Zudem wird Stefanie S. vorgeworfen, dass sie selbst eine viel zu enge Bindung zum Kind aufgebaut habe.
Während unserer Recherche haben wir damals auch die kritisierten Gerichte und Jugendämter kontaktiert. Sie haben darauf verwiesen, dass man sich grundsätzlich nicht zu Familiensachen sowie laufenden Verfahren äußere und zudem die Persönlichkeitsrechte von Vater und Kind schützen wolle.
„Zu den Einzelheiten des im Februar 2020 familiengerichtlich entschiedenen Sorgerechtsstreits (das OLG wies im Juni 2020 die Beschwerde zurück) dürfen wir Ihnen keine Informationen geben. Da der Kindsvater das alleinige Sorgerecht hat, ist es uns aus sozialdatenschutzrechtlichen Gründen untersagt, Auskunft zu geben“, teilte etwa die Dortmunder Stadtsprecherin Anke Widow mit.
Er fühle sich wie in einem falschen Film bei dem Gedanken, was Stefanie S. und ihrem kleinen Sohn alles widerfahren ist, sagt Florian Zeugner. Dazu zählten unter anderem der Verlust des Sorgerechts, die gewaltsame Inobhutnahme und der vom Gericht angeordnete begleitete Umgang.
„Stefanie darf ihren Sohn nur alle zwei Wochen für zwei Stunden begleitet sehen. Unfassbar“, sagt der Dortmunder. 2021 sind die Treffen zehn Monate am Stück ausgefallen – aufgrund einer Fehlentscheidung des Jugendamts Bochum. „Dieser Umgang ist in keiner Weise verhältnismäßig“, so Florian Zeugner.
Ilyas‘ Großeltern mussten trotz eines entsprechenden Gerichtsbeschlusses sogar über zwei Jahre warten, bis sie ihren Enkel wieder treffen durften. Das allerdings passiert auch nur im Beisein eines Umgangsbegleiters.

Über zwei Jahre durften die Großeltern Manfred und Dagmar S. ihren Enkelsohn nicht sehen. © privat
„Ich hoffe einfach, dass die Gerichte noch einmal richtig hinschauen, hier geht es doch um ein kleines Menschenleben“, appelliert der Nachbar von Stefanie S. Entsprechend heißt es in dem Begleitschreiben zur Unterschriftenaktion: „Aufgrund der jüngst veröffentlichten Berichte und der Tatsache, dass wir die Familie S. kennen und schätzen, kritisieren wir die Handlungen des Jugendamtes Dortmund und des nun zuständigen Jugendamts Bochum und der Gerichte als Kindeswohlgefährdung.“
Nachdem der Artikel veröffentlicht worden war, meldete sich auch das Dortmunder Ehepaar Ulla und Walter Pannewig aus Hombruch bei uns. Die beiden hatten Familie S. 2019 auf Rhodos kennengelernt. „Es war eine große Freude, Stefanie und Ilyas gemeinsam zu erleben. Der Junge hängt sehr an seiner Mama, das war unübersehbar und das kommt ja nicht von ungefähr“, sagt Ulla Pannewig.

Ulla und Walter Pannewig sind erschüttert, dass ihre Urlaubsbekannte das Sorgerecht für ihren Sohn verloren hat. "Hier wurde eine intakte und liebevolle Familie grundlos auseinandergerissen", sagen sie. © Beate Dönnewald
Dass man der 37-Jährigen das Sorgerecht unter anderem wegen einer „zu engen Bindung“ entzogen hat, macht das Ehepaar fassungslos. „Wie kann man Mutter und Kind so etwas antun?“
Erschüttert sind die beiden darüber, dass Ilyas mit Polizeigewalt aus der Wohnung der Großeltern geholt wurde. Details dieser Inobhutnahme zu klären, ist dieser Redaktion nicht gelungen. Was wir in einem Privatvideo sehen beziehungsweise hören: ein Kind, das minutenlang „Mama“ schreit.
„Was sind das für grausame Menschen?“
„Was sind das für grausame Menschen, wer handelt so?“, fragt Ulla Pannewig. Stefanie S., ihr Sohn und die Großeltern seien ein wunderbar eingespieltes Team gewesen, sie hätten sich ohne Worte verstanden.

Ulla Pannewig geht der „Fall Stefanie S.“ sehr nah. „Diese Ungerechtigkeit darf nicht in Vergessenheit geraten“, sagt die Dortmunderin. Deshalb hat sie sich an die Öffentlichkeit gewandt. © Beate Dönnewald
Florian Zeugner und sein Nachbar Matthias Seidel, der das Schreiben für die Unterschriftenaktion formuliert hat, wollen die Listen höchstpersönlich beim Oberlandesgericht Hamm abgeben. „Damit sie sofort in die richtigen Hände kommen.“
Niemand, der auf den Listen unterschrieben hat, könne die Entscheidungen im Fall Stefanie S. nachvollziehen, so Florian Zeugner. „Wir haben mit vielen jungen Familien und Müttern gesprochen. Sie können sich mit Stefanie S. identifizieren und wünschen ihr, dass sie bald aus diesem Albtraum aufwachen kann.“

Stefanie S. vermisst ihren Sohn schmerzlich. Bislang war ihr Kampf um ihn nicht erfolgreich. © privat
1968 geboren und seit über 20 Jahren Redakteurin bei Lensing Media. Zuständig für den Dortmunder Westen mit seinen Stadtbezirken Lütgendortmund, Mengede und Huckarde sowie für die Stadt Castrop-Rauxel.
