Weniger Hass, mehr Zufriedenheit, weniger Armut, mehr glückliche Menschen. Das hört sich alles gut an? Prof. Ute Fischer von der FH Dortmund glaubt, dass das Land ein besseres werden kann.

Dortmund

, 22.06.2019, 06:00 Uhr / Lesedauer: 5 min

Die Welt, wie sie ist, ist in keinem guten Zustand. Und unser Land stand auch schon besser da. Die Armut steigt genauso wie die Angst davor, arm zu werden. Während Armut an sich schon eine Katastrophe ist, neigen ängstliche Menschen dazu, radikal zu werden. Was in der Konsequenz ebenfalls katastrophal ist.

Gleichzeitig steht die Gesellschaft, stehen alle Gesellschaften vor radikalen Veränderungen durch den Klimawandel. Während an den Polkappen das Eis in einer Geschwindigkeit schmilzt wie nie zuvor, wäre die Ruhr in Schwerte, von der auch Dortmund sein Trinkwasser bezieht, im Juli 2018 trocken gefallen, wenn es die sechs Ruhrstauseen nicht gegeben hätte. Und während diese Dinge geschehen, stehen die politischen Zeichen in vielen Ländern auf Abgrenzung, wobei doch gerade jetzt eine Zusammenarbeit zwingend geboten ist, um die Zukunft lebensfähig zu halten.

Man könnte verzweifeln. Oder sich überlegen, was zu tun ist, um den notwenigen fundamentalen Wechsel hinzubekommen. Prof. Ute Fischer ist Soziologin an der FH Dortmund, sie beschäftigt sich seit mittlerweile 16 Jahren mit einer Idee, die alles, was wir bisher sozialpolitisch kennen, auf den Kopf stellt: Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Und sie ist inzwischen ein Fan dieses Ansatzes. Und glaubt, dass unsere Gesellschaft nicht nur schlagartig friedlicher und zufriedener würde. Sondern dass das Land darüber hinaus einen Innovationsschub erleben würde.

Frau Prof. Fischer, was bekäme ich bei Ihrem bedingungslosen Grundeinkommen?

Sie wie alle anderen Staatsbürger bekämen 1000 Euro am Monatsanfang auf Ihr Konto.

Die Frage ist jetzt wenig überraschend, aber: Wer soll das bezahlen?

Das Modell, das ich vorschlage und auch berechnet habe ist eines, das sich gegenfinanziert und am Ende sogar haushaltsneutral ist. Das Modell funktioniert als Sozialdividende. Ohne ins mathematische Detail zu gehen: Ab einer bestimmten Einkommenshöhe zahlt man eine zusätzliche Abgabe in den Topf, aus dem das Grundeinkommen finanziert wird.

Ich bekomme 1000 Euro, damit kann ich tun und lassen, was ich möchte?

Ja.

Ok, ich bin 52-Jähriger mit Alkoholsucht und darüber hinaus spielsüchtig.

Das ist bedauernswert.

Zweifelsohne. Ich bekomme meine 1000 Euro und ein hartes Wochenende später ist mein Geld alle. Wo gehe ich dann hin?

Nach wie vor würden sie Sozialarbeiter finden, die ihnen helfen, Ihre Süchte in den Griff zu bekommen. Und die wahrscheinlich vorhandene Überschuldung.

Für einen Alleinstehenden sind mit 1000 Euro aber keine großen Sprünge drin.

Nein, aber es ist ja auch als Grundsicherung gedacht und soll den Menschen die Freiheit geben, eigene Entscheidungen zu treffen. Die Grundsicherung soll Ihnen nicht die Arbeit verbieten, sie soll sie absichern. 1062 Euro sind nach momentanen Berechnungen die Armutsschwelle, darum 1000 Euro.

Wenn ich mag, kann ich Geld verdienen. Verdiene ich über einen bestimmten Satz, muss ich zurückzahlen. Korrekt?

Ja.

Ab wann zahle ich in Ihrem Modell zurück?

Unterhalb der Einkommensgrenze zahlt man 50 Prozent auf jeden verdienten Euro. Wenn Sie mehr als 2000 Euro verdienen, haben Sie von dem Grundeinkommen nichts mehr übrig, weil dann die Abgabesätze das Grundeinkommen übersteigen.

Sobald ich mehr als 2000 Euro verdiene, muss ich 1000 Euro zurückgeben?

In dem Beispiel ja.

Warum sollte ich dann noch arbeiten gehen?

Ich hoffe, Sie wissen, warum Sie arbeiten gehen?

Selbstverwirklichung? Struktur? Halt?

Noch mehr?

Nö.

Naja, das reicht doch schon.

Und warum würden Sie arbeiten gehen?

Ich mache meine Arbeit unheimlich gerne. Wenn Sie in der Bevölkerung stichprobenartig Umfragen zu dem Thema machen, erhalten Sie, und zwar über alle Berufe hinweg, die Antwort, dass die meisten ihren Beruf weiter ausüben würden. Sie würden höchstens die Arbeitszeit verringern. Davon träumen dann einige. Diejenigen, die einen Beruf ausüben, der nicht ihren Begabungen oder ihrem Interesse entspricht, hätten mit dem Grundeinkommen die Chance, sich umzuorientieren.

Wer sind die schärfsten Kritiker dieser Idee?

Die Gewerkschaften. Und auch die Sozialverbände. Die Kritik von links ist, man würde eine Stillhalteprämie vergeben und die Leute mit einem billigerem Sozialgeld abspeisen. Darüber hinaus finden das alle Parteien, die im Parlament sitzen, auch nicht richtig.

Ein üblicher Kritikpunkt am bedingungslosen Grundeinkommen ist ja: Das bestehende Sozialsystem, um das lange gerungen wurde, wird damit de facto abgeschafft.

Das muss nicht sein. Es gibt solche Vorschläge. In meinem Modell wäre das nicht so, hier muss man die Sozialversicherung im Einzelnen anschauen. Die Unfallversicherungen trägt der Arbeitgeber, die Pflege- und Krankenversicherung muss, finde ich, sowieso umgestellt werden. In eine Art Bürgerversicherung, in die jeder einzahlt – und nicht nur diejenigen, die erwerbstätig sind. Die Arbeitslosenversicherung kann aufgehen im Grundeinkommen. Und was die Arbeitslosengeld1-Empfänger zusätzlich bekommen, könnte als Sozialversicherung bestehen bleiben. Aber ein Teil wäre halt das Grundeinkommen. Für die Renten sähe es ähnlich aus. Es gibt eine Grundrente in Höhe des Grundeinkommens. Die, die darüber hinaus aufgrund von Erwerbstätigkeit Ansprüche erworben haben, die bekämen das aus der Rentenkasse ausbezahlt. In einem Rutsch die Sozialversicherung abzuschaffen, halte ich für Unsinn.

Angenommen, das bedingungslose Grundeinkommen würde morgen eingeführt. Hunderttausende, ach was, Millionen Menschen verlassen ihre Jobs bei Amazon, bei McDonalds, bei den Paketzustellern und irgendwo an der Kasse. Wenn man so ein Experiment anfangen würde, könnte man das denn dann noch einmal zurückdrehen?

Das ist die Frage der Vermutung, die wir darüber haben. Die Frage ist ja, wie sich das Arbeitsangebot entwickeln wird. In Ihren Beispielen kommen jetzt in der Regel untertariflich bezahlte Menschen in ungünstigen Arbeitsbedingungen vor. Aber mit einem Grundeinkommen könnten diese Menschen ganz anders auftreten. Sie müssten nicht mehr jeden Job annehmen.

Und damit würden in manchen Branchen die Löhne und Gehälter steigen müssen?

Genau. In allen Branchen, in denen sich ein Fachkräftemangel abzeichnet. Zum Beispiel im Gesundheits- und Pflegebereich. Das wäre auch angemessen. Wir könnten aber nicht für jede Branche vorhersagen, wie sich das entwickeln würde.

Was würde sich in Dortmund ändern, wenn das bedingungslose Grundeinkommen kommen würde?

In Dortmund gibt es über 600 Obdachlose. Für die würde sich eine ganze Menge ändern. Armut wäre weniger und erhielte ein anderes Gesicht. Nicht nur des Geldes wegen. Sondern auch wegen der Anerkennung und Wertschätzung. Sie würden nicht mehr stigmatisiert.

Weitere positive Aspekte?

Diejenigen, die heute Arbeitslosengeld II bekommen, sind nur zu einem Sechstel wirklich arbeitslos. Die anderen sind Kinder, Jugendliche, Auszubildende und etwa Aufstocker, also Geringverdiener oder Menschen mit einer zu kleinen Rente. Eine Millionen Menschen in einer stigmatisierenden Lebenslage. Das Stigma würde wegfallen. Und: Der Bezug des Grundeinkommens wäre viel, viel einfacher, da nicht mehr individuell errechnet sondern einfach pauschal ausgezahlt wird.

Und die Menschen in den Jobcentern wären alle arbeitslos.

Die könnten dann sinnvolle Dinge tun. Zum Beispiel wirklich beraten. Und nicht die Programme der Bundesagentur aufgedrückt bekommen, irgendwie an die Männern und Frauen zu bringen. Auch dort habe ich geforscht und weiß, dass die Mitarbeiter dort einen echt harten Job machen und teilweise gar nicht anders können, als zynisch zu werden ob des Controllings, unter dem sie selber liegen.

Welchen Vorteil hat der Durchschnittsverdiener?

Der Durchschnittsverdiener weiß sich in einem Staat zuhause, der den Auftrag des Grundgesetzes und des Sozialgesetzbuches ernstnimmt. Die Bürgerinnen und Bürger wären in ihrer Existenz gesichert und könnten ihre Persönlichkeit frei entfalten. Darauf kann man stolz sein, denn es würde ein klares Signal ausgesandt: Jeder gehört dazu. Damit könnten sich die Zukunftsängste gerade in der Mitte der Gesellschaft beruhigen. Menschen, die Sorgen haben, gründen eher keine Familie. Ich gehe davon aus, dass die Geburtenraten steigen würden. Und wir wissen auch: Angst vor der Zukunft verleitet eher dazu, rechts außen zu wählen. Was den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet.

Eine Deradikalisierung der Gesellschaft durch das bedingungslose Grundeinkommen?

Ganz genau. Ein größerer sozialer Frieden.

Angenommen, wir in der Bundesrepublik machen das jetzt mal. Schwupps, ist der Laden voll? Anders formuliert, was hätte das für eine Signalwirkung nach außen?

Die anderen Länder Europas würden ja sehr schnell erkennen, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland zu einem Innovationsschub führen würde und sie würden es hoffentlich nachmachen. Was natürlich sehr idealistisch gedacht ist. Aber wir brauchen natürlich Rahmenrichtlinien – wie heute auch -, wer mit nichtdeutschem Pass in den Genuss dieser Sozialleistungen kommt. Es stimmt ja einfach nicht, dass jeder, der hier einen Fuß auf den Boden setzt, damit in die Sozialsysteme einwandert.

Ihre Veranstaltung am Samstag heiß „Vertrauen stärken“. Sie haben viel Vertrauen?

Ja. Und zwar nicht, weil ich idealistisch bin. Das bin ich vielleicht. Aber weil ich Soziologin bin. Wenn ich mir die Bildung des Individuums anschaue, vom Neugeborenen bis zum Erwachsenen, der Verantwortung übernimmt für sich und sein Land, dann weiß ich, dass man darauf vertrauen kann, das, wenn man Menschen frei lässt, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten, dass sie etwas damit tun. Man braucht zum Leben nicht nur Nahrung und Obdach, sondern auch einen Sinn. Den kann auch berufliches Tun stiften. Darauf werden wir als Quelle nicht verzichten wollen.

Diskussion zum Thema

Am Samstag (22. Juni) findet in der FH Dortmund (Emil-Figge-Straße 44, Hörsaal U33) von 12 bis 17 Uhr eine Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema statt. Neben Vertretern der Wissenschaft diskutieren Vertreter aus der Praxis über die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens und gehen der Frage nach, was für und was gegen diese Idee spricht. Der Eintritt ist frei.