
© Hans Blossey (A) / Bastian Pietsch
So sähe Dortmund ohne die Europäische Union aus
EU-Fördermittel
Jedes Jahr fließen Millionen an Fördergeldern nach Dortmund. Sie haben die Stadt über die Jahre geprägt. Wir stellen Ihnen fünf Projekte vor.
Jedes Jahr fließen mehrere Millionen Euro aus Programmen der EU nach Dortmund. Geld, das in Städtebau, soziale Projekte, Wirtschafts- und Forschungsförderung fließt und ohne das die Dortmunder wohl auf ein paar Dinge verzichten müssten.
Die Listen der geförderten Projekte ist lang. Und nicht immer sind die konkreten Auswirkungen der Gelder auf den ersten Blick zu erkennen. Anhand von fünf Beispielen lässt sich aber erahnen, wie stark die EU Dortmund über die Jahre geprägt hat.
1. Wege aus der Arbeitslosigkeit
Barbara Janoszek (42) ist eine Helfer- und auch eine Kämpfernatur. 2006 ist sie aus Polen nach Deutschland gekommen. Gerade beginnt sie eine Ausbildung zur Erzieherin in der Wald-Kita in Huckarde. Der Weg dahin war jedoch nicht einfach – wegen Vorurteilen, Sprachbarrieren und einer bis 2010 noch fehlenden Arbeitserlaubnis.

Barbara Janoszek vor dem Gebäude der Dobeq an der Gneisenaustraße. Nicht nur das Programm der Dobeq sondern auch das Gebäude sind von der EU gefördert worden. © Bastian Pietsch
„Die Firma Dobeq hat mir ganz viel geholfen, dass ich diesen Platz bekomme“, sagt Barbara Janoszek. Dobeq ist ein Unternehmen, das Menschen fit für den Arbeitsmarkt macht und damit einen Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit eröffnet. Im Eingangsbereich hängen Schilder und Zertifikate mit der Flagge der EU darauf, denn Dobeq wird von der EU gefördert, über den sogenannten Europäischen Sozialfonds (EFS). Das Unternehmen hat laut der Wirtschafsförderung von 2014 bis 2017 rund 541.000 Euro für verschiedene Projekte über den ESF des Landes erhalten. Ohne Dobeq wäre Barbara Janoszek vermutlich arbeitslos und nicht angehende Erzieherin.
Aktuell macht Barbara Janoszek einen Sprachkurs mit Niveau B2. Das ist ein durchaus gehobenes Niveau, auf dem auch komplexe Texte und abstrakte Themen diskutiert werden. „Ich hoffe, dass mir das bei der Ausbildung hilft“, sagt sie. „Und ich möchte mir das auch selbst beweisen.“ Sie wirkt dabei wie eine Frau, die Probleme anpackt. Schon als sie noch in Polen lebte, hat sie Gegenstände, die andere Leute wegwerfen wollten, an Bedürftige vermittelt, die diese noch gebrauchen konnten. Auch in Deutschland mache sie das noch manchmal, erzählt sie.
Geschichten wie die von Barbara Janoszek wird es wohl einige geben. Auch das Projekt „Quartierskümmerer“ läuft seit Jahren erfolgreich. Ehemalige Langzeitarbeitslose werden darin zu Ansprechpartnern vor Ort ausgebildet. Das qualifiziert sie für den Arbeitsmarkt und stiftet auch persönlichen Sinn. Die EU hat es in den Jahren 2014 bis 2017 laut der Wirtschaftsförderung mit rund 634.000 Euro mitfinanziert. Seit 2012 haben nach Angaben des Jobcenters 147 Menschen von dem Projekt profitiert.
Der Sammelbegriff für solche Maßnahmen lautet „öffentlich geförderte Beschäftigungen“. Für verschiedene weitere Projekte aus dieser Kategorie sind in den Jahren 2014 bis 2017 nochmal rund 885.000 Euro nach Dortmund geflossen. Rund 1000 Menschen haben über solche Beschäftigungen eine Arbeitsstelle, die sie ohne den ESF vielleicht nicht hätten.
2. Das Dortmunder U
Das Dortmunder U hat eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich. 1927 ging der Turm als Kellerhochhaus der Dortmunder Union-Brauerei in Betrieb. Von 2008 bis 2010 wurde der Turm zum Kulturzentrum umgebaut. Heute ist „das U“ Museum, Club und eines der wichtigsten Wahrzeichen der Stadt.

Das Dortmunder U ist eine der wichtigsten Kulturellen Einrichtungen der Stadt. Ohne die EU wurde es das U wahrscheinlich so nicht geben. © Peter Bandermann (A) / Bastian Pietsch
Ob es dieses Wahrzeichen ohne die EU in seiner heutigen Form gäbe, ist zumindest fraglich. Die Hälfte des U-Umbaus hat die Europäische Union bezahlt. Insgesamt sind in der EU-Förderperiode von 2008 bis 2014 laut der Wirtschaftsföderung rund 46,5 Millionen Euro in das Dortmunder U geflossen. Auch aktuell werden Ausstellungen und Projekte im U von der EU mitfinanziert. Zum Beispiel das Projekt „Smart Places“, das Konzepte für digitale Kultureinrichtungen erarbeiten soll. 2 Millionen Euro gab die EU in den Jahren 2014 bis 2017 dafür her.
„Wenn man Menschen an einem Ort halten will, muss man nicht nur einen Job anbieten, sondern das ganze Paket“, sagt Terry Reintke (Bündnis 90/Die Grünen). Sie sitzt im Europäischen Parlament im Ausschuss für Regionale Entwicklung, also dem Gremium, das entscheidend an der Bewilligung von Fördermitteln mitwirkt. Projekte wie das Dortmunder U erhöhten die Bindewirkung einer Stadt massiv, auch für junge Unternehmer. Zwar hätte die Stadt Dortmund den alten Hochkeller der Unionbrauerei auch ohne EU-Mittel nicht einfach abreißen lassen (er steht unter Denkmalschutz), was aber daraus geworden wäre, kann man heute schwer absehen.
3. Hörde, der Norden und die Emscher
Nicht nur einzelne Gebäude, auch ganze Viertel häten ohne die EU heute ein anderes Gesicht. Hörde zum Beispiel ist ein Stadtteil, der massiv von EU-Fördergeldern geprägt worden ist. Neben den Millionen, die die EU für Projekte rund um den Phoenix-See freigegeben hat wurden im ganzen Stadtteil Baumaßnahmen von der EU mitfinanziert: Für die Umgestaltung der Hörder Bahnhofstraße (rund 1,5 Millionen Euro EU-Fördermittel), für den Schulhof des Phoenix-Gymnasiums (rund 635.000 Euro) und für die Gestaltung der Hochofenstraßen (rund 1,2 Millionen Euro).
Auch die Nordstadt ist von EU-Geldern geprägt: Der Grüne Salon auf dem Nordmarkt, der Fredenbaumpark und das Projekt „Nordwärts“ haben EU-Mittel erhalten. Die ökumenische Anlaufstelle „Willkommen Europa“ für Zuwanderer ist über den ESF gefördert. Sie sitzt in der Nordstadt und soll neu zugewanderten EU-Bürgern helfen, Orientierung und Anschluss an den Arbeitsmarkt zu finden. Die verschiedenen Einzelprojekte von „Willkomen Europa“ wurden von der EU in der Zeit von 2014 bis 2017 laut der Wirtschaftsförderung mit rund 850.000 Euro gefördert.
Und noch ein Beispiel, das viele kleine Investitionen zu einem großen Projekt bündelt: Der Emscherumbau. Über das ganze Ruhrgebiet verteilt ist die Renaturierung eines der größten Infrastrukturprojekte in Europa, mitfinanziert vom Land NRW und auch der EU. Eine eigene Förderrichtlinie gibt es dafür, gennant „ÖPEL – Ökologieprogramm im Emscher-Lippe-Raum“. Ein Teil des Geldes aus Brüssel fließt auch nach Dortmund.
4. Auslandsstudium und Forschungsförderung
Wenn man über die Vorteile der Europäischen Union spricht, landet man häufig bei der „Generation Erasmus“. Erasmus, bzw. inzwischen Erasmus+, ist das Stipendienprogramm der EU für Austauschstudenten. 1987 wurde das Programm gegründet und hat seit dem Millionen Studenten einen Auslandsaufenthalt ermöglicht. Im aktuellen EU-Haushalt ist Erasmus+ ein Milliardenposten.
Im Jahr 2017 sind nach Angaben der Technischen Universität über das Programm 152 Auslandsstudierende an die TU. 266 Studierende der TU sind über Erasmus+ ins Ausland gegangen. Das Projekt soll Studierende fit machen für den internationalen Arbeitsmarkt und die Vernetzung unter den Hochschulen stärken, um so die Forschung zu verbessern.
Die Technische Universität profitiert aber noch weiter von der EU: Rund 8 Millionen Euro an sogenannten Drittmitteln konnten Wissenschaftler laut der TU 2017 von der Europäischen Union einwerben. Der große Rahmen der Forschungsförderung der EU heißt Horizon 2020. Dortmund ist beim Einwerben von Mittel daraus ausgesprochen erfolgreich. 70 Prozent der Gelder aus der Forschungsförderung, die in das Ruhrgebiet fließen, gehen laut der Wirtschaftsförderung nach Dortmund.

Johannes Albrecht von der TU Dortmund wird von der EU mit rund 1,5 Millionen Euro gefördert. Das ist auch eine Auszeichnung für seine exzellente Grundlagenforschung. © Jennifer Hausschild (A) / Bastian Pietsch
Johannes Albrecht (39) bekommt eine besondere Förderung von der EU. Der Experimentalphysiker ist Gewinner eines so genannten ERC-Grant – eine europaweite Ausschreibung zur Exzellenzförderung. Mit 1,5 Millionen Euro verteilt über fünf Jahre unterstützt die EU seine Arbeit. „Der ERC-Starting-Grant finanziert mich und meine Arbeitsgruppe. Das sind drei Doktoranden und vier Masteranden“, sagt Albrecht.
Und auch sonst sei die Arbeit des Physikers, der auch mit dem Forschungszentrum CERN in der Schweiz zusammenarbeitet, ohne die EU schwer vorstellbar: „Die Bedeutung der EU für meine Forscherkarriere kann man nicht hoch genug einschätzen.“ Und noch etwas: „Auch der Rheinische Esel ist ja von der EU mitfinanziert worden. Da gehe ich gern mit meinen Kindern spazieren. Also profitiere ich auch ganz privat von der EU.“
5. Die Bewältigung des Strukturwandels
Dortmund ist wie viele andere Ruhrgebietsstädte auch dem Strukturwandel unterworfen. Weg von einer Wirtschaft aus Kohle und Stahl und hin zu einer aus Nullen und Einsen. Dieser Wandel erfordert Investitionen. „Für Städte, die vom Strukturwandel betroffen sind, ist die EU besonders wichtig“, sagt Terry Reintke. „Viele der Entwicklungen der digitalen Wirtschaft sind grenzüberschreitend und daher für eine Förderung durch die EU besonders geeignet.“ Außerdem könne die EU mit ihren Mitteln auch stärker experimentieren und Risiken eingehen, als es zum Beispiel Kommunen könnten. Das ist wichtig, will man Innovation fördern.
Aktuell findet der Strukturwandel zum Beispiel am Dortmunder Hafen statt. Entlang der Speicherstraße werden alte Lagerhäuser zu Zentren der kreativen und digitalen Wirtschaft. Die Modernisierung der Speicherstraße selbst sowie der Umbau der Hafenpromenade und des Santa Monika Anlegers: Die EU fördert diesen Bauabschnitt mit rund 2 Millionen Euro. Für das Projekt „Heimathafen“ fließen noch mal zusätzlich 3,7 Millionen Euro.
Solche Investitionen ziehen Folgen nach sich. „Für jeden Euro, der in öffentlich geförderte Projekte investiert wird, kommen in Dortmund rund sechs Euro privater Investitionen hinzu“, sagt Pascal Ledune, stellvertretender Geschäftsführerder Wirtschaftsförderung. „Das ist sehr gut, auch im Vergleich mit anderen Städten.“

Terry Reintke (links vorne) und Pascal Ledune (rechts vorne) bei einer Begehung der Speicherstraße. Die Umgestaltung des Hafenquartiers und auch der Straße werden von der EU gefördert. © Bastian Pietsch
Das Technologiezentrum ist in Dortmund ebenso wie Hörde ein Symbol für den gelungenen Strukturwandel sein. Viele Technologieunternehmen haben sich dort seit dessen Gründung 1985 angesiedelt oder sind aus dem Umfeld der Uni entstanden. Das Zentrum selbst erhält zurzeit keine EU-Förderung, allerdings viele der ansässigen Unternehmen. Aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) fließen mehrere Millionen Euro in Forschung und Entwicklung im Technologiezentrum.
Die Thermico GmbH erhielt 2014 bis 2017 zum Beispiel rund 2 Millionen Euro für Forschung zu nachhaltigerern Kunststoff-Materialien. Das Kooperationsprojekt „Start-up Innolab“ von TU, Fachhochschule, Technologiezentrum und Wirtschaftsförderung erhielt rund 1,2 Millionen. Und für ein Projekt für ein sensorbasiertes Fahrrad-Assistenzsystem der GeoMobile GmbH fließen rund 376.000 Euro aus dem EFRE nach Dortmund. Grundlagenforschung, Infrastruktur und Impulse: Sie tragen dazu bei Dortmund für die Wirtschaft der nächsten 20 Jahre fit zu machen.
Die Kosten für Deutschland
Insgesamt ist Deutschland einer der größten Nettozahler in der Europäischen Union. Das heißt, alles zusammengenommen zahlt Deutschland mehr in den großen Topf der Gemeinschaft ein, als es herausbekommt. Rund 23,3 Milliarden Euro hat die Bundesrepublik 2016 nach Angaben der Europäischen Kommission an die EU gezahlt. Alle Fördergelder, die zurückgeflossen sind, zusammengenommen kommen demnach etwa auf 10,1 Milliarden Euro. Die Differenz – rund 13,2 Milliarden Euro – bringen also die Deutschen auf. Doch diese Rechnung greift zu kurz.
Nicht berücksichtigt bei der Darstellung Deutschlands als größtem Zahler der EU sind zum Beispiel die Bevölkerung und die Wirtschaftsleistung. Rechnet man die Nettozahlungen der Mitgliedstaaten auf deren Bevölkerung oder deren Bruttoinlandsprodukt um, liegt Deutschland nicht mehr vorn.
Zudem profitiert Deutschland auch noch abseits der direkten Fördermittel von der EU: Vor allem durch den Binnenmarkt, der zum Beispiel Wachstum für die Exportindustrie generiert. „Hundertprozentig ist Deutschland das Land, das am stärksten von der EU profitiert“, resümiert Terry Reintke. Und noch etwas darf man nicht vernachlässigen: Die EU leistet auch eine große Umverteilung – natürlich zwischen den Mitgliedsstaaten aber auch von einem Ressort zum anderen und zwischen den Regionen. So können Impulse gesetzt werden, die es sonst nicht gäbe, zum Beispiel um Wachstum in strukturschwächeren Regionen zu fördern.
Auch wenn Deutschland nominal der größte Nettozahler in der EU ist, ist es also eher unwahrscheinlich, dass der Bund ohne die EU mehr Mittel zur Verfügung hätte und dass diese dann auch in die oben genannten Projekte in Dortmund fließen würden. Aus dem Haushalt der Stadt Dortmund direkt fließt übrigens nicht ein Euro an die EU.
Geboren in Dortmund. Als Journalist gearbeitet in Köln, Hamburg und Brüssel - und jetzt wieder in Dortmund. Immer mit dem Ziel, Zusammenhänge verständlich zu machen, aus der Überzeugung heraus, dass die Welt nicht einfacher wird, wenn man sie einfacher darstellt.
