Volksbank Dortmund-Nordwest: Von Rekordbilanzen zum Sanierungsfall So kam es zum Absturz

Volksbank Dortmund-Nordwest: Von der Rekordbilanz zum Sanierungsfall
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Sie gilt als „gallisches Dorf“ in einer Finanzwelt, in der Banken immer größer werden. Während zum Beispiel die Dortmunder Volksbank in den vergangenen Jahrzehnten mit mehreren kleineren Banken in der Region fusioniert hat und zur größten Volksbank in Nordrhein-Westfalen wurde, stemmte sich die kleine Volksbank Dortmund-Nordwest tapfer gegen diesen Trend. Jetzt aber scheint das „gallische Dorf“, auf das die Mitglieder und insgesamt 20.000 Kunden zwischen Lütgendortmund und Mengede so stolz sind, zu fallen.

Erste Sondierungsgespräche für einen Zusammenschluss der Volksbank Dortmund-Nordwest mit der Dortmunder Volksbank finden bereits statt. Die Vorstände beider Häuser haben von ihren jeweiligen Aufsichtsräten dafür grünes Licht bekommen.

Der Hintergrund ist dramatisch. So groß der lokalpatriotische Stolz im Westen der Stadt auch ist, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Volksbank Dortmund-Nordwest sind wohl größer. Eine Fusion mit dem „großen Bruder“ soll der Ausweg sein.

Von ihren jeweiligen Aufsichtsräten haben die Vorstände der Dortmunder Volksbank und der Volksbank Dortmund-Nordwest grünes Licht bekommen, die Möglichkeit eines Zusammenschlusses zu erörtern. Die Sondierungsgespräche haben Michael Martens und Matthias Frentzen von der Dortmunder Volksbank  und die seit Jahresbeginn neu bei der Volksbank Dortmund-Nordwest tätigen Vorstände Ralf Knappkötter und Dennis Jaschik jetzt aufgenommen.
Von ihren jeweiligen Aufsichtsräten haben die Vorstände der Dortmunder Volksbank und der Volksbank Dortmund-Nordwest grünes Licht bekommen, die Möglichkeit eines Zusammenschlusses zu erörtern. Die Sondierungsgespräche haben Michael Martens (2.v.r.) und Matthias Frentzen (r.) von der Dortmunder Volksbank und die seit Jahresbeginn neu bei der Volksbank Dortmund-Nordwest tätigen Vorstände Ralf Knappkötter (l.) und Dennis Jaschik (2.v.l.) jetzt aufgenommen. © Peter Wulle

Nach den Jahren mit immer neuen Rekordbilanzen und dem Überspringen der Milliarden-Schallmauer bei der Bilanzsumme ist die Bank mit Sitz Am Amtshaus 22 in Mengede jetzt ein Sanierungsfall. Die Rede ist von Managementfehlern. Es drohen millionenschwere Verluste. Vorübergehend wird man sich unter den Schutzschirm des Bundesverbands BVR flüchten können, aber das ist natürlich nur eine vorübergehende Entlastung. Eine wirkliche Zukunftsperspektive bietet wohl nur eine Fusion. Wie konnte es zum Absturz der Volksbank Dortmund-Nordwest kommen?

2013: Start mit Interhyp

In der Nullzinsphase wurde im Jahr 2013 die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Immobilienfinanzierung mit der Finanzierungsplattform Interhyp begonnen. Für diese trat die Volksbank Dortmund-Nordwest als Anbieter von Immobilienkrediten auf. Man agierte als Bindeglied zwischen Menschen mit dem Wunsch nach Wohneigentum und Anbietern einer Baufinanzierung. Vermittelt wurden Finanzlösungen von anderen Banken, Bausparkassen und Versicherungen an Kunden.

Damals entsprach die Bilanzgröße der einer durchschnittlichen Genossenschaftsbank. Die Bilanzsumme lag bei etwa 500 Millionen Euro.

2019: Kunden gewonnen

Mit dem Boom auf dem Immobilienmarkt aufgrund der niedrigen Bauzinsen entwickelte sich das Baufinanzierungsgeschäft der Volksbank Dortmund-Nordwest sehr gut. Bundesweit wurden Mitglieder und Kunden über das eigene Plattformgeschäft für private Baufinanzierungen gewonnen. Die reine Vermittlungsplattform funktionierte ohne Beratung und jeglichen Aufwand. Die Bilanzsumme stieg auf fast 980 Millionen Euro. Sie hatte sich also seit 2013 fast verdoppelt. Eine Dividende von 3 Prozent wurde an die Mitglieder ausgeschüttet. Dies zu einer Zeit, als konservative Geldanleger, die sich nicht an die Börse trauten, fast keinen Zins mehr für ihr Erspartes bekamen. Und: Es war zu dieser Zeit auch erlaubt, Genossenschaftsanteile von bis zu 45.000 Euro pro Person zu erwerben - ohne Kursrisiko. Die Bank generierte so viel Geld für ihr Immobiliengeschäft und ein Paar konnte beispielsweise 90.000 Euro in Sicherheit bringen. Bei drei Prozent Dividende ergaben sich immerhin 1350 Euro pro Person.

2020: Über 1 Milliarde

Das erste Corona-Jahr schloss die Bank mit einem absoluten Rekordergebnis ab. Erstmals übersprang die Bilanzsumme die Schallmauer von einer Milliarde Euro. Sie betrug exakt 1,11 Milliarden Euro - ein Plus von 13,4 Prozent. Ein Grund dafür: man wurde bundesweit die stärkste Volks- und Raiffeisenbank in der Vermittlung privater Baufinanzierungen über die Interhyp AG. Um an der weiteren Entwicklung und der zunehmenden Digitalisierung der Kunden zu partizipieren, folgte auch eine Beteiligung am Fintech Wechselgott, einem 2019 in Leipzig gegründeten Startup. Das Unternehmen Wechselgott wollte seinen Kunden mithilfe ausgefeilter Algorithmen günstigere Energie- und Versicherungsverträge verschaffen und helfen, Finanzen mit minimalem Aufwand zu managen.

2021: Top-100-Siegel

Im Herbst erhält die Bank in einem von dem bekannten Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar begleiteten Innovationswettbewerb das Top-100-Siegel. In einem wissenschaftlichen Auswahlverfahren, so hieß es, habe die Volksbank Dortmund-Nordwest seine Innovationskraft bewiesen. Den Mitarbeitenden sei bewusst, sagten die damaligen Vorstandsmitglieder Dr. Armin Schwarze und Stephan Schäffer, dass sich das klassische Bankgeschäft verändere und dass man neue Wege gehen müsse, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Daher habe die Volksbank Dortmund-Nordwest bereits im Jahr 2013 die Chancen im Plattformgeschäft mit privaten Baufinanzierungen erkannt und kontinuierlich ausgebaut.

Es ist für unsere Redaktion nicht nachzuzeichnen, wann der damals handelnde Vorstand entschied, sich mit Eigenanlagen der Volksbank Dortmund-Nordwest an Immobilienfonds zu beteiligen. Auf jeden Fall waren das werthaltige Geldanlagen, solange der Zins niedrig war.

2022: Fonds als Problem?

Auch in diesem Jahr, in dem der Krieg in der Ukraine begann und in der Folge davon die Zinswende eingeleitet wurde, erzielte die Volksbank Dortmund-Nordwest ein erfolgreiches Geschäftsergebnis. Die Bilanzsumme wurde bewusst stabil gehalten und lag am Jahresende weiter bei 1,1 Milliarden Euro. Alles in allem lag der Jahresüberschuss nach Steuern bei 11,5 Millionen Euro. Kunden und Mitglieder könnten weiterhin auf die Stärke der Volksbank Dortmund-Nordwest vertrauen, hieß es. Erfreulich sei auch, so Vorstand Stephan Schäffer, dass man im Gegensatz zu vielen anderen Banken den dramatischen Zinsanstieg gut bewältigt habe und keine Wertberichtigungen vornehmen musste.

Das Bewertungsergebnis konnte sogar gegenüber 2021 um 5,7 Millionen Euro gesteigert werden. Dies resultierte unter anderem aus positiven Ergebnissen im Eigenanlagen-Depot. Man unterhielt vergleichsweise üppige Spezialfonds, mit denen man das klassische Geschäftsmodell der Volksbanken verlassen hatte. Dass die Fonds auch ein Problem werden können, darauf wurde erstmals während der Vertreterversammlung Mitte des Jahres seitens des genossenschaftlichen Prüfungsverbandes hingewiesen. Das „negative Testat“, von dem berichtet wurde, zeigte manchem von den Mitgliedern der Bank gewählten Vertreter an, auf welch tönernen Füßen das neue Geschäftsmodell stehen könnte.

Dieses Foto entstand mit dem ersten offensichtlich unfreiwilligen Abgang im Vorstand der Volksbank Dortmund-Nordwest. Stephan Schäffer (l.), langjähriger Vorstand, wurde zum 1.2.2024 durch den Aufsichtsrat freigestellt. Mit im Bild: Aufsichtsratsvorsitzender Reiner Pamp (2.v.l.), sein Stellvertreter Klaus-D. Jänicke (2.v.r.) und das neue Vorstandsmitglied Ralf Knappkötter (r.).
Dieses Foto entstand mit dem ersten offensichtlich unfreiwilligen Abgang im Vorstand der Volksbank Dortmund-Nordwest. Stephan Schäffer (l.), langjähriger Vorstand, wurde zum 1.2.2024 durch den Aufsichtsrat freigestellt. Mit im Bild: Aufsichtsratsvorsitzender Reiner Pamp (2.v.l.), sein Stellvertreter Klaus-D. Jänicke (2.v.r.) und das neue Vorstandsmitglied Ralf Knappkötter (r.). © Volksbank Dortmund-Nordwest

2023: Wechsel im Vorstand

Die Kooperation mit dem Fintech Wechselgott kam zu einem Ende. Wechselgott meldete Insolvenz an. Die weiteren Anhebungen des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank führten jetzt jenseits von Immobilienfonds zu alternativen Möglichkeiten für die Geldanlage. Für die Volksbank Dortmund-Nordwest bedeutete das, dass ihre Eigenanlagen in Immobilienfonds ihre Werthaltigkeit verloren. Im Nachhinein überrascht es nicht, dass es nun zu erheblichen personellen Veränderungen in den Führungsgremien der Bank kam.

In der ersten Aufsichtsratssitzung des Jahres am 9. Februar 2023 standen Wahlen des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters an. Dr. Reiner Pamp wurde in dieser Sitzung zum neuen Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt und Klaus Dieter Jänicke zum Stellvertreter. Mit Wirkung zum 22. Februar 2023 legten der bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Ulrich Hüsken und das Aufsichtsratsmitglied Dirk Stüdemann ihre Ämter nieder.

Nachdem die Bankenaufsicht BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) 2020 eine übliche Prüfung bei der Volksbank in Mengede vorgenommen hatte, kamen Vertreter der BaFin Mitte 2023 für eine Nachschauprüfung noch einmal nach Mengede - mit Feststellungen und Warnungen, die nach Informationen unserer Redaktion nichts an Deutlichkeit vermissen ließen.

Während der Vertreterversammlung am 28. Juni 2023 in der Alten Schmiede in Huckarde geriet dann der Vorstand erheblich unter Druck. Die Stimmung muss sehr aufgeheizt gewesen sein. Hochemotional wurde über „die überproportional hohen Investments in Immobilienfonds“ gesprochen. Von manchen, die dabei waren, wird berichtet, dass es auf offener Bühne erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Aufsichtsrat und dem Vorstand gab.

Im Herbst kommt es zu einer ersten personellen Konsequenz im Vorstand: Dem langjährigen Vorstandsvorsitzenden Dr. Armin Schwarze (63) wird quasi der Stuhl vor die Tür gestellt. Zu den Gründen äußerte sich die Volksbank Dortmund-Nordwest nicht. Zum 1. November wurde der bisherige Generalbevollmächtigte Ralf Knappkötter (57) neuer Vorstand.

2024: Rettungsschirm nötig

1. Februar 2024: Dennis Jaschik wurde in den Vorstand berufen. Er kommt von der VR Bank Ried-Überwald, bei der er Vorstandsmitglied war.

8. Februar 2024: Der nächste Paukenschlag: Auch das zunächst verbliebene, langjährige Vorstandsmitglied Stephan Schäffer wird vom Aufsichtsrat von allen seinen Aufgaben entbunden und muss gehen. Zu den Gründen äußerte man sich erneut nicht.

Der Sitz der Volksbank Dortmund-Nordwest an der Straße Am Amtshaus 22 in Mengede. Steht hier demnächst "Dortmunder Volksbank" über dem Eingang?
Der Sitz der Volksbank Dortmund-Nordwest an der Straße Am Amtshaus 22 in Mengede. Steht hier demnächst "Dortmunder Volksbank" über dem Eingang? © Peter Wulle

29. Februar 2024: Nach Wochen des Schweigens erklärte die Bank in einem Schreiben an die Vertreter ihrer Mitglieder: „Viele Volkswirte hatten angenommen, dass der Niedrigzins von Dauer sein wird. Auch das bisherige Geschäftsmodell der Volksbank Dortmund-Nordwest basierte auf dieser Annahme. (...) Klar ist zum jetzigen Zeitpunkt, dass unser bisheriges Geschäftsmodell nicht mehr tragfähig ist. Der Aufsichtsrat hat daher eine weitreichende Umstrukturierung des Vorstands beschlossen.“ Es wurde weiter erklärt, dass man bezüglich Strategie und Zukunftsausrichtung unterschiedlicher Auffassung sei. Auch sollen die Interaktionen mit den Kunden verbessert werden. Diese Ohrfeige des Aufsichtsgremiums war schallend.

Auf der Homepage der Volksbank Dortmund-Nordwest war bald darauf zu lesen, dass nur noch maximal 30 Anteile zu je 150 Euro (Maximalbetrag 4.500 Euro) pro Person gezeichnet werden können. Damit bewegt sich die Bank wieder in dem Bereich, in dem dies auch bei der Dortmunder Volksbank (maximal 4.000 Euro) möglich ist. Die Höchstgrenze von ehemals 45.000 Euro ist passé.

14. Mai 2024: Es wurde bekannt, dass die Mitglieder der Volksbank Dortmund-Nordwest vor dem Hintergrund eines drohenden Millionenverlusts in diesem Jahr wohl keine Dividende erhalten werden. Von Insidern erfuhr unsere Redaktion, dass das aufgebaute, geschlossene Immobilien-Spezialportfolio nur deutlich unter dem Nennwert zu verkaufen sein wird. Der Verlust belaste das Jahresergebnis wohl so stark, dass keine ausgeglichene Bilanz, wie sie die Bankenaufsicht erwartet, vorgelegt werden könne. Es scheint klar: die Volksbank Dortmund-Nordwest muss unter den „Rettungsschirm“ des Bundesverbandes der Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) flüchten - als erste Genossenschaftsbank in NRW. Während der Regionalkonferenzen an den Filialstandorten in Mengede, Huckarde und Lütgendortmund wurden die Vertreter informiert, dass man mit der Sicherungseinrichtung des BVR „im guten Austausch“ sei.

Juni 2024: Die neuen Vorstandsherren betonen erneut, dass sie die Sicherungseinrichtung des Bundesverbandes der Volksbanken und Raiffeisenbanken an ihrer Seite wissen. Das Geld der Mitglieder und Kunden sei auf jeden Fall sicher. Es wird nun ein Sanierungsvertrag aufgesetzt. Man befinde sich, so ist zu hören, „in guten Gesprächen“. Als Grundlage für einen Zusammenschluss mit der Dortmunder Volksbank gilt es, die vermeintlichen Managementfehler auszubügeln und das Millionenloch zu stopfen.

Die Chefs der Volksbank Dortmund-Nordwest und der Dortmunder Volksbank sind optimistisch, dass das gelingt, und „stricken“ eifrig an einer Fusion. Sie sagen, dass mittlerweile „sowohl die Zahlen aus dem operativen Geschäftsbetrieb wie auch das Bewertungsergebnis final“ vorlägen. Die Analyse dieser Zahlen ließe beide „zur Überzeugung kommen, dass eine Fusion die einzige Lösung“ sei.

22. Juli 2024: An diesem Tag wird die mit Spannung erwartete Vertreterversammlung der Volksbank Dortmund-Nordwest stattfinden. Dann sollen mit dem Jahresergebnis 2023 die wirtschaftlichen Schwierigkeiten detailliert offengelegt werden. Außerdem wird sich in dem „gallischen Dorf“ dann auch ein erstes Stimmungsbild ergeben, ob die Vertreter eine Fusion mit der Dortmunder Volksbank möchten oder nicht. In gesonderten Vertreterversammlungen müssten dafür in der zweiten Jahreshälfte jeweils über 75 Prozent mit Ja stimmen.

Hinweis: Dieser Text erschien erstmals am 24. Juni 2024