Smarties als Attrappen: Unser Autor Lukas Wittland (links) hat mit einem Freund getestet, wie schwierig es ist, Bengalos ins Stadion zu schmuggeln.

© Stephan Schuetze

So einfach ist es, Bengalos in den Signal-Iduna-Park zu schmuggeln

rnTest im BVB-Stadion

Wie konnten die Fans vom BVB und Kopenhagen am Dienstag massenweise Pyrotechnik ins Dortmunder Stadion bekommen? Ein Test unserer Redaktion vor vier Jahren zeigt: Nichts ist leichter als das.

Dortmund

, 07.09.2022, 12:31 Uhr / Lesedauer: 4 min

Das Champions-League-Heimspiel des BVB gegen den FC Kopenhagen ist am Dienstagabend (6.9.) von teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Fanlagern überschattet worden. Fans attackierten sich im Stadion auch mit Pyrotechnik, die mehrere hundert Grad heiß wird. Bengalische Fackeln landeten teils auf den Sitzplatztribünen.

Während des Spiels ist auf der Südtribüne und im Gästeblock massiv Pyrotechnik gezündet worden. Die ist im Stadion verboten. Aber wie schwer ist es überhaupt, Bengalos ins Stadion zu bekommen? Wir haben den Test vor fast vier Jahren bei einem Pokalspiel des BVB gegen Union Berlin gemacht, nachdem Fans von Hertha BSC zuvor in der Bundesliga in großem Stil Pyrotechnik abgebrannt hatten.

Dieser Text ist zuerst am 2. November 2018 online erschienen.

Unterm Gürtel, in der Unterhose und selbst mitten in der Hand: Die vier Attrappen, die RN-Reporter Lukas Wittland am Mittwoch beim DFB-Pokalspiel gegen Union Berlin gemeinsam mit einem Freund ins Stadion schmuggelte, haben die beiden kinderleicht an den Sicherheitskontrollen vorbei schleusen können.

Bundesweites Stadionverbot

Pyrotechnik ist in allen deutschen Stadionordnungen verboten. Tätern droht bundesweites Stadionverbot. Trotzdem brennen Bengalos regelmäßig in den Fanblöcken der deutschen Fußballstadien. Denn das Zünden von Pyrotechnik auf den Rängen ist eine Streitfrage, die Fans, Vereine, den Deutschen Fußballbund und die Polizei seit Jahren beschäftigt. Die Pyro-Shows der Ultra-Gruppierungen sorgen immer wieder für Diskussionen und spalten die Fan-Szene.

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Befürworter heben vor allem die stimmungsvollen Bilder hervor, Gegner die gesundheitlichen Risiken, die bestehen, wenn bengalische Feuer mit einer bis zu 2000 Grad heißen Flamme in einer Menschenmenge abgebrannt werden. Wie auch am Samstag im Signal-Iduna-Park.

„Rotspiel“ mit Gefahrenpotenzial

Beim Spiel zwischen dem BVB und Hertha BSC Berlin war es zu unschönen Szenen im Gästeblock gekommen. Berliner Fans lieferten sich eine Prügelei mit der Polizei. Die Sicherheitskräfte waren zuvor eingeschritten, als hinter einem großen Fanbanner Pyrotechnik entflammt worden war. Im Internet tauchten Fotos auf, die tütenweise Pyrotechnik auf der Nordtribüne des Stadions zeigten. Wie schaffen Fans es immer wieder, die heiße Ware durch die Sicherheitskontrollen zu schleusen?

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Das wollte ich wissen und testete die Sicherheitskontrollen am Mittwoch gemeinsam mit einem Freund beim DFB-Pokalspiel gegen Union Berlin. Das Spiel wurde im Vorfeld von der Polizei als „Rotspiel“ mit Gefahrenpotenzial eingestuft.

Attrappen statt echter Pyros

Mit echten Fackeln wollten wir das nicht ausprobieren und haben uns deshalb für Pyro-Attrappen entschieden: Smartie-Verpackungen. Diese haben ziemlich genau die Form und Größe eines Bengalos. Auch das Gewicht passt. Damit die Smarties nicht in der Verpackung rascheln, habe ich drei bis oben befüllt und zugeklebt. Eine weitere ist mit Zeitungspapier ausgestopft, damit sie in etwa der Härte eines Bengalos entspricht. Insgesamt wollen mein Freund und ich also vier Attrappen ins Stadion schmuggeln. Jeder von uns nimmt zwei.

Die Smartie-Packung ist zwar etwas kleiner als der Bengalo. Als Attrappe taugt sie aber allemal.

Die Smartie-Packung ist zwar etwas kleiner als der Bengalo. Als Attrappe taugt sie aber allemal. © Lukas Wittland

Aber wo verstecken wir die am besten? Meine erste Idee, sie einfach unter die dicke Winterjacke zu stecken, stellte sich bei einem Test nicht als sonderlich gut heraus. Die etwa 22 Zentimeter lange Verpackung lässt sich so leicht ertasten. Also werden wir ein wenig kreativer. Ich klemme eine Attrappe hinter meinen Gürtel und wickle die andere in einen Schal, den ich bei der Kontrolle in der Hand halten werde, überlege ich mir. Mein Freund will ebenfalls eine Attrappe hinter seinem Gürtel verstecken. Eine andere platziert er in einer langen Unterhose im Schritt.

Polizisten gucken misstrauisch

Wir glauben, dass das so funktionieren kann und machen uns auf den Weg zum Stadion. Eine Dreiviertelstunde vor Spielbeginn treffen wir uns mit unserem Fotografen vor dem Nordeingang und machen für diesen Test noch ein paar Fotos mit den Attrappen. Als wir diese vor dem Stadion in die Höhe recken, schauen schon einige Polizisten misstrauisch. Dabei bleibt es aber auch.

Vor dem Stadion waren viele Polizisten unterwegs.

Vor dem Stadion waren viele Polizisten unterwegs. © Stephan Schütze

Jetzt müssen wir die Attrappen noch am Körper platzieren. Wir beide sind uns unsicher, ob das hier wirklich so eine gute Idee ist. Das Pokalspiel wurde zuvor als „Rotspiel“ mit Gefahrenpotenzial eingestuft. Die Polizei ist mit verstärktem Aufgebot vor Ort. Auch, wenn es nur Smartie-Verpackungen sind, werde ich jetzt doch ein wenig nervös.

Noch eine halbe Stunde bis zum Anpfiff. Auf dem Weg zum Eingang – wir haben Karten für die Osttribüne – merke ich schon, wie die Attrappe hinter dem Gürtel verrutscht. Verdammt. Schnell versuche ich, sie wieder an die richtige Stelle zu rücken. Zehn Meter vor der Kontrolle sitzt sie wieder an Ort und Stelle. Die meisten Leute sind schon im Stadion. Wir müssen kaum warten.

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Die Kontrolle

Mein Freund geht vor, ich hinterher. Vor ihm stehen noch zwei Fans. Dann ist er dran. Ich blicke auf den Schal in meiner Hand, in dem ich die Bengalo-Attrappe eingewickelt habe. Ich versuche, mich locker zu geben. Als einer der Ordner frei wird, gehe ich zu ihm rüber. „Hallo!“, sage ich ihm. Er grüßt zurück.

Mein Freund (links) und ich (2 v.r.) bei den Einlasskontrollen. In der rechten Hand, halte ich die Attrappe eingewickelt in meinem Schal.

Mein Freund (links) und ich (2 v.r.) bei den Einlasskontrollen. In der rechten Hand, halte ich die Attrappe eingewickelt in meinem Schal. © Stephan Schuetze

„Hoffentlich will er den Schal nicht sehen“, denke ich nur und blicke nervös auf den Schal in meiner rechten Hand. Direkt darunter steckt die Attrappe. Beide Arme habe ich für die Kontrolle gehoben, Attrappe und Schal in die Luft gereckt. Der Ordner fängt an, mich abzutasten. Er arbeitet sich vom Handgelenk herunter bis zu den Schultern. Das hat schon mal geklappt. Aber die Attrappe am Gürtel macht mir Sorgen. Sitzt sie noch richtig? Ich habe kein Gefühl dafür. Der Ordner tastet mich am Oberkörper ab und arbeitet sich zum Gürtel vor. Ausgerechnet da tastet er ziemlich genau. Bestimmt drei Sekunden lang. Für mich eine halbe Ewigkeit. „Scheiße, hat er die Attrappe bemerkt?“

Offenbar ein guter Ort zum Schmuggeln, wie der Test zeigt. Bengalo-Attrappe hinter dem Gürtel.

Offenbar ein guter Ort zum Schmuggeln, wie der Test zeigt. Bengalo-Attrappe hinter dem Gürtel. © Lukas Wittland

Hat er nicht. Er klopft noch kurz die Oberschenkel ab und sagt dann: „Alles klar!“ Ich darf durch. Erst hinterm Drehkreuz drehe ich mich um: Mein Freund scannt auch gerade seine Karte. Wir gehen in Richtung Osttribüne. „Mann, war das einfach“, sage ich zu ihm. Auch mein Freund hatte überhaupt keine Probleme. „Der Mann vor mir in der Schlange, der so um die 50 war, wurde ziemlich gründlich kontrolliert. Da habe ich schon gedacht: Oh Gott, wenn die da schon so penibel sind, dann kontrollieren die jemanden, der Anfang Zwanzig ist, doch noch genauer“, erzählt er. Doch niemand hat die Attrappen bemerkt.

Mitten durch die Sicherheitskontrolle

Wir haben uns im Vorfeld deutlich mehr Gedanken gemacht, als nötig. Die Attrappen reinzuschmuggeln, erwies sich an diesem Abend als Kinderspiel. Wir hätten sie sogar an den Beinen verstecken können. Weder bei mir noch bei meinem Freund wurde dieser Bereich richtig kontrolliert.

Ohne Problem konnten wir die Bengalo-Attrappen ins Stadion schmuggeln.

Ohne Problem konnten wir die Bengalo-Attrappen ins Stadion schmuggeln. © Lukas Wittland

Auch wenn wir am Ende nur kleine Schoko-Bonbons ins Stadion geschmuggelt haben: Einen kleinen Adrenalin-Kick erlebten mein Freund und ich auf jeden Fall. Denn wir wussten ja nicht, wie die Ordner reagieren würden, wenn sie die Verpackungen finden. Wer versteckt schon Süßigkeiten hinter dem Gürtel oder in der Unterhose?

Dass es am Ende so einfach werden wird und die Attrappen niemandem auffallen, hätten wir allerdings so nicht vermutet. Unser Test beantwortet somit ein Stück weit die Frage, wie es den Fans von Hertha BSC Berlin vor einer Woche möglich war, massenweise Pyrotechnik ins Stadion zu schmuggeln. Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass es auf dem einfachsten Weg passierte: eben mitten durch die Sicherheitskontrolle.

Kommentar

Das war ganz schön leicht

Eine Bengalo-Attrappe hinter dem Gürtel, die andere sogar in der Hand, eingewickelt in einem Schal, und zack: Man ist samt verbotener Gegenstände im Stadion. Dass sich der Ordner nicht den Schal zeigen ließ, hat mich schon sehr gewundert. Das ist zeitlich nun wirklich kein großer Aufwand und würde schon für ein ganzes Stück mehr Sicherheit sorgen. Menschen, die verbotene Gegenstände ins Stadion schmuggeln wollen, muss ihr Vorhaben so schwierig wie möglich gemacht werden. Schließlich könnten nicht nur Bengalos, sondern auch Sprengkörper oder Waffen auf dem gleichen Weg ins Stadion gelangen. Und dennoch müssen wir uns im Klaren sein: Ein höheres Maß an Sicherheit geht einher mit schärferen Kontrollen, die dann auch die Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen einschränken. Den Schal zu zeigen, macht mir nichts aus. Aber wer will schon im Intimbereich abgetastet werden, bevor er sich ein Fußballspiel anschaut? Ich jedenfalls nicht. Lukas Wittland