Die Lücken in den Ladenzeilen der Thier-Galerie sind nicht zu übersehen. Vor allem im Erdgeschoss reiht sich von Primark bis hin zu Esprit auf der ganz anderen Seite Leerstand an Leerstand. Pimkie hat hier gerade geschlossen, die anderen Läden sind schon länger verwaist und auch Esprit wird bald schließen. Der Ausverkauf läuft dort schon. Außerdem verdichten sich auch die Anzeichen, dass der Body Shop im September schließen wird. Was ist los? Sind Shoppingcenter wie die Thier-Galerie nicht mehr zeitgemäß?
In ganz Deutschland verändert sich derzeit die Shopping-Welt. Geschäfte für Bekleidung, Schuhe, Accessoires und Elektronik spielen zum Beispiel bundesweit in Einkaufszentren eine immer kleinere Rolle. Zu diesem Ergebnis kommt der Shopping-Center Report 2024 des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI.
Vor 60 Jahren eröffneten in Deutschland die ersten zwei Shopping-Center und legten den Grundstein für das Prinzip des Einkaufs in geplanten und gemanagten Shopping-Destinationen. Heute sind es 506 Center. Erstmals in der Geschichte zeigt sich jedoch gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang der Anzahl der Shopping-Center - 2023 waren es noch 509. Der Rückgang geht darauf zurück, dass der Einzelhandels-Anteil einiger Häuser durch Umnutzungen unter die für Shopping-Center definierte Mindestgröße von 10.000 Quadratmetern rutschte.
Andere Nutzungen
„Immer mehr Center verkleinern ihre Einzelhandelsflächen und setzen stärker auf andere Nutzungen wie Freizeit, Gastronomie, Sport, Arztpraxen, Büro, Kitas und Wohnen“, sagt die Studienautorin Lena Knopf. „Mischnutzungen haben einen Vorteil: Sie sind lebendiger. Menschen suchen die Center auf, weil sie dort auch noch viele praktische andere Dinge erledigen können“, sagt sie und ergänzt: „23 Prozent der Center planen eine Reduzierung der Retail-Mietfläche (Anm. der Red.: Verkaufsfläche) zugunsten von sonstigen Mischnutzungen und weitere 9 Prozent haben innerhalb der vergangenen 5 Jahre die Retail-Mietfläche schon reduziert.“

Als Torben Seifert vor fast zwei Jahren im Oktober 2022 seine Arbeit als Center-Manager in der 33.000 Quadratmeter Verkaufsfläche bietenden Thier-Galerie begann, machte er sich genau auf diesen Weg - hin zu Mischnutzungen und Erlebnisangeboten. So gibt es in der Thier-Galerie das Deutsche Rote Kreuz mit seinem Blutspendedienst, es gab den Showroom für die Ausstellung Phoenix de Lumières, es gibt eine Kinderbetreuung, einen Friseur, ein Nagelstudio-Angebot und inzwischen drei Reisebüros. Demnächst soll eine DHL-Packstation kommen.

„Darüber hinaus“, sagt Torben Seifert, „setzen wir verstärkt auf Entertainment und Erlebnisformate wie die deutschlandweit erste Rollerdisco und unsere ökologische Eisbahn. Und im kommenden Monat folgt am 13. und 14. September unsere erste Cosplay Convention.“ Um leer stehende Ladenlokale wenigstens vorübergehend mit Leben zu füllen, gibt es kurzzeitige Vermietungen. Interessierte Händler können so den Standort testen. Beispiele hierfür sind der Pop-Up-Store O‘Donnell Moonshine sowie die Shops von BVB-Profi Emre Can und des Sportbekleidungsanbieters Fabletics.
Gesunkenes Mietvolumen
Trotzdem liegt die aktuelle Leerstandsquote in der Thier-Galerie aktuell bei fast 15 Prozent. Für viele Center in Deutschland ist das Mietvolumen zwischen 2021 und 2023 zurückgegangen, stellen das German Council of Shopping Places und das EHI Retail Institute in ihrem Whitepaper „Centermanagement im Fokus“ fest. In 63 Prozent der Shopping-Center ist nach ihrer Erhebung das Mietvolumen gesunken. Auf freie Handelsflächen folgen jetzt mehr Freizeit- und Gesundheitsnutzungen. Jedes dritte Shopping-Center verfügt bereits über ein Fitnessstudio. Dieses ist die häufigste Freizeitnutzung - gefolgt von Indoor-Spielplatz, Selfie-Interaktionen, Wellness und Kino/Theater.


Während es einen Selfie-Spot in der Thier-Galerie zu besonderen Anlässen bereits gibt, könnten auch die anderen Freizeitnutzungen durchaus noch zum Ersatz des zurückgehenden Handels werden. Ein großes Indoor-Sport- und -Spiel-Angebot? Warum nicht? Center-Manager Torben Seifert äußert sich auf Anfrage nicht dazu, ob dies eine Option für die vielen hintereinander liegenden, leeren Ladenlokale im Erdgeschoss ist. Er spricht von einem „strategischen Leerstand“ und sagt nur: „Ein spezifischer Grund für den aktuellen Leerstand ist die Anpassung an neue Marktbedingungen sowie die in Planung befindliche strategische Neuausrichtung unserer Flächen.“
Arztzentrum statt Handel?
Mit „neuen Marktbedingungen“ meint er die Herausforderungen in einem schwierigen Wettbewerbsumfeld. Globale Krisen- und Kriegssituationen treiben Kosten, verunsichern die Kundschaft und resultieren in Kaufzurückhaltung bei gleichzeitig geringeren Mieteinnahmen. „Vor der Corona-Pandemie war die Leerstandsquote niedriger, doch die Pandemie hat das Eigenkapital vieler Einzelhändler stark beeinträchtigt, was zu vermehrten Insolvenzen führt und die Nachvermietung verzögert hat“, sagt Torben Seifert. Gleichzeitig muss allein fürs Einkaufen niemand mehr in die City fahren, da reichen ein paar Klicks bei Amazon & Co. „Es braucht auch Erlebnis-, Entertainment-, Gastronomie- und Dienstleistungsangebote. Genau diese Entwicklung nimmt ja auch die Thier-Galerie. Aber, das braucht Zeit. Ich mache mir keine größeren Sorgen, dass es gelingen wird“, sagt Thomas Schäfer, Geschäftsführer des Handelsverbandes Westfalen-Münsterland.

Aus der Palette der Dienstleistungsangebote könnte zur Behebung des großflächigen Leerstands im Erdgeschoss ein Gesundheitszentrum dienen. Damit soll zum Beispiel im Rheinpark-Center Neuss das Leerstandsproblem gelöst werden. Dort soll - allerdings im weniger frequentierten zweiten Obergeschoss - auf 12.000 Quadratmetern ein medizinisches Versorgungszentrum öffnen. So groß ist die zusammenhängende Mietfläche in der Thier-Galerie jedoch nicht.

In der Thier-Galerie dürfte sich der „strategische Leerstand“ im Erdgeschoss auch nach dem Umzug des angrenzenden Fashion-Stores Street One auf etwa 4000 bis 5000 Quadratmeter summieren. Für Arztpraxen könnte die Fläche trotzdem interessant sein. Dass darauf ein großer Einzelhändler wie der Spielzeug- und Spielwarenanbieter Smyths Toys zieht, ist eher unwahrscheinlich. Auch ein Fashion-Anbieter ist eher nicht in Sicht. Die Modebranche steckt in der Krise und klagt über einen Konsum-Rückgang. Wohl nur die spanische Inditex-Gruppe, zu der die erfolgreichen Marken Zara und Stradivarius gehören, käme infrage. Die Gruppe eröffnete 2023 ihren ersten Stradivarius-Store in Deutschland in einem ECE-Center in Stuttgart. ECE Marketplaces ist auch Mit-Eigentümer der Thier-Galerie und der größte Shopping-Center-Betreiber Europas.
A45-Sperrung und Drogenthema
„Was viele Shopping-Center momentan gemeinsam haben“, sagt die Handelsimmobilien-Expertin Lena Knopf, „ist die Herausforderung der großen Flächen, insbesondere bei mehreren Etagen. Oft funktionieren die Erd- und Untergeschosse ganz gut, doch in den oberen Etagen reißen die Frequenzen ab und an diesen Stellen treten dann vordergründig die Leerstände auf. Eine Antwort kann dann sein, die Retail-Fläche zu verringern und stattdessen andere Nutzungen ins Center zu nehmen, die für mehr Leben und Frequenz sorgen.“ Für die Thier-Galerie gilt das so nur bedingt, da sie auf zwei Ebenen direkte Eingänge hat. Vom Westenhellweg gelangt man ins Erdgeschoss, von der Silberstraße/Potgasse ins erste Obergeschoss.

Es sind vielmehr lokale und regionale Entwicklungen, die die Besucherfrequenz grundsätzlich beeinträchtigen. „Zum einen beobachten wir eine Abnahme der Besucherfrequenz aufgrund der Sperrung der A45 wegen Brückenbauarbeiten bei Lüdenscheid und zum anderen wird die Dortmunder City derzeit von vielen potenziellen Besuchern wegen einiger Herausforderungen wie der Drogenthematik in der Innenstadt gemieden. An diesen wird aber im engen und guten Austausch mit Akteuren aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung gearbeitet. Auch die aktuelle Umsetzung eines aktiven Citymanagements empfinde ich als sehr gut“, sagt Torben Seifert.

Für das Problem eines Drogenkonsumraums in der Nachbarschaft der Thier-Galerie hofft Heike Marzen, Geschäftsführerin der städtischen Wirtschaftsförderung, auf eine baldige Lösung. „Mir ist die Dringlichkeit sehr bewusst und ich wünsche mir, dass perspektivisch auch wieder der Ein- und Ausgang Martinstraße genutzt werden kann. Noch größer ist aber der Wunsch, dass es eine breite, fraktionsübergreifende und demokratische Mehrheit für eine Umverlegung des Drogenkonsumraums gibt“, sagt sie.
Händler in besserer Stimmung
Dortmunds Wirtschaftsförderin, die selbst vor einigen Jahren Chefin der Thier-Galerie war, sieht insgesamt eine gute Zukunft für das Einkaufszentrum. Die ECE als Betreiber und europäischer Marktführer verstehe ihr Handwerk und passe ihre Shoppingcenter durch Investitionen und Mieterbesatz den Marktanforderungen an.
„Was die offensichtlichen Leerstände angeht“, sagt Heike Marzen, „so bin ich mir sicher, dass die ECE und die Eigentümer der Immobilie damit eine Strategie verfolgen, um die nächste Anpassung vornehmen zu können. Die Möglichkeit, Leerstände über einen Zeitraum ‚aushalten‘ zu können - und eben nicht mit unpassenden Sortimenten zu belegen, um schnelle Mieterträge erzielen zu müssen - um Shopflächen umzubauen, zusammenzulegen und Umzüge innerhalb eines Hauses durchführen zu können - das ist doch der große Vorteil von professionell gemanagten Shopping-Centern.“

In der ECE-Zentrale in Hamburg äußert man sich nicht dazu, wie die Thier-Galerie im bundesweiten Vergleich dasteht. Man verweist auf die Ansiedlung neuer Geschäfte wie des Juweliers Orovivo, des Kleinwaren-Anbieters Niu Niu und des Sporternährungs-Shops Biotech und zeigt sich insgesamt optimistisch: „Insbesondere in den letzten Monaten hat sich die Stimmung bei den Händlern wieder deutlich verbessert und es gibt eine merklich zunehmende Flächennachfrage. Das zeigen die Vermietungszahlen der ECE insgesamt, die ihre Vermietungsleistung in den von ihr betriebenen Centern 2023 insgesamt um 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf insgesamt rund 800.000 Quadratmeter vermietete Fläche gesteigert hat - und auch 2024 hat sich diese Vermietungsleistung weiter so positiv entwickelt.
Zwei neue Shopping-Center
Festzuhalten ist: Es gibt keine Krise der Shoppingcenter, sondern eine Neuausrichtung. Vor der Herausforderung, sich in ihrer Struktur vielfältiger aufzustellen und einen Teil der Handelsfläche beispielsweise durch Freizeitangebote, Gesundheitsdienstleistungen, Büros, Hotels oder Behörden zu nutzen, steht auch die Thier-Galerie.
„Dabei hat sie den Vorteil der Innenstadtlage. Und auf Basis einer Mischnutzung hat die Thier-Galerie eine gute Zukunftsperspektive. Serviceangebote, ein Fitnessstudio, ein Escaperoom, Ärzte oder auch nicht störendes Handwerk könnten beispielsweise die Attraktivität steigern. Was für die City insgesamt gilt, gilt auch für Shopping-Center. Die Leute müssen sagen können: Wenn ich da hingehe, erlebe ich was“, sagt der Dortmunder Handelsexperte Thomas Schäfer.
Dass die Zahl der Shopping-Center in Deutschland jetzt erstmals zurückgegangen ist, ist für Lena Knopf kein Grund zur Besorgnis: „Dass die Zahl irgendwann nicht mehr steigt, war zu erwarten, da es vielerorts inzwischen sehr viel Verkaufsfläche gibt“, sagt sie und verweist in ihrem Shopping-Center Report 2024 darauf, dass 2023 auch zwei neue Center ihre Tore öffneten: die Westerwald Arkaden in Höhr-Grenzhausen bei Koblenz und das Husemann Karree in Bochum. Lena Knopf: „Nicht nur diese beiden Neueröffnungen zeigen, dass der Markt dynamisch bleibt und sich den Bedürfnissen der Menschen anpasst.“