Sind Männer weniger wählerisch als Frauen? Paartherapeut Benedikt Bock bezweifelt es

Von Benedikt Bock
Sind Männer weniger wählerisch als Frauen? Paartherapeut Benedikt Bock bezweifelt es
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Karola (alle Namen im Text geändert), die kurz vor ihrem 40. Geburtstag steht, klagte mir neulich ihr Leid: Sie ist schon länger solo und auf Partnersuche. Um die Sache etwas zu beschleunigen, tindert sie. In der Dating-App Tinder bekommt man Profile präsentiert, die man entweder nach links schiebt („Don’t like“) oder nach rechts („Like“). Wenn auch die Gegenseite auf „Like“ schiebt, hat man einen „Match“. Nun können die beiden sich schreiben.

Sie scrollt durch die Profile, aber so gut wie keiner gefällt ihr. Der eine sieht zu harmlos aus, der andere ist zu sehr tätowiert, und Männer, die sich mit Auto oder Motorrad präsentieren, fallen sowieso heraus. Sie hält sie für unreif und egozentrisch. Folglich schiebt sie ihre Bilder in Richtung „Don’t like“. Sie steht in ihrer Freizeit auf Kunst und Kultur.

Damit will sie mit ihrem zukünftigen Partner ihre Zeit verbringen, sodass Männer mit diesem Hobby eine höhere Chance auf einen „Like“ von ihr haben. Was ihr auffällt: Jeder von den wenigen, denen sie ein „Like“ gibt, ist auch ein Match – der Mann hat also auch ein „Like“ gegeben. Diese Matches sieht sie genauer durch, und so mancher wird dann doch noch mal aussortiert.

„Was ist eigentlich mit Männern los?“

Die Männer, die sie datet, erweisen sich dann in der persönlichen Begegnung meist als doch nicht so passend. Die Stimme ist seltsam, sie erzählen zu viel über sich selbst oder erweisen sich als weniger humorvoll als gedacht. Sie fragte mich, was eigentlich mit den Männern los sei, dass da niemand passendes zu finden sei.

Für Peter sieht die Sache etwas anders aus. Er ist ein netter und recht ansehnlicher Mann, Anfang 30 und seit einem halben Jahr solo. Auch er probiert sich auf Tinder aus. Er ist angetan davon, wie viele ihm sympathisch erscheinende Frauen auf seinem Display erscheinen. Viele findet er auch hübsch. In die Profile schaut er eher oberflächlich.

Wenn zu erkennen ist, dass eine Frau einen festen Partner sucht, gibt er ihr gern ein „Like“. Aber mittlerweile macht ihm das nicht sehr viel Spaß. Denn er bekommt vielleicht etwa alle zwei Wochen einen Match. Schreibt er dann dieser Frau, bekommt er oft keine Antwort oder der Kontakt versiegt ganz schnell. Ein Date hatte er noch nicht. Er vermutet, dass ihm etwas fehlt, das Frauen mögen, und ist deshalb zu mir in die Praxis gekommen.

Dann ist da noch Leo, Mitte 30, ziemlich attraktiv. Über fehlende Matches bei Tinder beklagt er sich nicht, dafür sorgen vor allem seine guten Fotos und sein humorvolles Profil. Er schreibt meist mit mehreren Frauen gleichzeitig, um dann zu gucken, bei welcher es sich vielversprechender entwickelt.

In seinen Dates ist er manchmal recht schnell Feuer und Flamme. Dennoch fällt es ihm schwer, die Frau seines Herzens zu finden. Bei Lichte betrachtet sucht er sie auch nicht, denn in einer Beziehung beginnt er sich recht bald zu langweilen, sodass sie dann nicht lange währt.

Stimmt das Vorurteil?

An dem Vorurteil, zumindest heterosexuelle Männer seien weniger wählerisch bei der Wahl ihrer Partnerin als Frauen umgekehrt bei der Wahl ihres Partners, scheint im Lichte dieser Geschichten etwas dran zu sein.

Evolutionspsychologische Theorien erklären dies so: Eine Frau kann von einem Mann schwanger werden und ist dann an dieses Kind gebunden. Sie tut gut daran, sich einen Mann mit guten Genen auszusuchen, damit der Nachwuchs entsprechend überlebensfähig ist.

Außerdem sollte der Mann in der Lage sein, sich an die Frau zu binden und sie zu versorgen. Sie muss also gut auswählen. Schon früh muss sie herausfinden, wen sie vor sich hat.

Ein Mann wiederum konnte sich bis vor kurzem nie sicher sein, ob er der Vater eines Kindes ist. Für ihn wäre es demnach eine gute Strategie, mit möglichst vielen fruchtbar und gesund erscheinenden Frauen zu verkehren, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass seine Gene auch wirklich verbreitet werden. Er muss daher nur oberflächlich nach eher physiologischen Kriterien entscheiden.

Peters und Leos Strategie

Das klingt alles sehr plausibel, allerdings lässt es Notwendigkeiten außer Acht, die sich aus der sesshaften Lebensweise des heute lebenden Menschen und dem monogamen Ideal ergeben. Denn wenn es stimmt, dass es für Männer erfolgversprechender sei, seine Gene breit zu „streuen“, dann muss er auf diese Strategie verzichten, wenn er sich an eine Frau bindet und mit dieser seine Kinder großzieht – mit dem Gewinn, dass diese Kinder einen Überlebensvorteil haben.

Dann wäre es allerdings unklug, nur nach einem jugendlichen und fruchtbar erscheinendem Äußeren zu sehen. Andere Werte würden nach dieser Vorauswahl wichtig: Treue (damit er auch von ihm abstammende Kinder großzieht), Harmoniefähigkeit (damit das gebundene Leben leicht erscheint), Humor und Intelligenz (damit Kinder gut großgezogen werden).

Das entspricht Peters Strategie: An erster Stelle steht für ihn, dass ihm die Frau körperlich attraktiv erscheint, dann bekommt sie seinen „Like“. Die anderen Werte möchte er später herausfinden, um dann entscheiden zu können. Leider übersieht er dabei, dass partnersuchende Frauen männliches Desinteresse am Profil als Zeichen werten, dass sie einen Mann vor sich haben, der auch später wenig Zuwendung zeigen wird.

Karola möchte schon früh die „inneren Werte“ der Kandidaten erschließen. Deshalb versucht sie, schon aus den Profilfotos und aus den Profilen selbst herauszulesen, wie der betreffende Mann wohl „tickt“. Schon kleine Störungen bringen sie dazu, den betreffenden Mann eher auszusortieren, als zu schauen, wie sich das Ganze nach wenigen Treffen entwickelt.

Leo wiederum geht einen ähnlichen Weg wie Peter, nur dass er intuitiv besser weiß, was er nach außen zeigen muss, um attraktiv zu wirken. Er ist aber in der Kontaktaufnahme wenig wählerisch, danach umso mehr.

Das Klischee stimmt nicht

Unterm Strich stimmt das Klischee also doch nicht. In Wirklichkeit scheinen Männer und Frauen gleich wählerisch zu sein, nur verwenden sie unterschiedliche Strategien und wählen zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Partnerschaftsaufnahme unterschiedlich aus.

Und zum Schluss vielleicht noch ein Trost: Das alles sind eher Tendenzen, Muster, die sich im Rauschen der Vielen abzeichnen. Über den einzelnen Menschen und darüber, wie er auf Partnerschaftssuche ist, sagt es recht wenig. Und das ist vielleicht auch gut so.

Benedikt Bock (55) ist Diplom-Psychologe und Systemischer Therapeut mit Anerkennung durch die Systemische Gesellschaft (SG). Er arbeitet in seiner eigenen Praxis in Dortmund. Seit über 20 Jahren unterstützt er Paare und Einzelpersonen bei Problemen, die sich rund um die Themen Liebe und Beziehungen drehen. Dabei hat er entdeckt, dass Männer manchmal dankbar für einen eigenen geschützten Raum zum Reden sind. Näheres unter www.benedikt-bock.de.

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