Silent Sinners schließt Erinnerung an große Abende - aber für die Toiletten brauchte man Mut

Erinnerungen ans Silent Sinners: Großartige Abende unter der Brücke
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Redakteur Lukas Wittland über seine Zeit im „Sinners“ (ca. 2015 bis heute).

Wann genau ich das erste Mal im Silent Sinners war, weiß ich nicht mehr. Ich fing aber an, Dauergast zu werden, als ich 20 oder 21 Jahre alt war. Das war rund um das Jahr 2015. Ich hatte meinen Fußballverein gewechselt, spielte jetzt mit vielen meiner guten Freunde zusammen.

Sie alle studierten, oder gaben zumindest vor, das zu tun. Freitags hatten viele von uns keine Seminare in der Uni oder es war nicht so wirklich wichtig, sich am Freitag in der Vorlesung blicken zu lassen.

Niedrige Preise

Bei einem Bierchen in der Kabine nach dem Training am Donnerstagabend kam deshalb häufig die Frage auf: „Gehen wir noch ins Sinners?“ Meist wurde sie mit Ja beantwortet. Eintritt mussten Studenten ja ohnehin nicht bezahlen, und die paar Euro Mindestverzehr kriegten wir problemlos auf unseren Karten abgehakt.

Über diese lange Treppe geht es herunter zu, den Garderoben, der Bar und der Tanzfläche des Silent Sinners.
Über diese lange Treppe geht es zu den Garderoben, der Bar und der Tanzfläche des Silent Sinners. © Lukas Wittland

Ich werde ein bisschen nostalgisch, während ich diese Zeilen in meinen Laptop tippe. Dabei ist das gefühlt noch gar nicht so lange her, dass ich regelmäßig auf der Couch von Jan gepennt habe, um am nächsten Tag schneller bei meinem Studentenjob zu sein. Oder dass Jones und ich einmal vom Türsteher abgewiesen worden sind, weil wir aus seiner Sicht zu viel getrunken hatten.

Legendärer Klamottentausch

Wahrscheinlich hatte er damals recht. Denn wir tauschten danach unsere Klamotten und stellten uns noch einmal an. Und auch die darauffolgende Ansage „Wollt ihr mich eigentlich verarschen? Haut ab!“ ist, nüchtern betrachtet, absolut gerechtfertigt.

Dabei gab es am Sinners keine besonders harte Tür und das war das Schöne. Hier wurde nicht geschaut, ob man ein Hemd anhatte oder welche Schuhe (die bei dem Boden im Sinners ohnehin verhunzt gewesen wären). Ein Kumpel kam um 3 Uhr nachts, als seine Schicht bei der Bahn zu Ende war, auch noch mit kurzer Arbeitshose und Schmieröl im Gesicht ins Sinners, um noch ein Bier mit uns zu trinken.

Selten Ärger

Das Sinners war nie ein Laden, der viel auf sich gegeben hat. Im Außenbereich schützte ein Gartenzelt vor Regen. Ich glaube, die Toiletten sahen schon zu den Zeiten von Felix so aus, wie sie aussehen. Irgendwie war alles ein bisschen heruntergekommen. Dass es mal Ärger gab, war eher selten, obwohl es damals an Donnerstagen immer brechend voll war. Wir mochten es.

Ein Bier steht auf einem Pissoir der Toilette des Silent Sinners.
Ein Bier steht auf einem Pissoir der Toilette des Silent Sinners. © Lukas Wittland

Dabei kann ich nicht mal sagen, dass die Musik herausragend gut war. Mr. Brightside – The Killers, I love it – Icona Pop, Electric Feel – MGMT, I follow Rivers – Lykke Li, Bonkers – Dizzee Rascal. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber mein Kumpel Frido meint, es war immer die gleiche Playlist. Und da er mit ziemlicher Genauigkeit das nächste Lied voraussagen konnte, glaube ich ihm das mal.

Aber irgendwann wurden unsere Besuche im Sinners weniger und waren dann schlagartig komplett vorbei. Denn dann kam Corona.

Schließung berührt

Ich war noch einmal da, als die Corona-Regeln gelockert wurden. Da war das Sinners bis auf 15 Leute weitestgehend leer. Es war nicht mehr so stickig. An den Wänden gab es jetzt aufwändig gestaltete Graffitis. Es hatte ein bisschen was von Jugendfreizeitstätte. Es war nicht dasselbe. Vielleicht auch, weil unser Leben jetzt anders ist. Wir spielen nicht mehr Fußball zusammen, Jan wohnt in Leipzig, andere arbeiten oder nehmen ihr Studium nun ernster. Wir sind ein paar Jahre älter.

Als wir gehört haben, dass das Sinners schließen wird, hat uns das berührt. Irgendetwas ist bei unseren Besuchen oder auf dem Weg nach Hause immer passiert, was auch Jahre später noch erzählenswert ist, wenn wir uns sehen. Die gemeinsamen Geschichten haben uns zusammengeschweißt. Sie haben aus guten Freunden noch etwas bessere gemacht.

Der Kassenbereich des Silent Sinners: Vor der Pandemie sind die Wände neu gestaltet worden.
Der Kassenbereich des Silent Sinners: Vor der Pandemie sind die Wände neu gestaltet worden. © Lukas Wittland

Redakteur Felix Guth über seine Zeit im „Sinners“ (ca. 2006 bis ca. 2013)

Ich bin „ich weiß noch wie es ganz am Anfang in einem Club von 2006 war“-Jahre alt. Ich bin Teil der ersten „Generation“ der Feiernden an der Möllerbrücke. Damit gehöre ich auch zu den vielen, die jetzt gerade wehklagen, wo denn die Orte ihrer Jugend alle hin sind. Und zugleich feststellen, dass sie ja auch ganz schön lange nicht mehr da waren.

Die Eröffnung fiel in die zweite Phase meiner Ausgeh-Biografie. Die Zeit der Großraum-Diskotheken war vorbei. Der Begriff „Club“ bekam mit Anfang/Mitte 20 eine Dimension.

Hochphase des Indie-Rock

Hochglanz, Aufbrezeln und teure Getränke waren für mich und meinen Freundeskreis nie Teil des Nachterlebnisses. Wir brauchten nicht viel.

Eine angenehme Atmosphäre. Moderate Preise. Und Rock-Gitarren natürlich, denn wir sprechen hier über Hochphase des Indie-Rock, in der Bands wie Bloc Party, Franz Ferdinand oder The Killers ihre besten Zeiten erlebten, während die frühen 00er-Jahre mit The Strokes und anderen begannen, zu Klassikern zu reifen.

Ein Laden wie das Silent Sinners kam da wie gelegen, denn er vereinte unsere (schlichten) Wünsche. Es war so herrlich einfach: Treppe runter, drin sein. Es hat nie lang gedauert, bis man hier auf Betriebstemperatur war, nicht nur, weil hier immer gefühlte 36 Grad Raumtemperatur herrschten.

Großartiger Gitarrenkrach

Ja, für den Gang auf die Toiletten brauchte man Mut.

Aber an großartigem Gitarrenkrach hat es in diesem Laden nie gemangelt. Und wenn man ganz geduldig war und lange genug blieb, dann hatte man manchmal sogar die Chance, den DJ von einem abseitigen, eigenen Lieblingslied zu überzeugen und sich für einige Minuten wie König oder Königin dieses sehr, sehr kleinen Clubs zu fühlen.

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