Zu Übergriffen von Kindern auf andere Kinder kommt es tagtäglich in Kindertagesstätten. Das ist normal. Wenn diese Übergriffe eine sexuelle Komponente bekommen, wird es kompliziert und emotional. © dpa

Fabido-Einrichtung betroffen

Sexuelle Übergriffe in Kita: Spiele, die über Doktorspiele hinausgingen

In einer Fabido-Kita im Dortmunder Nordosten soll ein Kind mehrfach sexuell übergriffig geworden sein. Inzwischen wurde eine Anzeige erstattet. Die Aufregung ist groß. Aber hilft sie?

Dortmund

, 13.03.2019 / Lesedauer: 6 min

Das Wissen um Dinge, die geschehen seien sollen, ist die Achillesferse in dieser Geschichte. Ist sie bei jedem Verdacht eines Übergriffes von Kindern auf andere Kinder. Denn wer war tatsächlich dabei? Wer hat etwas gesehen? Was ist Fakt und was ist Interpretation durch die Eltern? Das herauszufinden, ist nicht einfach. Die Vorwürfe, die hier im Raum stehen, sind erheblich: Ein Kind soll sich zwei anderen Kinder gegenüber mehrfach sexuell übergriffig verhalten haben. Die Dinge sollen mit zeitlichem Abstand voneinander geschehen sein, eine Anzeige gegen die Kita ist erstattet worden.

Wann das alles begonnen hat, lässt sich heute nicht mehr datieren. Dass etwas schief lief, zeigte sich im Herbst 2018. Ein Kind wurde zunehmend aggressiv. Warum das geschah, wusste damals zunächst niemand. An einem Abend daheim dann eine Erklärung für die Aggresssionen: Der Fünfjährige soll dort seiner Mutter sinngemäß erzählt haben, dass er Opfer von sexuellen Übergriffen durch ein anderes Kind in seiner Kita geworden ist.

Spiele, die über Doktorspiele hinausgingen

Der Junge erzählte seiner Mutter von Spielen, die über Doktorspiele hinausgingen. Von Körperöffnungen und dem Penis eines anderen Jungen. Geschehen sei das mehrfach und an verschiedenen Orten: draußen, in einem Gebüsch. In einem Bewegungsraum. In einem kleinen Spielhäuschen. Die Mutter war entsetzt.

Der Junge habe das mit den Übergriffen nicht nur erzählt, sondern auch vorgespielt und damit war etwas in der Welt, bei dem schon die Definition schwierig ist. Es gibt Menschen, die sagen, ein Übergriff ist ein Übergriff. Ein sexueller Übergriff sei in einer Kita nicht möglich, da sich kindliche Sexualität von der von Erwachsenen deutlich unterscheidet. Nur ist das Eltern herzlich egal, die ihr Kind angegriffen sehen.

Diese Eltern interessiert auch nicht im Geringsten, dass es kein sexueller Missbrauch gewesen sein kann, denn das ist ein Begriff aus dem Strafrecht und gekoppelt an ein strukturelles Abhängigkeitsverhältnis. Eltern interessieren sich in solchen Fällen nicht für Definitionen, sie interessieren sich für ihre Kinder. Dafür, was ihnen widerfahren ist. Und die Angst, dass dem eigenen Kind etwas angetan wird, ist existenziell.

Gebrüll in der Kita

Der kleine Junge wurde von seinen Eltern zu einer Beratungsstelle gebracht und das Jugendamt eingeschaltet. Als die Kita ihren nächsten Öffnungstag hatte, waren die Eltern des Jungen, der übergriffig gewesen ein soll, dort, es wurde offenbar herumgebrüllt und jetzt gab es nicht mehr zwei Kinder und deren Eltern, die beteiligt waren, spätestens jetzt war die Sache ein Fall für die ganze Kita.

Der Kinderschutzbund an der Lambachstraße im Norden ist eine mögliche Beratungsstelle in Fällen von Übergriffigkeit. 2018 wandten sich rund zehn Hilfesuchende wegen Vorfällen in Kindergärten dorthin. Stefanie Brochtrup ist beim Kinderschutzbund Diplom-Pädagogin und sie weiß, dass in solchen Fällen die Wogen sehr schnell sehr hoch schlagen.

Keine Täter, nur Opfer

Da ist dann von Opfern die Rede, von Tätern, von sexuellem Missbrauch, es wird wild durcheinander geworfen, die Elternschaft polarisiert sich und am Ende können heftigste Krisen stehen. Kinder, sagt Brochtrup, sind grenzverletzend. Kinder sind auch übergriffig. „Aber es gibt bei Kindern in diesem Bereich keine Täter.“ Das will man als Elternteil vermutlich nicht hören, denn wenn das eigene Kind ein Opfer wurde, muss es doch auch einen Täter geben. Doch auch eine betroffene Mutter aus der Kita sagt, dass es in dieser Geschichte hier drei Opfer gebe. Und keinen Täter.

Wie steht eine Kita zu Doktorspielen?

Kinder, sagt Martina Furlan vom Kinderschutzbund, haben das Bedürfnis, wie alles andere auch die Sexualität zu entdecken. Das sei aber nicht mit der triebhaften Sexualität der Erwachsenen zu vergleichen, so sei ein Penis vom Körpergefühl für ein Kind her erst einmal nichts anderes als ein Arm. Wie mit diesem Bedürfnis umgegangen wird, dafür haben Kindertagesstätten ein sexualpädagogisches Konzept. Das Team eines Kindergartens müsse dazu eine Haltung entwickeln und Fragen beantworten können: Wie steht eine Kita zu Doktorspielen? Dürfen Kinder sich ohne Aufsicht in der Kita zurückziehen?

Eigentlich, sagen sie beim Kinderschutzbund, sollte jede Einrichtung so ein Konzept haben, die Frage sei halt nur: Was steht auf einem Papier in einer Schublade und was werde gelebt? Generell müsse gelten, dass nichts in Körperöffnungen von anderen Menschen gesteckt werde. Und, das Dinge wie Oral- oder Analverkehr nicht in die kindliche Sexualität gehören würden.

Ein Mädchen begann, sich einzunässen

Die Aufregung in der Kita im Herbst 2018 legte sich nach einiger Zeit langsam wieder. Doch dann fing ein weiteres Kind an, sich wieder einzunässen. Das Mädchen habe, sagt dessen Mutter, das über einen längeren Zeitraum zuverlässig nicht getan. Und dann plötzlich, Anfang Januar, wieder damit angefangen.

Als die Mutter das Kind dann einmal auszog, um die nasse Wäsche in die Maschine zu packen, fasste sich das Kind sehr auffällig in den Schritt und zog seinen Scham auseinander. Gefragt, warum es das tue, erklärte das Kind, dass zwei andere Kinder ihr gesagt hätten, dass das in Ordnung sei. Die Jungen hätten da ihre Geschlechtsteile reingesteckt – einer dieser Jungen sei der gewesen, dessen Handlungen bereits im Herbst Thema waren.

Kein Anruf bei der Mutter

Im Kindergarten sei das geschehen, in einem Raum, in dem die Kinder eigentlich alleine gar nicht hineingedurft hätten. Danach habe das Mädchen sich erbrochen und auch einer Erzieherin gesagt, warum sie gebrochen habe. Angerufen worden sei die Mutter des Kindes aber nicht.

Wer kleine Kinder hat, weiß, wie schwer es sein kann, zu verstehen, was diese Kinder genau ausdrücken wollen. Aber wer kleine Kinder hat, kann auch diesen Satz der Mutter des Mädchens nachvollziehen: „Was ist ihr passiert? Und ich war nicht da und konnte ihr nicht helfen?“

Erst ins Krankenhaus, dann zur Polizei

Zuerst ging die Mutter mit ihrer Tochter in ein Krankenhaus. Da später auch die Rede von Bausteinen gewesen war, wollte sie sichergehen, dass nichts im Körper ihrer Tochter war. Dann ging die Frau zur Polizei und erstattete Anzeige wegen „fahrlässiger Körperverletzung“ gegen die Fabido-Kindertagesstätte. Weiter folgten zwei Gespräche. Eins mit der Kita-Leiterin, ein weiteres mit der Kita-Leiterin und deren Vorgesetzten.

Das erste Gespräch war relativ kurz, die Mutter, so sagt sie es heute, teilte mit, dass sie ihre beiden Kinder nicht mehr in die Kita schicken würde und eine Anzeige gegen die Kita erstattet habe. Das zweite Gespräch dauerte etwas länger. Wie der Tochter zu helfen sei, wollten die beiden Fabido-Vertreter wissen. Über andere Fälle als den der Tochter aber wollten sie, so die Mutter, nicht sprechen.

„Üble Nachrede“

Nicht über das, was im Vorfeld geschehen war. Und also auch nicht darüber, ob das, was ihrer Tochter passiert war, hätte verhindert werden können. Stattdessen sei sie vor „übler Nachrede“ gewarnt worden. Dass es vorkommen könne, dass sich Kinder in dem Alter so verhalten. Außerdem hätten die Fabido-Vertreter gefragt, ob es etwas geben würde, was die Mutter dazu bringen würde, die Anzeige gegen die Einrichtung zurückzuziehen. Das gab es nicht.

Keine Aussagen zu dem konkreten Fall

Die städtische Pressestelle ist für die aktuell 99 Fabido-Kitas zuständig. In den vergangenen zehn Jahren seien, so schreibt die Stadt auf Anfrage, drei Fälle bekannt geworden, bei denen „in der Abgrenzung ‚Kindliche Sexualentwicklung und Körpererfahrung‘ zu ‚übergriffigem Verhalten unter Kindern‘ pädagogische Maßnahmen notwendig waren.“ In allen Fabido-Einrichtungen sei die Sexualerziehung ein integraler Bestandteil des pädagogischen Konzeptes. Zu dem konkreten Fall, der hier beschrieben wird, will die Stadt, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, nichts sagen.

Was die Pressestelle sagen kann, ist, dass im Januar ein Elternnachmittag stattfand, bei dem „die Eltern über das Geschehen und das weitere Vorgehen informiert“ worden seien. Und weiter: „Aufgrund des großen Interesses der Eltern an dieser Thematik wird diese demnächst nochmals in einem Elternnachmittag sowie in Einzelgesprächen besprochen werden.“

Kinder abgemeldet

Die Mutter, deren Tochter betroffen ist, hat ihre beiden Kinder, die in diese Kita gingen, dort abgemeldet. Das Thema sei in der Kita totgeschwiegen worden. Weiter fragt sie sich, ob die Kita bei der Vorgeschichte nicht besser hätte aufpassen müssen. Beim Kinderschutzbund sagen sie dazu, dass ein Kindergarten kein Hochsicherheitstrakt und eine eins zu eins Betreuung nicht zu gewährleisen sei.

Ruhe heißt nicht, dass alles wieder gut ist

Wichtig sei, in die Kita wieder Ruhe reinzubringen. Ruhe dürfe man nicht damit verwechseln, dass jetzt alles wieder gut sei. Eltern, deren Kinder betroffen seien von übergriffigem Verhalten, sollten sich im Zweifel Hilfe holen, etwa vom Kinderschutzbund oder dem Kinderschutzzentrum. Das gelte natürlich auch für die Eltern, deren Kind etwas getan haben soll.

Stabile Eltern

Wichtig seien, sagen sie beim Kinderschutzzentrum, für Kinder stabile Eltern. Und das Wissen darum, das andere Menschen nichts mit einem Kind machen dürfen, was auch nur ansatzweise ein schlechtes Gefühl macht.

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