Seit Ende September hat sich die Schlagzahl deutlich erhöht: Immer wieder hat die Polizei schwere Gewalttaten in Dortmunds nördlicher Innenstadt gemeldet. Zunächst etwa im Wochenrhythmus, zwischen dem 19. und 25. Oktober beinahe täglich.
In den meisten Fällen handelte es sich um Angriffe mit Stichwaffen - einer der Hotspots: der Bereich rund um den Nordmarkt. Unsere Redaktion hat bei der Polizei zur Ursachenforschung nachgehakt. Die Pressestelle antwortete mit einem ausführlichen, schriftlichen Statement.
Mehr Alkohol- und Drogenkonsum
Der aktuell erkennbare Anstieg von Gewalt- und Straßenkriminalität in der Nordstadt sei auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen, heißt es. Eine finale Beurteilung sei noch nicht möglich. Aber: Die Polizei stellt fest, dass sich der Alkohol- und Rauschgiftkonsum erhöht habe. Dadurch sinke die Hemmschwelle zum Einsatz von Gewalt, was sich bei Messerangriffen oder vergleichbaren Attacken zeige. Stichwaffen würden „mitgeführt und mitunter unmittelbar eingesetzt", heißt es.
Zudem will die Polizei beobachtet haben, dass mehrere Taten auf Konflikte im Bereich des Drogenhandels zurückzuführen sind. Weitere Delikte seien der Beschaffungskriminalität zur Finanzierung von Drogensucht zuzurechnen.

Abschließend zu beurteilen seien die Deliktfelder allerdings noch nicht, schreibt die Polizei. Nicht zuletzt heißt es in dem Statement, dass das Ende der Corona-Maßnahmen zu mehr Leben auf der Straße und damit auch „zwangsläufig zu mehr Konfliktpotenzial“ geführt habe.
Die jüngst begangenen Taten seien weniger der organisierten Kriminalität als vielmehr Einzelnen zuzuordnen, bilanziert die Polizei. Sie sieht derzeit „tatsächlich größere Probleme im Drogenmilieu als in der Clankriminalität“. Clans und Rocker verhielten sich eher unauffällig. Dennoch habe man diese auf dem Radar.
Schwere Gewalttaten in Zahlen
41 Straftaten, bei denen ein Messer oder eine vergleichbare Waffe zum Einsatz kam, hat die Polizei im Wachbereich Nord von Januar bis September 2022 registriert. Die Zahl der Delikte, die sich „gegen das Leben richten“ hat die Polizei gesondert erfasst. Darunter fallen unter anderem Mord, Totschlag und fahrlässige Tötung. Fünf der 41 Straftaten ordnet die Polizei in diese Kategorie ein. Wobei der Monat Oktober mit einer außergewöhnlichen Häufung solcher Taten dabei nicht erfasst ist.
In den Vergleichszeiträumen 2019, 2020 und 2021 hat die Polizei jeweils mehr Straftaten erfasst, bei denen Messer eingesetzt wurden (56, 78, 61 Taten in der Reihenfolge der Jahre). Allerdings waren es jeweils weniger, die sich gegen das Leben gerichtet haben (eine Tat in 2019, keine in 2020, zwei in 2021).
Gefährliche Rückzugsorte
In ihrem Statement beschreibt die Polizei örtliche Strukturen und Verhaltensweisen von bestimmten Gruppen, die sich auf die Kriminalität auswirkten. Solche Strukturen bieten demnach Rückszugsorte für Menschen am Rand der Gesellschaft wie etwa Drogenkranke. Weiter heißt es: „Die Probleme von Arbeitslosigkeit, Drogenabhängigkeit, öffentlichem Alkoholkonsum und nicht zuletzt dem Aufeinandertreffen der unterschiedlichsten Migrationsgruppen haben Auswirkungen auf die Kriminalitätsbelastung.“
Zuwanderung aus Osteuropa
Die Zuwanderung von Menschen aus Osteuropa - zumeist aus Rumänien und Bulgarien - habe vor allem in der Nordstadt zu besonderen Herausforderungen geführt. „Konflikte entstehen dabei unausweichlich und werden durch weitere ethnische Gruppen verstärkt. In jüngster Vergangenheit traten dabei häufig Konflikte in neu gebildeten Milieus oder clanähnlichen Strukturen auf“, schreibt die Polizei. Besonders im Bereich der Schleswiger Straße, wo sich oftmals viele Zuwanderer aus Osteuropa aufhalten, war es zuletzt mehrfach zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen - jeweils zwischen größeren Gruppen.
Die hohe Bevölkerungsdichte mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten nebst einer großen Zahl von Geschäften und Lokalen wie Teestuben, Wettbüros, Spielhallen und Gaststätten führe zu einer hohen Anonymität, analysiert die Polizei. Zudem sei das Viertel verkehrstechnisch gut erreichbar - was auch Straftäter und Drogenkonsumenten nutzten.
Die Kriminalitäts-Hotspots
Als Kriminalitätsschwerpunkte identifiziert die Polizei den Nordmarkt, die Münsterstraße (einschließlich Umfeld), den Dietrich-Keuning-Haus-Park, den Borsigplatz (einschließlich der Nebenstraßen des Schleswiger Viertels und des ZOB/Nordausgang) sowie sich ständig aktualisierende Treffpunkte beziehungsweise Lokale.
Die beschriebenen Strukturen begünstigen laut der Polizei den Drogenhandel. Und: „Ein großer Anteil der Gruppe der kriminell auffälligen Zuwanderinnen und Zuwanderer, insbesondere im Bereich des Betäubungsmittelhandels, hält sich in der Nordstadt auf, ist aber der Stadt Dortmund nicht zugewiesen worden.“
Bei der Frage nach der Bekämpfung der Kriminalität verweist die Polizei auf ihre zuletzt verstärkten Schwerpunkteinsätze, von denen weitere folgen sollen, sowie auf das Instrument der strategischen Fahndung. Man erörtere weitere Maßnahmen, etwa die Ausweitung der „Videobeobachtung“ und eine Waffenverbotszone. Klar sei, „dass sich die Dortmunder Bevölkerung auf ihre Polizei verlassen kann“. Die Behörde betont, dass die Zahl der Straftaten in der Nordstadt in den vergangenen Jahren insgesamt rückläufig war.
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