Dortmund ist aufgeteilt in 44 Kehrbezirke: Einer davon ist das Reich von Schornsteinfeger Klaus Henzerling (64). 50 Jahre lang ist der Dortmunder im 23. Kehrbezirk unterwegs gewesen, den man vom Kaiserberg am Phoenix-See aus überblicken kann – „bei schönem Wetter“.
Jetzt blickt er in die trübe, graue Wolkensuppe. Ein bisschen spiegelt es auch wider, wie er sich innerlich fühlt: „Tränchen habe ich schon verdrückt und es wird noch schlimmer werden.“ Die Tage als Schornsteinfeger im 23. Kehrbezirk, dazu gehören Teile von Hörde, Schüren, Aplerbeck und Berghofen, den er wie seine Westentasche in- und auswendig kennt, sind gezählt: Am 31. Dezember ist offiziell Schluss und Klaus Henzerling geht in den wohlverdienten Ruhestand.
Mit dem Fahrrad bei Wind und Wetter unterwegs
Heute kann man es sich kaum noch vorstellen, aber Klaus Henzerling war erst 14 Jahre alt, als er seine Ausbildung als Schornsteinfeger anfing. Alles begann mit einem Kneipengespräch 1973 zwischen seinem Vater, der Maurer war, und dem damaligen Schornsteinfeger-Lehrgesellen. Der Rest ist Geschichte. „Damals gab es noch die englischen Kasernen, was ja jetzt alles nicht mehr ist. Die hatten die Heizungsanlagen umgestellt, von Koks- auf Gasheizung. Wir haben Steine und Mörtel geschleppt im Sommer – mit 14. Ich war fertig.“ Jetzt, 50 Jahre später, lacht er bei der Erinnerung.
Das trübe Wetter fördert weitere Erinnerungen an die Anfangszeit zutage: „Bei Regen und Schnee sind wir auch mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. Wir haben uns in Hörde umgezogen und mussten bis nach Aplerbeck zum Landeskrankenhaus [heute LWL-Klinik; Anm. d. Red.], so weit ging damals der Bezirk. Da kam man an und war pitschnass. Aufgewärmt haben wir uns dann in einer Kneipe – mit Dunkelbier. Alkohol war ja verboten.“ Wieder lacht er. Durch die Straße brüllte man dann: „Morgen kommt der Schornsteinfeger.“ Daher komme auch das laute Organ.

1992 übernahm er als Schornsteinfegermeister den 23. Kehrbezirk und damit Häuser, die er schon seit der Lehrzeit kannte. „Wir kennen uns in den meisten Häusern besser aus als die Besitzer selbst, kennen jeden Lichtschalter im Keller.“ Weil die Wäscheleinen den Zylinder regelmäßig vom Kopf hauten, wurde dieser irgendwann während des Jobs nicht mehr aufgesetzt. Jetzt habe er noch drei, die er in Ehren halte, so Henzerling.
Zu Hause bei den BVB-Profis
Ein Highlight in seinem Kehrbezirk als BVB-Fan seien natürlich die Fußballprofis gewesen, die man kennenlernen durfte: „Ich hab immer versucht, ein Autogramm zu kriegen“, sagt er und schmunzelt: Mats Hummels, Roman Weidenfeller, Roman Bürki – die Liste ist lang. „Ach, Herr Weidenfeller, da habe ich ja überhaupt nicht dran gedacht“, sagte Klaus Henzerling, als Weidenfeller ihm ein Autogramm entgegenstreckte. Bei der Erinnerung muss er wieder lachen.
Vervollständigen konnte er die Sammlung mit einem Autogramm von Raphael Guerreiro aber nicht: „Der hatte einfach keins da.“ Die Profis kennenzulernen, die man auf dem Platz anfeuert, sei natürlich schön gewesen, aber Klaus Henzerling habe alle seine Kunden ins Herz geschlossen, die ihn jetzt bei seiner Abschiedstour in die Arme schließen. Der Abschied falle ihm schon schwer.
Bringen Schornsteinfeger Glück?
Eine Frage, die lässt sich nicht verkneifen: Bringen Schornsteinfeger wirklich Glück? „Ja, sicherlich“, sagt Klaus Henzerling überzeugt. „Nur die sechs Richtigen im Lotto, die hätte ich auch gerne.“ Doch man kann es nicht anders sagen, in seinem Job hatte der Dortmunder wirklich Glück: „Ich bin schon mal so ein bisschen in die Dachrinne gerutscht und ich bin auch schon mal durchgebrochen durchs Dach. Da war noch ein Spitzboden. Dann brach der Sparren weg und dann hab ich bis zum Bauch aus dem Dach rausgeguckt.“
Er zuckt mit den Schultern. Früher, erinnert sich Henzerling, da habe man alles vom Dach aus gemacht. „Die Reihen am Remberg mit ihren spitzen Dächern – an einem rauf, am letzten wieder runter. Da habe ich letztens noch gedacht: ‚Bist du bescheuert, wie hast du das früher geschafft?‘“ Heute gehe man nur noch ganz selten aufs Dach, und auch nur, wenn Sicherheitseinrichtungen vorhanden sind.

Die reinen Kehrarbeiten werden immer weniger, wobei die Kaminöfen nie ganz aussterben werden. Aber es werde eben immer technischer. „Früher haben wir schon immer gesagt: Man ist nicht mehr Schornsteinfeger, sondern Schornstein-Hohlraumtechniker.“
Das sei der Teil, weswegen er mit einem lachenden Auge in Richtung Ruhestand schaue: „Je älter man wird, desto schwieriger wird das mit Lehrgängen und Schulungen.“ Und dann wird da aber auch das Vermissen kommen, weil er viele Kunden seit Jahrzehnten im Kehrbezirk kennt, schätzt und sich über das Vertrauen freut, das ihm über die Jahre entgegengebracht worden ist. Das ist der Teil mit dem weinenden Auge.
„Ich wünsche mir, dass alle gesund bleiben“
Jetzt im Ruhestand wolle er sich mal als Hausmann probieren, wieder mehr reisen, das Motorrad aus der Garage holen, das in diesem Jahr nicht einen Kilometer gefahren ist – und natürlich bleibt da dann auch mehr Zeit für den BVB.
Ein bekanntes Gesicht, das wird im 23. Kehrbezirk bleiben: „Mein Mitarbeiter, der jetzt neun Jahre bei mir ist, wird von meinem Nachfolger Christian Weindorf (46) übernommen. Das war wichtig.“ Zudem hoffe er, dass seine Kunden seinem Nachfolger genau so viel Vertrauen entgegenbringen werden, wie er es immer genießen durfte. Der 46-Jährige kommt damit nach elf Jahren in Hagen in seine Heimat Dortmund zurück.
Zum Abschied sagt Klaus Henzerling noch: „Ich wünsche mir, dass alle gesund bleiben.“ Dazu gehört immerhin auch eine ordentliche Portion Glück – und wenn sich ein Schornsteinfeger etwas wünscht, dann muss es auch wahr werden.

Stand-Up-Comedy, Polit-Satire und Musikkabarett: Das bietet das „Neujahrskabinett“ im Cabaret Queue
Fahrstuhl seit November außer Betrieb: Friedrich Bornemann (96) ist in seiner Wohnung gefangen
Familienunternehmen in 5. Generation: Alexander Lategahn (28) sagte früh: „Ich werde Bestatter“