
© Stephan Schütze
Schnelles Internet ist vor allem im äußeren Norden und Süden Dortmunds noch Neuland
Breitbandausbau
Rund 3200 „weiße Flecken“ gibt es in Dortmund beim schnellen Internet. Einer davon liegt bei Familie Voigtländer in Schnee. Die Lösung für das Problem ist klar, nur will sie keiner umsetzen.
Schön ist es im Dortmunder Süden nicht nur im Winter – wenn einer der ländlichsten Stadtteile, Schnee, seinem Namen Ehre macht. Doch für Familie Voigtländer kommt die Schönheit mit einem Preis: dem des Anschlusses an den Rest der Welt.
Wenn Bettina Voigtländer (54) die Geschwindigkeit ihres Internet-Anschlusses misst, zeigt die App momentan meist um die 20 Mbit/s an. „Das ist schon ziemlich gut“, sagt sie. Messungen haben Frau Voigtländer und ihr Sohn Robin (24) in den vergangenen Monaten einige gemacht.
Denn die relativ schnelle Verbindung verdanken sie einer Behelfslösung. Ohne die ist schnelles Internet auf dem Schnee keine Selbstverständlichkeit.
Dreieinhalb Kilometer Kupferkabel
Geht man dem Problem der Voigtländers auf den Grund, landet man im Boden. Dort, wo die Kupferkabel liegen, die nicht nur auf dem Land das Internet in die Haushalte bringen. Sie verbinden vielerorts noch die Verteilerstationen der Netzbetreiber mit den Anschlüssen in den Gebäuden.
Das Problem: Je länger die Strecke ist, die verkupfert wird, desto mehr Bandbreite geht auf dem Weg verloren. Zwischen dem Haus von Familie Voigtländer und dem Verteiler, an den sie angeschlossen ist, liegen, so sagen sie, rund dreieinhalb Kilometer.
Dass sie überhaupt eine Verbindungsgeschwindigkeit im zweistelligen Bereich haben, verdanken die Voigtländers einem Hybrid-Router. Der greift neben dem Kabel im Boden auch auf das LTE-Handynetz zu.
Als Robin Voigtländer diese Funktion abschaltet und noch einmal die Geschwindigkeit misst, zeigt die App nur noch 2,6 Mbit/s. Eine Website wie Facebook lädt mit dieser Kupfer-Geschwindigkeit schon mal mehrere Sekunden, größere Dateien bedeutend länger.

Ungefähr dreieinhalb Kilometer in diese Richtung verläuft das unterirdische Kupferkabel, das Familie Voigtländer an den Rest der Welt anbindet. © Stephan Schütze
Die Hybrid-Option gibt es nicht überall in Dortmund. Und benutzerfreundlich scheint sie auch nicht wirklich zu sein: Als Robin Voigtländer den weißen Kasten auf der Fensterbank des Schlafzimmers seiner Eltern nur wenige Zentimeter bewegt, bricht die Verbindungsstärke sofort ein.
Man müsse sich schon genau informieren, sagt Bettina Voigtländer. Genauer zumindest, als bei einem kabelgebundenen Anschluss. „Das schafft sicher nicht jeder“, sagt Bettina Voigtländer.
2017 hatten die Voigtländers eine Verbindung, die noch launischer war, manchmal sogar ganz zusammenbrach. „Alles, was man so selbstverständlich benutzt, ging oft gar nicht“, sagt Bettina Voigtländer. „Durch den Hybrid-Router ist vieles besser geworden“, sagt ihr Sohn Robin, „aber Netflix wird zum Beispiel immer noch öfter mal pixelig, vor allem wenn mehrere von uns im Internet sind.“
Weiße Flecken nicht nur in Schnee
Familie Voigtländer ist einer von vielen Dortmunder Haushalten, die sich bei uns gemeldet haben, weil sie Probleme mit ihrem Internet haben. Die Gründe dafür können unterschiedlich sein und müssen nicht immer am Netz selbst liegen. Dass es zahlreiche Lücken beim schnellen Internet in Dortmund gibt, wird aber auch von offizieller Seite bestätigt.
Rund 3200 „weiße Flecken“ gibt es laut Wirtschaftsförderung in Dortmund. 3200 Adressen, die mit weniger als 30 Mbit/s ans Internet angebunden sind. Wohnhäuser und Firmensitze. Wie viele Haushalte betroffen sind, lässt sich daher nicht sagen. In Dortmund liegen sie konzentriert im ländlichen Norden und Süden – aber nicht nur da.
Benjamin Grothe (30) wohnt mit seiner Freundin Stefanie Mirau (30) an der Rheinischen Straße, in Sichtweite des Dortmunder U. „Wir haben hier eine 16.000er Leitung“, sagt er. „Wenn davon aber 10 Mbit/s ankommen, bin ich schon glücklich. Ich arbeite gelegentlich von zu Hause, manchmal funktioniert da nicht mal Voice-Over-IP.“
Was die Lösung ist, ist eigentlich klar
Um das Netz auf die Anforderungen der Zukunft vorzubereiten, müssten statt Kupferkabeln Glasfaserkabel in den Boden – und zwar möglichst nah ans Haus, am besten direkt rein (siehe Kasten). Vor allem auf dem letzten Teil der Strecke zwischen Verteiler und Hausanschluss ist das aber noch eine Rarität.
Streckenabschnitte des Breitband-Netzes
- In Dortmund gibt es eine geringe zweistellige Zahl von Internet-Hauptverteilern. Sie sind an die nationalen und internationalen Backbone-Kabel angeschlossen. Von den Hauptverteilern aus führen Kabel zu den Verteilerkästen an den Straßen. Meist sind das ebenfalls Glasfaserkabel (Fiber to the Curb, FTTC). Auf der Strecke zwischen Verteiler und Wohnung entscheidet sich dann, wie viel Geschwindigkeit beim Verbraucher ankommt. In der Basisausstattung liegen zwischen dem Gebäude und dem Verteiler Kupfer- oder Koaxial-Kabel. Ein erster Schritt in die Zukunft wäre, diese oft verlustreiche Strecke durch Glasfaserkabel zu ersetzen (Fiber to the Building, FTTB). Wer das Internet der Zukunft will, muss dann jedoch auch noch im Gebäude selbst Glasfaser bis in die Wohnung verlegen (Fiber to the Home, FTTH). Damit sind dann Breitbandgeschwindigkeiten von 1 Gbit/s und mehr möglich.
- Die wichtigsten Hintergründe zur Digitalen Infrastruktur in Deutschland hat die Bundeszentrale für Politische Bildung zusammengestellt.
Fragt man bei der Telekom nach, warum es „weiße Flecken“ in Dortmund gibt, lautet die Antwort „fehlende Wirtschaftlichkeit“. Soll heißen: Der Ausbau des Netzes mit Glasfaserkabeln wäre dort zu teuer, gemessen an der Anzahl an Menschen, die ihn dann nutzen und dafür zahlen würden.
Generell setzt die Telekom für den Ausbau des Breitbandnetzes vor allem auf sogenanntes Vectoring. Dabei wird Glasfaser bis zum Verteiler gelegt, danach geht es mit Kupferkabeln weiter. Die wurden oft noch von der Deutschen Bundespost verlegt. 1994 wurde die staatliche Bundespost privatisiert und aufgeteilt, die Telekom erbte so das bestehende Netz.
Unitymedia begründet weiße Flecken mit „Entscheidungen aus den 1970er-Jahren“. Das Koaxial-Netz, das von Unitymedia für die Breitbandversorgung genutzt wird, war ursprünglich für die Verbreitung von Kabelfernsehen geplant – vor allem für Privathaushalte in Ballungszentren.
Auch Dokom21, der dritte große Anbieter in Dortmund, verweist bei der Frage nach den „weißen Flecken“ auf die Wirtschaftlichkeit. Das Unternehmen betont aber, dass man grundsätzlich jedem Kunden, der einen Glasfaseranschluss gelegt haben wolle, ein Angebot mache. Der Kunde entscheide dann auf Grundlage des Preises.
Die unsichtbare Hand gräbt nicht gern
Ein Internet-Anschluss ist nicht Teil der Grundversorgung. Es gibt kein Recht auf schnelles Internet. Die Landesregierung hat sich jedoch zum Ziel gesetzt, bis 2025 flächendeckend Gigabit-Internet bereitzustellen. In Gewerbegebieten und Schulen deutlich früher.
Das vorherige Ziel, bis 2018 alle Haushalte in NRW mit mindestens 50 Mbit/s zu versorgen, wurde nicht erreicht. Aktuell haben laut des Landesministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie rund 88 Prozent aller Haushalte in NRW einen solchen Anschluss.
In der Theorie sollten in einem funktionierenden Markt Angebot und Nachfrage so ins Gleichgewicht geraten, dass der Nutzen, den eine Gesellschaft daraus zieht, maximiert wird. Der Ökonom Adam Smith fand für diese Selbststeuerung der Wirtschaft das Bild der „unsichtbaren Hand“.
Im Falle der Versorgung mit schnellem Internet versagt der Markt jedoch. Um im Bild zu bleiben: Die unsichtbare Hand legt nicht überall dort hinreichend schnelle Kabel in den Boden, wo Menschen schnelles Internet brauchen.
Schnelles Internet bedeutet Wachstum
Wie wichtig schnelles Internet als Wirtschaftsfaktor ist, zeigt eine Studie von IW Consult aus dem Jahr 2016. Demnach wachse das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP), die wichtigste Kennzahl der Wirtschaftskraft eines Staats, um zusätzliche 0,02 bis 0,04 Prozent, wenn sie die Zahl der Glasfaseranschlüsse um 1 Prozent erhöht.
In einer Studie von IW Consult im Auftrag von Vodafone aus dem Jahr 2018 findet sich auch eine konkrete Zahl: Ein zusätzlicher Glasfaseranschluss führe demnach zu einem Wachstum des BIP um 135.000 Euro.
Oberbürgermeister Ullrich Sierau betont gern, wie Dortmund den Strukturwandel mit Hochtechnologie bewältigt. Im vergangenen September wurde Dortmund sogar als „Digitalste Stadt“ Deutschlands ausgezeichnet. Die „weißen Flecken“ beim Breitbandausbau scheinen dabei irgendwie unter den Tisch zu fallen.

Ein Techniker installiert ein neues Glasfaserkabel in einem Verteilerkasten in Sachsen-Anhalt. (Symbolbild) © dpa
Auch für Norbert Sokol ist schnelles Internet nicht zum Vergnügen da. Der 66-Jährige hat in Sölderholz eine 16-Mbit/s-Leitung und arbeitet mit Filmmaterial. „Wenn ich größere Dateien zu Kunden schicken möchte, dauert das schon mal 24 Stunden.“
Da bietet es sich für ihn manchmal sogar eher an, die Dateien auf eine Festplatte zu ziehen und zu einem Kollegen nach Schwerte zu fahren, der in der Nähe eines Technologieparks wohnt und eine schnellere Verbindung hat.
Finanzspritze als Heilmittel für das Marktversagen
Um das Problem der „weißen Flecken“ anzugehen und die Breitband-Infrastruktur in Dortmund fit für die Zukunft zu machen, greift die Stadt auf Förderprogramme des Bundes und des Landes NRW zurück. Fast 10 Millionen Euro vom Bund, fast 8 Millionen vom Land und rund 2 Millionen von der Stadt sollen laut Wirtschaftsförderung zusammenkommen.
Mit den Fördermitteln sollen die Telekommunikationsunternehmen, die sich qualifizieren konnten, bezuschusst werden, um die rund 3200 unterversorgten Adressen in Dortmund ans Glasfasernetz anzuschließen – auch dort, wo es eigentlich nicht wirtschaftlich ist. 2021 soll das geschafft sein. Die Ausschreibung dazu läuft aktuell.
Und es gibt auch Möglichkeiten, sich selbst in die Zukunft zu beschleunigen. So hat sich zum Beispiel das Privatgymnasium Stadtkrone 2017 auf eigene Kosten einen Glasfaseranschluss legen lassen.
Wer als Privatperson einen schnelleren Anschluss möchte, könne sich auch in der Nachbarschaft umhören und Interessenten sammeln, rät die Wirtschaftsförderung. So eine gesammelte Interessensbekundung macht den Ausbau für Telekommunikationsunternehmen attraktiver und senkt beim Ausbau aus der eigenen Tasche die Kosten.
„Man kann sich an alles gewöhnen“, sagt Bettina Voigtländer noch. “Wir haben lange nach einem Ort gesucht, wo man so nah an der Natur wohnen kann.“ „Unser Leben findet draußen statt“, pflichtet ihr Sohn Robin bei. „Ich studiere Agrarwissenschaften, wir haben Pferde, die Nähe zur Natur ist uns wichtig.“ Dafür nehmen die Voigtländers dann wohl auch den Ärger mit dem Internet in Kauf.
Geboren in Dortmund. Als Journalist gearbeitet in Köln, Hamburg und Brüssel - und jetzt wieder in Dortmund. Immer mit dem Ziel, Zusammenhänge verständlich zu machen, aus der Überzeugung heraus, dass die Welt nicht einfacher wird, wenn man sie einfacher darstellt.
