Nach einer Schießerei in der Dortmunder Nordstadt am Donnerstagabend (27. Juni) ist die Kriminalpolizei nach wie vor auf der Suche nach den Tätern. Derweil wird das Gerücht laut, dass es sich bei der Tat um eine Auseinandersetzung im Clan- oder Rockermilieu handeln könnte. Was wir darüber wissen und was nicht.
Was ist gestern Nacht in der Nordstadt passiert?
Wie die Polizei unserem Reporter am Donnerstagabend vor Ort mitteilte, wurden im Eingangsbereich eines Fitnessstudios der Kette McFit an der Eisenstraße mehrere Schüsse abgegeben. Ein 53-jähriger Mann wurde dabei schwer verletzt, anschließend ins Krankenhaus gebracht und dort notoperiert. In Lebensgefahr befand er sich nach Angaben der Polizei nicht. Das Opfer soll den Informationen unseres Reporters zufolge Verbindungen zum Clan-Milieu haben.
Die beiden mutmaßlichen Schützen flohen in einem silbernen Kombi der Marke Skoda vom Tatort, wie die Polizei Recklinghausen und die Staatsanwaltschaft Dortmund in einer gemeinsamen Presseerklärung mitteilten.
Der Großeinsatz der Polizei am Fitnessstudio lief bis tief in die Nacht, Spuren wurden gesichert, Zeugen vernommen. Wie unser Reporter berichtete, versammelten sich derweil vor dem Klinikum Nord, in dem das Opfer behandelt wurde, gut 150 Familienangehörige – offenbar um Wache zu halten. Auch dort war die Polizei mit einer Vielzahl an Einsatzkräften vor Ort.
Was sagen Polizei und Staatsanwaltschaft?
Ermittlungsbehörde ist neben der Staatsanwaltschaft Dortmund das Polizeipräsidium Recklinghausen, das die Polizei Dortmund aufgrund der Fußball-Europameisterschaft in diesem Fall unterstützt. Eine Mordkommission wurde eingerichtet, fahndet derzeit nach den Tätern und bittet Zeugen um Hinweise.
Nach ersten Erkenntnissen von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft flüchtete der Schütze vom Fitnessstudio auf die Bornstraße in Richtung Norden und fuhr dabei an der U-Haltestelle Eisenstraße (U42 in Richtung Stadtmitte) sowie zwei Männern mit Sporttaschen vorbei.
Die Männer könnten die Schüsse gehört, die Tat beobachtet und die Insassen des Autos sowie dessen Kennzeichen gesehen haben. Die Mordkommission bittet sie deshalb, sich unter der Telefonnummer 0231-132 74 41 zu melden. Alle anderen Zeugen mögen sich unter der Telefonnummer 0800-236 11 11 an Behörden wenden.
Die Täter zu identifizieren und zu fassen, sei das primäre Ziel der Ermittlungen, sagte Oberstaatsanwalt Carsten Dombert gegenüber unserer Redaktion. In diesem Fall jedoch überaus schwierig, da die Täter maskiert waren. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, erklärt Dombert. Dabei sei auch die Frage zu klären, ob und inwiefern das Opfer in Strukturen eingebunden war oder ist.
Was wissen wir außerdem?
Aus Sicherheitskreisen hat unsere Redaktion erfahren, dass es sich bei dem Opfer der Schießerei um das Mitglied einer Großfamilie handeln soll, das sich früher in Kreisen der Rocker-Bande Bandidos bewegt haben soll.
Seit Wochen schwelt in Dortmund ein Konflikt zwischen Clans, den Bandidos, Hells Angels sowie abtrünnigen Rockern. Wohl, weil ehemalige Mitglieder der Hells Angels zu den Bandidos übergelaufen sein sollen. Dieser Streit sei vor Kurzem jedoch beigelegt worden.
Das soll ein Video aus dem Milieu zeigen, das unserer Redaktion vorliegt. Voraussetzung für den Friedensschluss war demnach, dass die abtrünnigen Hells-Angels-Rocker aus dem Club der Bandidos austreten.
Der Frieden, der in dem Video verkündet worden sein soll, hielt offenbar nur kurz. Die nächste Eskalationsstufe scheint erreicht: Offenbar soll es sich bei der Tat im Fitnessstudio um einen Racheakt gehandelt haben. Die Botschaft: Selbst im Fitnessstudio unter Leuten und bei Tageslicht auf der Straße sollte das Opfer sich nicht mehr sicher fühlen.
Kurz nach dem Friedensschluss zeigten sich zudem rund 40 abtrünnige Rocker vor der Reinoldikirche in Dortmund: ein erster offener Auftritt als neue Gruppe. Ein entsprechendes Foto eines Augenzeugen liegt unserer Redaktion ebenfalls vor.
Von welchen Gruppen ist die Rede?
Wenn die Ermittlungsbehörden von „Strukturen“ sprechen, in die Menschen wie das Opfer der Schießerei am Donnerstag eingebunden sein könnten, sind damit in den meisten Fällen Clans und Banden gemeint. Wie diese Gruppen miteinander in Verbindung stehen, ist kaum zu durchschauen. Oft entstammen die Mitglieder von Rockerbanden jedoch Clan-Familien.
Das Bundeskriminalamt definiert kriminelle Clans als ethnisch abgeschottete Subkulturen, die in der Regel patriarchalisch-hierarchisch organisiert sind und einer eigenen Werteordnung folgen. Clans handeln also nach ihren eigenen Gesetzen, man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Paralleljustiz. Die in Deutschland bekannten und aktiven Clans sind Großfamilien, zumeist aus dem arabischen Raum oder der Türkei. Die Liste der Clankriminellen umfasst in NRW mehr als hundert Nachnamen.
Bisher waren in NRW vor allem Essen, Recklinghausen und Gelsenkirchen als Hochburgen krimineller Clans bekannt. Duisburg gilt indes als Hotspot krimineller Rocker-Banden wie den Bandidos und den Hells Angels. Beide Clubs stammen ursprünglich aus den USA. In Deutschland zählen sie jeweils mehrere hundert Mitglieder, die sich im Rockerkrieg, der zwischen ihnen tobt, regelmäßig gewalttätige Auseinandersetzungen liefern.
Ob Clans oder Rocker: Kriminelle Gruppen wie diese betätigen sich in den unterschiedlichsten Geschäftsfeldern. Dazu gehören Drogenhandel und Schutzgelderpressung, illegales Glücksspiel und Menschenhandel, Betrug und Raub.
Dass Clan-Kriminalität und Auseinandersetzungen zwischen Rocker-Banden auch in der Dortmunder Nordstadt zunehmen, ist ein polizeibekanntes Problem. Die Behörde löst es mit verstärkter Präsenz vor Ort und regelmäßigen Razzien in der Szene. Ihr Vorgehen sei Teil einer Null-Toleranz-Strategie und der „Politik der kleinen Nadelstiche“ des NRW-Innenministeriums unter Herbert Reul, heißt es auf der Website der Polizei Dortmund. Ziel sei es, kriminelle Strukturen zu bekämpfen – auch aus dem Bereich krimineller Clans.