Wenn Patrick Arens den Betreibern der Buden auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt ihre Plätze zuweist, ist das Maßarbeit. Vor dem Gebäude „Zum Ritter“ läuft der 57-Jährige Meter um Meter ab, feilscht mit dem Bauleiter um jeden Zentimeter.
Der Betrieb rund um das Fischhaus Lichte darf die Bauarbeiten an dem historischen Gebäude nämlich nicht beeinträchtigen. Während in der Vorweihnachtszeit Passanten hier vorbeikommen, Glühwein trinken, Grillschinken essen, gebrannte Mandeln oder eben Fisch bei Lichte kaufen, muss genug Platz bleiben, damit zum Beispiel Betonmischer hier rangieren und die meterhohen Fenster unversehrt ins Haus getragen werden können.

Eine Woche vor Eröffnung des Weihnachtsmarktes ist davon noch nichts zu sehen. Der Westenhellweg zeichnet an diesem Donnerstagmorgen ein fast friedliches Bild. Entlang der Einkaufsstraße sieht man vereinzelt Menschen auf dem Weg zur Arbeit, zum Arzt, ins Café. Die Ruhe wird nur gestört von den dröhnenden Bohrgeräuschen im Innern des alten „Burger King“-Hauses und vom tiefen Brummen des LKW, der die Fischbude vor dem Eingang zu parken versucht.
Breitbeinig daneben steht Patrick Arens mit seiner kurzen schwarzen Daunenjacke und den schwarzen Sneakern, die Brille in der einen, das Maßband in der anderen Hand. „Ein bisschen raus“, ruft er Marc Lichte zu, der hinter dem Steuer des LKW sitzt. „Zwei, drei Zentimeter.“ Lichte dreht das Lenkrad, die Bude rollt, weg vom Haus, zwei, drei Zentimeter hin zur Reinoldikirche. „Stopp!“, ruft Arens dann. Der Motor verstummt, Lichte steigt aus, damit er und seine Helfer in die Knie gehen und das Fischhaus Richtung Westen schieben können. Zwei, drei Zentimeter, bis alle genug Platz haben und der Bauleiter leidlich zufrieden scheint.
„Die Leute meinen, ich wäre der große Boss“
„Patrick versucht immer, dass alle zurechtkommen“, sagt Schausteller Marc Lichte. Eine pointierte Beschreibung seiner Person und seiner Aufgabe. Patrick Arens ist Sprecher des Schausteller-Vereins Rote Erde, der die Dortmunder Weihnachtsstadt alljährlich organisiert. Und obwohl vier weitere Schausteller ebenfalls an diesem Unterfangen beteiligt sind, scheint Arens doch die zentrale Figur zu sein.
Nicht etwa, weil er die meisten Stände hätte. Nein, Patrick Arens betreibt nur den Hansatreff, den Glühweinstand vor Ortner und zu den Füßen des Weihnachtsbaums. 50 Mitarbeiter hat er dort. „Die Leute meinen, ich wäre der große Boss, der hier abends herumläuft und die Taschen abholt. So ist es aber nicht.“
Vielmehr ist Patrick Arens jemand, der sich für seine Zunft einsetzt. So war es während der Pandemie, als die Schausteller unter Lockdowns und Veranstaltungsverboten gelitten haben, so ist es jetzt, da es mal wieder um die Sicherheitsfrage geht. 2022 wurde Arens für seine Verdienste als Schausteller mit dem Cityring ausgezeichnet.
Der Dortmunder stellt den Zusammenhalt der Händler an erste Stelle, denn daran hänge der Erfolg des Einzelnen, sagt er. Sich selbst als Schaustellerkönig zu bezeichnen, würde Arens, der auch Sprecher des Bundesverbandes deutscher Schausteller und Marktkaufleute ist, deshalb niemals in den Sinn kommen.

„Es gibt keinen König“, macht er gleich zu Beginn unseres Interviews deutlich. „Erstens werden wir in unserer Funktion als Schausteller-Sprecher alle zwei Jahre neu gewählt. Zweitens macht das hier nur Spaß und funktioniert, weil wir Schausteller uns schon so lange kennen. Wenn jeder nur seinen eigenen Vorteil suchen würde, dann ginge die Gemeinschaft kaputt.“
Die zwei Leben eines Schausteller-Kindes
Um Schausteller zu werden, braucht es theoretisch keine Berufsausbildung. Und doch gibt es wohl kaum einen Beruf, der seiner Definition im Wortsinn so nahe kommt wie dieser. Denn als Schausteller, so scheint es, wird man buchstäblich geboren. „Wir waren lange eine Randgruppe, sind es zum Teil noch immer. Und jede Randgruppe zeichnet ihr eigenes Gesellschaftsbild: Wir haben unsere eigenen Partys, unsere eigenen Fußballturniere. Wenn die Freunde am Wochenende zu Hause Geburtstag feiern, dann arbeiten wir. Deshalb bleiben die meisten Kinder in dem Beruf.“
So auch Arens. Der Dortmunder entspringt einer der größten Schausteller-Dynastien in ganz Deutschland. Vor nunmehr 150 Jahren stellte der Zuckerbäcker Arens Lebkuchen und Zuckerstangen her, die die Familie Heiligabend dann in Dortmund verkaufte. Seitdem sind die Arens im Geschäft – und ordnen diesem alles unter.
So kamen Patrick Arens und sein Bruder Peter in ihrer Kindheit bei Pflegefamilien unter, gingen in Dortmund zur Schule, während die Eltern wochentags ihre Fahrgeschäfte durch Deutschland karrten. Am Wochenende packten die Jungen selbst mit an. „Irgendwann führt man zwei Leben. Als es darum ging, ob ich Abitur mache oder bei uns einsteige, habe ich mich für das Schaustellerleben entschieden.“
Was er geworden wäre, wenn er sich anders entschieden hätte. Vermutlich Journalist, erzählt er. „Meine Lehrerin wollte mich damals gar nicht abmelden. Sportberichterstattung hat mich interessiert. Das konnte ich ganz gut, auch mit Menschen reden. Wir hatten damals so eine kleine Fußballzeitung.“

Mit Menschen muss Arens sich auch als Schausteller täglich auseinandersetzen. Bereits im Alter von 17 Jahren zog der Dortmunder mit den Fahrgeschäften seiner Familie durch ganz Deutschland und baute sie auf allen großen Volksfesten auf – dem Hamburger Dom, den Cannstatter Wasen, der Soester Allerheiligenkirmes, dem Weinfest in Landau, Pützchens Markt in Bonn, dem Bremer Freimarkt. Nur auf dem Oktoberfest sei er nicht gewesen.
Auch heute steht Patrick Arens auf allen Großveranstaltungen in NRW – mit Ständen für Essen und Getränke. Die Fahrgeschäfte hat er abgegeben. Außerdem organsiert er, den Weihnachtsmarkt zum Beispiel, aber auch kleine Firmenfeiern. Von seiner Firmenzentrale in Bodelschwingh – dort stehen die Buden in den Pausen zwischen den Veranstaltungen aufgereiht auf einem 3000 Quadratmeter großen Parkplatz – zieht Arens los.
„Das ist viel learning by doing“
Er hat sich alles selbst beigebracht. „Das ist viel learning by doing“, erzählt der kleine Mann mit dem glatten, fast schwarzen Haar. „Eine kaufmännische Lehre wäre vielleicht sinnvoll gewesen. Das hätte mir im Leben womöglich den einen oder anderen Fehler erspart, der mich viel Geld gekostet hat.“
„Rock in den Ruinen“ zum Beispiel. Nachdem das legendäre Festival 2011 von der Hohensyburg nach Phoenix West hatte ziehen müssen, bestand es nur noch drei weitere Jahre. Arens hatte die Veranstaltung damals ausgerichtet. „Im ersten Jahr haben die Umbaukosten am Stahlwerk uns aufgefressen. Im zweiten Jahr habe ich zu optimistisch geplant, zu große Künstler ausgesucht. Im dritten Jahr gab es am 1. Mai Schnee“, beschreibt der Schausteller. „All das hat der Veranstaltung nicht gutgetan. Hätten wir länger durchgehalten, wäre es ein Erfolg geworden.“
Dazu kam es aber nicht und die Investition, knapp 500.000 Euro, war verloren. Als Schausteller braucht es eben nicht nur Risikobereitschaft, sondern auch das Quäntchen Glück. Hinschmeißen wollte Arens damals nicht. „Wir haben halt die Zähne zusammengebissen und alles Schritt für Schritt zurückgezahlt. Es hat nur seine Zeit gedauert.“ Arens gehört zu einem stoischen Menschenschlag: Er verharrt nicht beim Problem, er konzentriert sich auf dessen Lösung und lernt aus seinen Fehlern.
Angst hat bei Schaustellern keinen Platz
Darum scheint Arens auch das Sicherheitsrisiko, das auf Großveranstaltungen wie dem Dortmunder Weihnachtsmarkt herrscht, nicht aus der Ruhe zu bringen. „Das ist eine Sache, der wir uns stellen müssen und die wir nicht wegdiskutieren können. Wir müssen uns einfach so gut wie möglich vorbereiten.“ Ob er Angst vor einem Anschlag habe. „Nein, ich habe auch keine Angst vor Sturm. Wir sind so erzogen worden, dass wir da rausgehen und unseren Job machen.“ Das Geschäft muss laufen.
Unter den vielen Jobs, die Arens rund ums Jahr macht, sei ihm der Dortmunder Weihnachtsmarkt einer der liebsten. „Der große Vorteil ist, dass man nicht jede Woche auf- und abbauen muss. Das gibt, wenn denn alles nach Plan läuft, viel Ruhe und Zeit für schöne Momente.“ Der stärkste Druck komme von außen. „Die Weihnachtsstadt ist wichtig für die Stadt, für die Menschen. Das, was wir machen, ist deshalb automatisch Thema. Wie wir den Baum dekorieren, zum Beispiel.“
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Hier finden Sie die schönsten Fotos von den Dortmunder Weihnachtsmärkten.
Im Geiste plant Arens den Weihnachtsmarkt 2025 schon jetzt, nachdem der diesjährige gerade einmal eröffnet wurde. „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“ Im April dann würden die Ideen konkreter. In der Woche vor Eröffnung sind Arens Arbeitstage in der City lang, um 6 Uhr fängt er an, bleibt manchmal fast bis Mitternacht. Und auch jetzt, da der Markt eröffnet ist, ist er Ansprechpartner.
Pudding zum Nachtisch
Pause macht er nur an Heiligabend – aber auch dann erst nachmittags – und am ersten Weihnachtsfeiertag, verbringt die Zeit mit Frau, Kindern und Enkeln. Auf den Pudding zum Nachtisch freue er sich jedes Jahr besonders. Ob er den Advent, eigentlich doch eine Zeit der Muße, überhaupt genießen könne. „Es gibt Tage, da läuft alles und ich gehe über den Markt und denke: ‚Toll, es hat doch wieder vieles geklappt.‘“
Den Dortmunder Weihnachtsmarkt zu organisieren, ist für Arens ein Privileg. „Das ist dieser große Treffpunkt für alle, wo Geschichten von früher erzählt werden und wieder aufleben. Für mich ist das hier Heimat. Damals war der Weihnachtsmarkt die erste Veranstaltung im Jahr, bei der die ganze Familie zusammengekommen ist.“

So ist es noch heute. Viele Mitglieder der Familie Arens betreiben einen Stand in der City. Arens‘ Tochter zum Beispiel macht das Hirtenbrot, sein Neffe den Grillschinken, seine Nichte hat einen Bratwurst-Stand, ein Cousin betreibt den China-Imbiss, ein anderer das Pommes-Haus. Sie alle – auch Patrick Arens am Hansatreff – sind als Unternehmer eigenständig.
„Natürlich ist das eine Konkurrenz, aber eine gesunde Konkurrenz, in der wir immer in der Lage sind, unsere Dinge gemeinsam voranzubringen“, erklärt der Schausteller. „Klar, jeder will hier auf dem Weihnachtsmarkt sein bestes Geschäft machen und betreibt das auch entsprechend. Das tut dem Markt aber ja auch gut, wenn jeder sein Bestes gibt. Wir verstehen uns und wenn wir streiten, schaffen wir es, so zu streiten, dass trotzdem eine Brücke bleibt. Das ist das Wichtigste.“