Den Anblick wird Sandra Brandhofer den Rest ihres Lebens nicht mehr vergessen: „Mein Kollege hat die Zimmertür geöffnet und es kam eine tiefschwarze Wolke heraus. So ein tiefes Schwarz habe ich im Leben noch nie gesehen.“ Der drastische Anblick macht der Krankenschwester aus Dortmund sofort klar: Jetzt muss schnell gehandelt werden. Ihre Patienten sind schwerkrank, können nicht selbst vor dem Feuer flüchten. Sandra Brandhofer startet gemeinsam mit zwei Kollegen eine Rettungsaktion, vor der man Hochachtung haben muss.
In diesem Nachtdienst im Evangelischen Krankenhaus Gelsenkirchen bringt sie sich in Lebensgefahr, um Patienten zu retten. Dafür wurde die Dortmunderin gemeinsam mit ihren Kollegen Melissa Abraham und Mahir Günes kürzlich von Ministerpräsident Hendrik Wüst mit der Rettungsmedaille des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet.
Vor der Zeremonie „hatte ich ein bisschen Angst. Ich dachte, Hauptsache, wir müssen nicht ins Mikro sprechen“, plaudert die 38-Jährige im Gespräch munter drauflos und lacht. Man hat sofort den Eindruck: Sandra Brandhofer ist eine Frau, die anpackt, aber kein großes Gewese um ihr Handeln macht. Und das gilt auch für ihr couragiertes Handeln in der Nacht des Brandes, obwohl ihre Schilderungen inhaltlich wirklich dramatisch klingen.
„Kein Scheiß, es brennt!“
Dabei läuft die Nachtschicht im November 2022 zunächst ganz entspannt. Auf ihrer Station sind 14 von 17 Betten belegt. Alle Patienten sind an Überwachungsmonitore angeschlossen. „Diese Patienten sind alle schwer krank.“ Die wenigsten von ihnen können oder dürfen laufen. Nach der Übergabe und einer ersten Pflege-Runde trifft sich Sandra Brandhofer mit ihren beiden Kollegen Melissa Abraham und Mahir Günes im Stationszimmer.
Um 23.52 Uhr - die Uhrzeit weiß Sandra Brandhofer noch ganz genau, weil direkt danach der völlige Ausnahmezustand ausbricht - zeigt ein Überwachungsmonitor plötzlich „Stand-by“ an. „Mahir hat sich noch gewundert, weil er den Monitor kurz zuvor überprüft hatte. Er ist dann losgegangen, um nachzuschauen.“ Das Zimmer liegt am Ende des Flurs. Aber es dauert nur kurz, da kommt er zurückgerannt und schreit: „Kein Scheiß, es brennt, es brennt!“
Sandra Brandhofer und ihre Kollegin schauen sich an: „Kurz haben wir gedacht, das ist ein schlechter, ein ganz schlechter Scherz.“ Dann greift die 38-Jährige zum Telefon und informiert die Feuerwehr - die schon Bescheid weiß, weil auch die Brandmeldeanlage ausgelöst hat. Als nächstes erlebt Sandra Brandhofer den Moment, der sie noch lange verfolgen wird: Ihr Kollege öffnet die Tür des brennenden Patientenzimmers - und herausdringt der tiefschwarze Brandrauch. „Das waren keine Rauchschwaden oder so, sondern das sah wie eine kompakte Masse aus, unfassbar schwarz und dicht.“

Ihr Kollege stürmt ins Zimmer, aus dem ein Patient selbstständig herauskommt, den anderen holt er. Sandra Brandhofer ruft kurz auf der Nachbarstation an. „Bei uns brennt es, kommt rüber!“ Dann rennt sie in das erste Patientenzimmer und schnappt sich die Patientin: „Die hatte jede Menge Kabel an sich, ich habe die einfach aus der Wand gerissen und bin mit dem Bett auf den Flur raus. Da stand der Rauch schon so tief, dass ich mich bücken musste, sonst wäre mein Kopf im Rauch gewesen.“
Sie schiebt das Bett durch eine große Tür auf den Hauptflur neben der Station - und will direkt den nächsten Patienten holen. „Wir konnten schon nicht mehr über den Flur laufen, der war komplett verraucht.“ Sie hört noch, wie jemand zu ihrer Kollegin sagt: „Du kannst da nicht wieder reingehen!“ Melissa Abraham antwortet nur kurz: „Bist du bescheuert, ich muss den Menschen helfen.“
Mittlerweile sind auch Kollegen der Nachbarstationen hinzugekommen: „Wir haben wie ferngesteuert funktioniert. Wir haben gar nicht gesprochen, sondern einfach gemacht.“ Die breiten Krankenhausbetten passen nicht durch die Tür auf den Balkon. „Wir haben die einfach in die Decken eingeschlagen und irgendwie über den Balkon gezogen, geschlörrt - irgendwie nach draußen.“
Rauchgasvergiftung zugezogen
Als die Feuerwehr eintrifft, müssen die Einsatzkräfte nur noch einen Patienten evakuieren, erinnert sich Sandra Brandhofer. „Alle anderen hatten wir schon geschafft - da waren wir auch ein bisschen stolz.“ Als sie diesen Satz sagt, wirkt die Dortmunderin, die sonst sehr taff und lebendig erzählt, fast verlegen und zurückhaltend.
Es mag daran liegen, dass sie ihren lebensgefährlichen Einsatz wirklich für selbstverständlich hält: „Diese Menschen kommen zu uns ins Krankenhaus und vertrauen sich uns an. Man lässt seine Schäfchen doch in so einer Situation nicht im Stich.“
Nach der Rettungsaktion trifft Sandra Brandhofer ihr beiden Stationskollegen in der Ambulanz wieder. „Wir sind uns in die Arme gefallen und haben gecheckt, ob es allen gut geht.“ Alle drei haben auffällige Blutwerte, die auf eine Rauchgasvergiftung hinweisen. Mit Sauerstoffmasken auf dem Gesicht müssen sie noch einige Stunden bleiben, bis sich die Werte normalisieren.

Einige Stunden später darf Sandra Brandhofer nach Hause. „Mein Freund war auf der Arbeit, wir hatten morgens aber telefoniert. Ich habe mir dann einen warmen Kakao gemacht und versucht zu schlafen - das hat nur mäßig funktioniert, wegen der Bilder im Kopf.“
Als ihr Freund nach Hause kommt, nimmt er seine Lebensgefährtin in den Arm. „Und dann liefen mir die Tränen runter, vorher nicht.“
Am Tag nach dem Brand geht Sandra Brandhofer noch einmal zum Ort des Geschehens zurück: „Ich habe das Licht auf Station angemacht - es wurde gar nicht hell, weil alles so verrußt war.“
Zwei Wochen ist Sandra Brandhofer krankgeschrieben. Nach und nach verlieren die schrecklichen Bilder an Wirkung. Als sie wieder arbeiten geht, sind bereits die Handwerker auf der Station, die von Grund auf renoviert werden muss. Obwohl das Feuer auf ein Zimmer beschränkt blieb, hat der Brandrauch die ganze Station unbrauchbar gemacht.
„Ich würde es wieder machen“
Eineinhalb Jahre ist das Feuer nun her - oft hat Sandra Brandhofer ihre Geschichte seitdem erzählt. „Anfangs hatte ich noch einen Kloß im Hals, aber mit jedem Mal wurde es besser.“
Die Bilder haben ihren Schrecken mittlerweile verloren, das Erzählen ist leichter geworden. Aber eins hat sich nicht verändert - ihre Einstellung zu ihrer bemerkenswerten Tat, die sie weiterhin für selbstverständlich hält: „Ich würde es ohne nachzudenken sofort wieder so machen.“
Auch wenn sie die dramatischen Bilder des tiefschwarzen Brandrauchs nachts lange im Schlaf verfolgt haben - und sie diese ihr Leben lang nicht vergessen wird.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 17. Mai 2024.