Dieses Graffito am Blücherpark kann verschieden gedeutet werden. Und verunsichert ob seiner unklaren Aussage. © Tobias Großekemper
Extremismus
Salafisten am Blücherpark? Dubioses Graffito in der Nordstadt
In der Nordstadt ist ein Graffito aufgetaucht. Die Rede ist von Märtyrern und der Befreiung Palästinas. Die Urheber sind nicht aufzuspüren - und es einzuordnen, fällt sogar Experten schwer.
Das Bild an der Wand war dem Mann aufgefallen, als er am Blücherpark an der Mallinckrodtstraße vorbeispazierte. Das Bild unterschied sich von den anderen Graffiti, die auf der dem Park zugewandten Mauer, die den Park von der Straße trennte, angebracht worden waren. Die anderen Graffiti waren Schriftzüge. Das hier war ein darstellendes Bild. Der Mann ging näher und betrachtete es:
Neun Männer in langen weißen Gewändern ohne Gesicht, dafür mit Bart. Einer vorne stehend, die anderen acht in einer Reihe dahinter. Vor einer Mauer, auf deren Spitze Stacheldraht angebracht ist. Gefangene offenbar.
Dazu drei Schriftzüge. Ein Satz, der lautet: „Eure Kugeln machen uns zu Märtyrern“. Zwei Hashtags. #freepalestine und #christchurch.
„Vielleicht denke ich auch in die falsche Richtung?“
In Christchurch, Neuseeland, hatte am 15 März ein rassistischer und rechtsradikaler Attentäter in zwei Moscheen um sich geschossen. 50 Menschen, Muslime, starben. „Freepalestine“ steht für „Freiheit für Palästina“ – ein Slogan, der sich vermutlich für ein Ende der so genannten Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlands durch die Israelis ausspricht. Große Teile des Westjordanlandes werden seit 1967 von Israel kontrolliert, es gibt dort zahlreiche jüdische Siedlungen. Der Gazastreifen, so sagen es die Israelis, ist nicht besetzt. Die USA und die UNO bewerten das anders.
Mauern, Stacheldraht, Muslime, dazu das Wort „Märtyrer“ – der Mann, der das Bild betrachtete, stutzte, war unangenehm berührt. Er kann die Nachricht, die das Bild vermitteln soll, nicht einordnen.
Wenn er an „Märtyrer“ aus der salafistischen Ecke denkt, wird ihm mulmig. „Aber vielleicht denke ich in die falsche Richtung und dieses „Kunstwerk“ ist ganz anders zu deuten.“ Er schreibt eine Mail an unsere Redaktion. In der Betreffzeile steht „Salafisten am Blücherpark?“
Keiner hat was gesehen
Am vergangenen Dienstag reinigen orange gekleidete Männer den Park, zwei von ihnen sitzen während einer Pause auf einer Bank. Die Bilder da vorne an der Wand gebe es bestimmt seit zwei, drei Jahren. Und irgend etwas beobachtet hätten sie hier nicht. Am Rand einer Überdachung in der Mitte der Mauer findet sich ein Hinweis darauf, wer mehr wissen könnte: „More than words“ ist dort mit einer Schablone hingesprüht worden. Darunter steht „Finest Graffiti Art“. Und eine Telefonnummer in Dortmund.
Wofür die weißen Gewänder stehen, könnte zwei Bedeutungen haben
Volkan Baran ist Landtagsabgeordneter für die SPD. Er stammt aus der Nordstadt, die Wurzeln seiner Familie liegen in der Türkei. Er ist vor einigen Jahren selber mal öffentlich von Salafisten angegangen worden. Er betrachtet das Bild und sagt: Zunächst einmal würde er es als Hommage an die Menschen sehen, die in Christchurch getötet wurden. „Märtyrer“ seien nicht nur Menschen, die attackieren und im Kampf fallen. Das würde hier manchmal missverstanden. Im muslimischen Glauben seien auch unschuldige Opfer als Märtyrer zu verstehen.
Und die weißen Gewänder, die diese Männer tragen, könnten als Zeichen ihrer Unschuld gewertet werden. Das ist eine mögliche Interpretation. Es könnte aber auch etwas anderes hinter dem Wandgemälde stehen...
Das ergibt sich aus dem #freepalestine. Wenn man das als Kampfaufruf verstehen will, dann könnten die weißen Gewänder eine andere Bedeutung haben. Weiße Gewänder würden, so sagt es Baran, auch angezogen von Menschen, die sich auf ein Attentat vorbereiten. Ganz sicher, was das Graffito sagen will, ist Baran sich nicht.
Erstmal ist die Mauer eine Freifläche
Bei „More than words“ geht Markus Happe ans Telefon. Happe sagt, bei „More than words“ handelt es sich um eine Graffiti-Agentur. Einerseits kann man Künstler für Auftragsarbeiten bestellen. ThyssenKrupp zum Beispiel hat das schon getan, MAN, der BVB oder die Dogewo. Die springende Regenbogenforelle, die man auf der Gabionenwand an der B54 sehen kann, wenn man stadtauswärts fährt, stammt von ihnen.
Andererseits hat die Agentur – es gibt sie seit 1998 – von der Stadt einige Freiflächen zur Verfügung gestellt bekommen, die sie quasi verwaltet. So eine Freifläche ist auch die Mauer im Blücherpark.
Vor drei Wochen war es noch nicht da
Wer an diesen Freiflächen legal sprayen will, schließt sich normalerweise mit „More than words“ kurz. Dann lernt man sich im Zweifel erst kennen und bekommt dann als Künstler eine Fläche zugewiesen. Das geschehe, sagt Happe, damit nicht das zuletzt entstandene Bild als erstes wieder übermalt werde. In der Regel funktioniere das alles ziemlich gut.
Klar sei auch, dass die Bilder, die dann entstehen, weder politisch noch pornografisch noch gewaltverherrlichend sein dürfen. Natürlich dürfe und solle Kunst auch ein Stück weit provozieren können. Aber mit dem, der das Bild mit den neun Gestalten auf die Mauer am Blücherpark gesprüht hat, konnte Happe nicht darüber diskutieren.
Es gab keinen Kontakt, das Bild muss in den letzten zwei Wochen entstanden sein, vorher war es noch nicht da. Ohne Absprache, ohne Anfrage. Happe sagt, er habe Schwierigkeiten, das Bild zu bewerten. Aber dass es verunsichern würde, sei klar.
Salafistische Umtriebe im Blücherpark – davon haben Menschen, die sich mit der Materie auskennen, noch nichts gehört. Es gibt Treffpunkte, selbstverständlich auch in Dortmund. Auch hier fanden Koran-Verteilungen statt, auch hier wurden Menschen radikalisiert. In Wohnungen etwa. Bekannt ist auch, dass sich Salafisten im Hoeschpark treffen oder trafen. Aber im Blücherpark? Schulterzucken allenthalben.
Nach Ostern ist es wohl Geschichte
Happe von der Graffiti-Agentur ist sich sicher, dass das Bild, das keinen ersichtlichen Urheber zu haben scheint, da keine Signatur angebracht wurde, nicht lange „überleben wird“. Wenn über Ostern das Wetter gut ist, wird es wieder Anfragen geben, welche Freiflächen nutzbar sein werden. Und dann, davon geht Happe aus, wird das Bild übersprayt werden.
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