Zitterpartie um Karstadt Dortmund im Jahr 2023 Die Rettung kam erst kurz vor Toresschluss - doch die Sorgen bleiben

Dortmund bangt monatelang um Karstadt: Rettung kurz vor Toresschluss
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Es ist Montag, 13. März, kurz vor 10 Uhr morgens, als das Management in Essen die Katze aus dem Sack lässt: Ja, auch Karstadt Dortmund steht neben weiteren rund 50 Häusern auf der Streichliste, bekommen die Betriebsräte und die Geschäftsführung bei einer Telefonkonferenz zu hören. Das Haus am Westenhellweg, „ihr Haus“, soll zum 31.1.2024 geschlossen werden. Die Betriebsräte haben die schlechte Nachricht bereits geahnt, sie berufen eilig eine Mitarbeiterversammlung ein. Die rund 160 Beschäftigten stehen vor einem Deja-Vu.

Lange zurückdenken müssen sie nicht. Auch 2020 steckte Galeria Karstadt Kaufhof in der Insolvenz - und hatte angekündigt, in Dortmund nicht nur das Karstadt-Haus zu schließen, sondern Kaufhof und das Sporthaus am Alten Markt gleich mit. Am Ende sind Karstadt und das Sporthaus geblieben. Den Kaufhof aber hat es erwischt, er musste schließen.

Jetzt also die erneute Schließungsankündigung? Das Karstadt-Haus, mit 21.000 Quadratmetern Fläche größtes Warenhaus und immer noch Herzstück der Dortmunder City, soll dicht gemacht werden? „Das ist ein Stich ins Herz“, empört sich Betriebsrats-Vorsitzender Joffrey Kallweit. Für Dortmunds City ist es ein Horrorszenario. Wieder mal.

Und die Beschäftigten? Entsetzen und Zorn auf das „Galeria Management“ sind groß, weichen im Laufe der Zeit aber einer gewissen Abgeklärtheit. „Man stumpft ab“, sagt eine Mitarbeiterin. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Da sind erstens die vielen Kunden, die Mut machen. Zudem gibt es ja noch die Stadt, die sich im Hintergrund für den Erhalt des Hauses einsetzt. Und überhaupt: Hatte es die gleiche Drohgebärde 2020 nicht auch gegeben? Vielleicht kommt es ja doch noch zu einer Einigung zwischen Karstadt und dem Immobilieneigentümer, damit die Miete gesenkt und das Haus von der Streichleiste genommen werden kann.

Wem gehört das Karstadt-Haus?

Die Hoffnung bleibt. Erst recht nach der Gläubigerversammlung Ende März in Essen. Die Gläubiger verzichten auf viele Millionen Euro, stimmen dem Insolvenzplan für den angeschlagenen Galeria-Konzern aber zu. Es ist das „Go“ für Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz, Filialen zu schließen, um die Kosten zu drücken.

Unterdessen hat OB Thomas Westphal seitens der Stadt den „Runden Tisch“ mit Vertretern aus Handel, Verwaltung, Politik, Gewerkschaften und Karstadt-Betriebsräten reaktiviert. Es sind die gleichen Akteure, die dort bereits 2020 Platz genommen hatten.

Die Krise spiegelt sich in den Gesichtern: Wirtschaftsförderin Heike Marzen, Karstadt-Betriebsrat Joffrey Kallweit und Verdi-Chef Michael Kötzing (v.l.). bei einer Pressekonferenz.
Die Krise spiegelt sich in den Gesichtern: Wirtschaftsförderin Heike Marzen, Karstadt-Betriebsrat Joffrey Kallweit und Verdi-Chef Michael Kötzing (v.l.). bei einer Pressekonferenz. © RN (Archiv)

Doch ihr Spielraum, auf die Entscheider Einfluss zu nehmen, ist begrenzt. Sogar herauszufinden, wer der eigentliche Eigentümer der Karstadt-Immobilie ist, fällt schwer. Da gibt es diesen Fonds in Luxemburg, der wohl zu einem US-Immobilienriesen gehört, der wiederum einen deutschen Ableger (RFR-Holding) in Frankfurt hat und der als Verwalter der Immobilie auftritt.

Aber - gibt es dazwischen nicht noch ein Jointventure mit dem österreichischen Galeria-Eigentümer Rene Benko? Ein Jointventure, das ihn auf verschlungenen Wegen zum Mitherrscher über die Dortmunder Karstadt-Immobilie macht? „Es ist selbst für uns schwer zu entschlüsseln“, sagt Wirtschaftsförderin Heike Marzen. Briefe ans Management, in denen Stadt-Spitzen die Vorzüge der Einkaufsstadt Dortmund aufführen und für den Karstadt-Erhalt trommeln, bleiben ohne Reaktion.

Noch kurz vor der Gläubigerversammlung im März in Essen tritt OB Westphal bei einer Betriebsversammlung vor die Beschäftigten. Er erklärt, dass er sich in die Gespräche zwischen Karstadt und Vermieter eingeschaltet habe. „Wir haben die berechtigte Hoffnung, dass es weitergeht“, sagt der OB. Und kündigt an, die Stadt sei zur Not bereit, „sich in dem Haus zu engagieren“. Welche Einrichtungen dafür infrage kämen, lässt Westphal offen. Unterdessen werden in der Karstadt-Zentrale in Essen die Kündigungen vorbereitet

Personal erhält die Kündigungen

In Dortmund werden jene Stimmen lauter, die bereits an die Ära nach Karstadt denken. Das einst hochgelobte Modell des Warenhauses, in dem der Kunde alles finde, neige sich dem Ende entgegen, heißt es. Vom „Tod auf Raten“ ist die Rede. Und davon, dass die Immobilie nach einem Karstadt-Aus mit neuen, zeitgemäßen Nutzungen gefüllt werden könnte. Konkrete und wirtschaftlich tragfähige Ideen aber gibt es nicht.

Was zu dem Zeitpunkt nur wenige wissen: Im Hintergrund kommt in Dortmund die Idee auf, ein Konsortium aus lokalen Bauunternehmen und der Stadt zu bilden, das bereit wäre, die Immobilie nach einer Schließung zu übernehmen. Es ist ein Notfallplan.

Wieviel Zukunft steckt noch im Warenhaus-Konzept? Längst nicht jeder ist überzeugt, dass Karstadt bei einem "Weiter-So" langfristig eine Überlebenschance hat.
Wieviel Zukunft steckt noch im Warenhaus-Konzept? Längst nicht jeder ist überzeugt, dass Karstadt bei einem "Weiter-So" langfristig eine Überlebenschance hat. © Stephan Schütze (Archiv)

Es ist April geworden. Seit der Ankündigung des OB sind Wochen vergangen. Das erlösende Signal aus der Karstadt-Zentrale ist nicht gekommen. Und die Uhr tickt: Ende Mai, so heißt es, wolle Galeria die Insolvenz in Eigenregie beendet haben. Gebe es bis dahin keine Wende, werde das Haus unwiderruflich geschlossen. Dortmunds Karstadt-Beschäftigte erfahren, wie andere Filialen peu a peu von der Streichliste genommen werden. Dortmund ist nicht darunter.

Schlimmer noch: Ende April/Anfang Mai trudeln die Kündigungen ein. Für das Personal, darunter viele Frauen in Teilzeit, wird es ernst. Fragen nach einer Transfergesellschaft tauchen auf. Verdi-Vertreter haben alle Hände voll zu tun, die Beschäftigten zu beraten, welchen Weg sie einschlagen sollen. Viele Mitarbeiter sind das Nervenspiel leid und haben sich zu dem Zeitpunkt bereits aus eigenem Antrieb verabschiedet – am Ende werden es insgesamt 40 sein.

Galeria auf wackeligen Füßen

Am Mittag des 25. Mai, es ist höchste Eisenbahn, trifft endlich die erlösende Nachricht ein. Der Karstadt-Vertriebschef aus Essen verkündet: Ja, das Haus bleibt geöffnet! Dortmund atmet auf. Und doch sind sich alle einig: Ein Weiter-So darf es nicht geben, bei Karstadt muss sich etwas ändern, es muss mehr investiert werden!

Nach Monaten des Wartens kommt am 25.5. Mai endlich die erlösende Nachricht: Karstadt ist gerettet, das Haus bleibt geöffnet.
Nach Monaten des Wartens kommt Ende Mai die erlösende Nachricht: Karstadt ist gerettet, das Haus bleibt geöffnet. © RN (Archiv)

Wenige Monate später ist so etwas wie Normalität ins Karstadt-Haus am Westenhellweg eingezogen, als prompt die nächste Hiobsbotschaft eintrifft: Mitten im Weihnachtsgeschäft meldet die Signa Holding von Rene Benko, zu der auch der Galeria-Konzern gehört, in Österreich Insolvenz an. Nun wird auch dem Letzten klar, auf welch wackeligen Füßen der Warenhauskonzern wirklich steht. Das operative Geschäft von Galeria Karstadt Kaufhof liegt bei der Signa-Tochter Signa Retail Selection AG in Zürich; auch sie beantragt ein „Gläubigerschutzverfahren“.

Wieder kommen Spekulationen auf: Wird Karstadt verkauft? Und wenn, an wen? Und was bedeutet das fürs Dortmunder Haus? Die Betriebsräte sehen die dunklen Wolken, die erneut am Horizont heraufziehen. Sie wollen aber kurz vor dem Jahreswechsel nicht schon wieder Unruhe in der Belegschaft aufkommen lassen. „Die Mitarbeiter tragen die Situation mit Fassung“, sagt Betriebsrat Kallweit. Ihre Zukunft aber bleibt ungewiss.

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