„Im Grunde unbewohnbar“ Wie Bewohner eines Hauses seit Jahren unter ihren Vermietern leiden

„Im Grunde unbewohnbar“: Wie Mieter in Gammelhaus seit Jahren leiden
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Die Tapete des kleinen Badezimmers ist schwarz vom Schimmel. Die anderen Stellen an den Außenwänden im Wohnzimmer, im Schlafzimmer und im Zimmer seiner Kinder hat El Bachir Salhi noch beseitigt. Im Bad hat der 40-Jährige aufgegeben. „Das sollen die machen“, sagt er. Mit „die“ meint er die Optima GmbH, die seit dem 1. Januar die Verwaltung des Gebäudekomplexes an der Münsterstraße 200-204 und Uhlandstr. 149e, 149, 151 übernommen hat.

Mit einer landesweiten Kontrollaktion haben die Behörden am 6. Juni problematische Wohnungsbestände in Nordrhein-Westfalen ins Visier genommen. Darunter war auch ein Gebäudekomplex in der Dortmunder Nordstadt, dem die NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) einen Besuch abgestattet hat. „Was wir vor Ort gesehen haben, war erschreckend“, sagte sie bei einem Medientermin.

Seit 2018 lebt El Bachir Salhi mit seiner Familie in einer 83 Quadratmeter Wohnung im dritten Stock eines dieser Gebäude. Wenn er nach der Arbeit gegen 22 Uhr nach Hause kommt, leuchtet er sich den Weg mit der Taschenlampe die Treppe hoch, in der im Erdgeschoss eine Stufenplatte fehlt. Der Aufzug funktioniere seit Monaten nicht, sagt Salhi. Für ihn gehe das ja noch, aber er kennt eine Familie mit kleinen Kindern im sechsten Stock. „Schleppen Sie da mal die Einkäufe hoch.“

Immerhin, nach einem Schlüssel müssen Salhi und die anderen Bewohner des Gebäudes nicht kramen, wenn sie die Einkaufstüten in der Hand haben. Die Eingangstür zum Haus lässt sich einfach aufdrücken. Hätte man den Schlüssel vergessen, wäre Klingeln schließlich auch keine Option. „Defekt“ steht über den Klingelschildern des achtstöckigen Gebäudes. Auch ohne Hinweis würde man das an den losen Kabeln erkennen, die im Inneren aus einer Klappe neben den offenen Briefkästen ragen.

Seit zwei Jahren ginge die Klingel nicht, sagt El Bachir Salhi.
Seit zwei Jahren funktioniere die Klingel nicht, sagt El Bachir Salhi. © Lukas Wittland

Im September 2021 hatte ein Reporter unserer Redaktion die Häuser an der Müsterstraße/Uhlandstraße schon einmal besucht. Bewohner hatten sich unter anderem über Müll und Ratten beschwert. Die Probleme damals deckten sich weitestgehend mit denen, die fast zwei Jahre später wie die Rattenlöcher neben dem Eingang noch immer zu beobachten sind.

Mieter froren im Winter

Es ist eine lange Mängelliste, die El Bachir Salhi bei einem Rundgang zeigt und die andere Mieter bestätigen. Der Schimmel in seiner Wohnung sei entstanden, weil die Heizung ausgefallen sei, sagt er. Bereits im Mai 2022 sei das gewesen. Erst nach einigen winterlichen Monaten habe sie im Januar 2023 durch ein Ersatzaggregat vor dem Haus wieder funktioniert.

Der Verwaltungsdienstleister Optima kündigt auf Anfrage dieser Redaktion eine Erneuerung der Heizung an. „Von Schimmelbildung betroffene Mieter wurden bereits besucht und eine gemeinsame Vorgehensweise abgestimmt“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.

Ein Ersatzaggregat für die defekte Heizung wurde erst aufgestellt, als die Mieter schon einige winterliche Monate ohne Heizung aushalten mussten.
Ein Ersatzaggregat für die defekte Heizung wurde erst aufgestellt, als die Mieter schon einige winterliche Monate ohne Heizung aushalten mussten. © Lukas Wittland

Danach gefragt, sagt El Bachir Salhi: „Zu mir ist niemand gekommen.“ Er hat sich für die kalten Monate zwei elektronische Heizkörper angeschafft. Seine Stromkosten seien dadurch von 88 monatlich auf 156 Euro angestiegen. Zwar sei wegen der vielen Mängel der Mietpreis reduziert worden, die zusätzlichen Stromkosten möchte er trotzdem erstattet bekommen.

Für rechtliche Unterstützung hat er sich an den Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V. gewandt. Fragt man dessen Sprecher Markus Roeser, ob er den Gebäudekomplex an der Uhlandstraße/Münsterstraße kenne, lacht er nur und zählt zusätzlich zu den Mängeln, die El Bachir Salhi genannt hat, noch undichte Fenster und kaputte Wohnungstüren auf. Schon viele Mieter hätten sich an den Verein gewandt. Auch die defekte Heizung bestätigt Roeser.

„Mängel sind katastrophal“

„Für die Mieter ist das eine Zumutung. Die Mängel sind katastrophal. Teils herrschen dort menschenunwürdige Zustände“, sagt der Sprecher des Mietervereins. Im Gebäude an der Uhlandstraße gebe es einen so massiven Wasserschaden, dass die Wohnung eigentlich unbewohnbar sei.

Vor der Optima sei das umstrittene Immobilienunternehmen Belvona für die Verwaltung des Gebäudes zuständig gewesen, das sich im Jahr 2022 in „white green property management Gmbh“ umbenannt hatte, aber weiter Briefe mit Belvona-Briefkopf verschickt hat. Danach übernahm die Optima.

„Es ist ein sehr, sehr undurchsichtiges Konstrukt. Da ändert sich immer wieder etwas. Die Mieter machen das bestimmt schon seit 10 Jahren mit“, sagt Roeser. In den letzten Jahren habe es sich aber zugespitzt.

El Bachir Salhi zeigt zwei Schreiben, die er innerhalb von vier Monaten erhalten hat. In diesen wird er über den Verwaltungswechsel informiert und aufgefordert, die Miete an ein anderes Bankkonto zu überweisen. Als Kontoinhaber sind einmal „BEVO DE Alpha 3e GmbH“, im zweiten Schreiben dann „THK BeVo De Alpha 3e GmbH Miete“ angegeben.

Auch Roeser ist bei Recherchen auf diesen einer chemischen Formel gleichenden Firmennamen gestoßen und hat sich im April die Mühe gemacht, das Firmengeflecht bis zum Eigentümer nachzuverfolgen.

Am Ende sei er bei der „Degag – Deutsche Grundbesitz Holding AG“ mit Sitz in Hannover angelangt. Nach Roesers Informationen ist sie noch immer die Eigentümerin des Gebäudekomplexes in der Nordstadt. Eine Anfrage dieser Redaktion zum Bestand in der Nordstadt ließ die Degag unbeantwortet.

Stadt sieht sehr zähen Prozess

„Für mich erweckt die Eigentümer-Firma nicht den Eindruck, sich wirklich für den Zustand des Bestands zu interessieren“, sagt Markus Roeser.

Den Wohnkomplex an der Uhlandstraße/Münsterstraße haben Ordnungskräfte im Rahmen einer Kontrollaktion begutachtet.
Den Wohnkomplex an der Uhlandstraße/Münsterstraße haben Ordnungskräfte im Rahmen einer Kontrollaktion begutachtet. © Lukas Wittland

Wie Stadtsprecher Christian Schön mitteilt, stehe der Gebäudekomplex „bereits seit längerem im Fokus der Stadt“. Aber auch der Wohnungsaufsicht mache das Geflecht der unterschiedlichen Unternehmen, die beteiligt sind, die Arbeit schwer.

„Wohnungsverwaltung und Eigentümerfirma wechseln häufig mitten im Prozess, so dass Verfahren sehr zäh werden können, weil sich Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner ändern oder neue ermittelt werden müssen“, heißt es schriftlich. Für die Mieterinnen und Mieter sei das eine Zumutung.

„Der notwendige Instandsetzungsprozess wird durch engmaschige behördliche Kontrollen vorangetrieben. Dabei werden die gesetzlichen Möglichkeiten konsequent und aufeinander aufbauend ausgeschöpft“, sagt der Stadtsprecher.

Um die Mängel vollständig abzustellen, setze man auf öffentlichkeitswirksame Aktionstage, die Androhung von hohen Zwangsgeldern und nötigenfalls auf deren Festsetzung. Der Instandsetzungsdruck auf die Verantwortlichen soll damit permanent erhöht werden, sagt Schön.

Gebäudeverwaltung reagiert auf Vorwürfe

Die Optima GmbH gelobt auf Anfrage Besserung. „Es ist eine umfangreiche Sanierung geplant. Bereits im Januar 2023 wurde hierfür ein unlimitiertes Budget freigegeben.“ Ein „sehr erfahrener Architekt“ sei mit der Sanierung beauftragt. Aber der Bau- und Handwerkermarkt sei angespannt. „Gleichwohl haben die ersten Instandsetzungsarbeiten bereits begonnen“, teilt ein Optima-Sprecher mit.

„In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir uns einen Überblick über die Objekte verschafft. Dafür hat Optima bereits Aufträge zu 12 Mängelbereichen erteilt und dieses im Detail an die Stadt Dortmund berichtet, mit der wir in ständigem Kontakt stehen.“

In diesem Fall stellt Markus Roeser der Stadt ein gutes Zeugnis aus: Die landesweite Kontrolle auf Initiative des Bauministeriums sei kein Aktionstag nur zur Schau gewesen.

„Bei der Wohnungsaufsicht ist man in Dortmund besser aufgestellt als andere Kommunen“, sagt Roeser. „Die Mitarbeiter sind aktiv, haben in Dortmund aber auch einen Berg an problematischen Immobilien zu bewältigen.“ Beim Gebäudekomplex Uhlandstraße/Münsterstraße werde das Problem von der Stadt angegangen.

Dieses Bild zeigt den Abgang zur Treppe vor einigen Wochen. Menschen würden dort manchmal urinieren, weil die Eingangstür nicht schließbar sei. Außerdem liege dort oft Müll, berichten Mieter.
Dieses Bild zeigt den Abgang zur Treppe vor einigen Wochen. Menschen würden dort manchmal urinieren, weil die Eingangstür nicht schließbar sei. Außerdem liege dort oft Müll, berichten Mieter. © privat

Viele Mieter haben aber kein Vertrauen mehr darauf, dass es besser wird. „Wir haben es schon aufgegeben, uns zu beschweren“, sagt ein junger Mann, der mit seinen zwei Geschwistern und seinen Eltern in einem der Häuser wohnt. „Die Kraft kann man sich sparen, es tut sich ohnehin nie etwas.“ Seit 2012 lebt er hier.

Vielen Mietern reicht es

Die Hausverwaltung würde ständig wechseln, die Probleme blieben dieselben. „Jetzt reicht es endgültig. Wir suchen etwas Neues.“ Aber so einfach sei das für fünf Personen eben nicht.

Auch der Familienvater El Bachir Salhi sagt: „Du kannst der Verwaltung schreiben, du bekommst keine Antwort.“ Über die beiden Hausmeister, die am Tag nach der Aktion den Müll an den überfüllten Tonnen beseitigen, kann er nur lachen. „Die sind hier, weil es diese Kontrolle gab, sonst sieht man die sehr selten.“ Auch er hat genug, für sich und seine Familie sieht er sich nach einer anderen Wohnung um.

Video unter rn.de/dortmund

Ein Mieter sagte unserem Reporter beim Besuch an dem Gebäudekomplex: „Mir reicht’s, ich zahle keinen Cent mehr!“

Vor diesem Reflex warnt Markus Roeser vom Mieterverein. Die Miete können man nicht einfach einbehalten oder mindern. Das müsse man dem Vermieter zuvor schriftlich mitteilen und am besten Fristen setzen. Roeser empfiehlt deshalb, sich rechtliche Beratung zu suchen - auch bei der Festlegung der einbehaltenen Summe.

Eine erste Übersicht über Rechte gegenüber dem Vermieter finden sich im Mietrechtsratgeber unter mieterverein-dortmund.de