Ein wenig ist noch zu erahnen vom alten Glanz: Die Kreuz-Grundschule mit ihrer klassizistischen Fassade gehört zu den Prachtbauten im Kreuzviertel. Nach den Plänen der Stadt, der die Politik zugestimmt hat, soll das 110 Jahre alte Schulgebäude allerdings bald abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Nur so könnten der wachsende Raumbedarf gedeckt und moderner Unterricht ermöglicht werden, argumentiert die städtische Immobilienwirtschaft.
Eine Initiative aus Bürgern und Architekten macht sich dagegen weiterhin für den Erhalt und Umbau der alten Kreuz-Grundschule stark, verweist auf den historischen Wert und die besondere bauliche Qualität des historischen Gebäudes. Dabei war bislang immer unklar, welcher Architekt eigentlich verantwortlich für den Schulbau im Jahre 1913 war.
Das Rätsel ist jetzt gelöst: Prof. Wolfgang Sonne, einer der Sprecher der Initiative für den Erhalt der Schule und wissenschaftlicher Leiter des Baukunstarchivs NRW, ist in den eigenen Archivbeständen fündig geworden: Die Kreuz-Grundschule ist ein Werk von Friedrich Kullrich, einem der wohl bedeutendsten Stadtbaumeister Dortmunds, der das Gesicht der wachsenden Großstadt um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geprägt hat.

Mindestens zwei Kullrich-Bauwerke sind eigentlich jedem Dortmunder und jeder Dortmunderin bekannt: Das alte Stadthaus am Friedensplatz mit seiner Schmuckfassade und das Alte Hafenamt, das wie ein Leuchtturm am Dortmunder Hafen steht.
Doch es gibt noch viel mehr bedeutende Bauten und Planungen in der Stadt, für die Kullrich federführend war. „Kullrich wirkte maßgeblich mit an der Umgestaltung eines mittelalterlichen Städtchens zum Zentrum einer modernen Großstadt“, bilanziert die Architekturhistorikerin Dr. Sonja Hnilica, die als Professorin für Baugeschichte und Stadtbaukultur an der TH Lübeck lehrt.
Prachtbauten zum Kaiser-Besuch
Kullrich, gebürtiger Berliner, war 1892 als Stadtbauinspektor nach Dortmund gekommen und übernahm 1899 das Amt des Hochbaudezernenten. Damit war er zuständig für Entwurf, Ausführung und Bauunterhaltung aller kommunalen Gebäude. 1899 sollte dabei ein Jahr sein, in dem prägende Bauten entstanden. Für den Empfang von Kaiser Wilhelm II. zur Eröffnung des Dortmunder Hafens hatte Kullrich das Alte Rathaus am Markt, dessen Geschichte bis ins Mittelalter zurückreicht, im gotischen Stil erneuern.

Zugleich entstand für die wachsende Stadtverwaltung das Stadthaus an der Betenstraße, an deren Fassade im historisierenden Stil Erinnerungen an die Stadtgeschichte, vor allem an die Hanse-Zeit, verewigt sind. Und am Hafen selbst setzte Kullrich mit dem Bau des Hafenamtes ein weithin sichtbares Zeichen.

Wie ein Leuchtturm wirkt der neugotische Bau, der damit einen Bezug zur Nordsee als Endpunkt des neu entstanden Dortmund-Ems-Kanals schafft. Hier wurde Kaiser Wilhelm II am 13. August 1899 empfangen - wobei er das Hafenamt mit einem eigens für ihn eingerichteten Kaiserzimmer allerdings nie betreten hat.

Kullrich lieferte aber auch die Entwürfe für die Bauten des ersten Dortmunder Elektrizitätswerks an der Weißenburger Straße, Sparkasse und Bibliothek am Hansaplatz - gleich neben dem restaurierten Alten Rathaus - und das Dudenstift auf dem Gelände des heutigen Klinikums.
„Kullrich versuchte stets, neueste Technik und neuartige Raumprogramme mit repräsentativer Architektur zu verbinden“, erklärt Sonja Hnilica in einem Aufsatz für das Buch „Stadtbaumeister an Rhein und Ruhr“. „Auch bei Nutzbauten wie dem Elektrizitätswerk finden sich aufwendig ausgestattete Innenräume, edle Oberflächen und sorgfältig komponierte Fassaden.“

Ein Gebäude, an dem Kullrich wirkte, ist in der Innenstadt zumindest noch zum Teil erhalten. Zwischen 1909 und 1911 ließ der Stadtbaurat das Königliche Oberbergamt am Ostwall zum Städtischen Kunst- und Gewerbemuseum umbauen. Dabei entstand unter anderem der faszinierende Lichthof, der nach dem Krieg Zentrum des Museums am Ostwall wurde. Nachdem der Abriss bereits beschlossen war, ist er heute Mittelpunkt des Baukunstarchivs NRW.
Bauten für Schulen
Auch im Schulbau setzte Kullrich Zeichen. Er lieferte die Entwürfe für die Königliche Maschinenbauschule zu Dortmund in der Sonnenstraße, die Keimzelle der heutigen Fachhochschule, und die 1910 fertiggestellte Handwerker- und Kunstgewerbeschule in der Brügmannstraße, dem heutigen Fritz-Henßler-Berufskolleg. Der Prachtbau ist vor einigen Jahren mit großem Aufwand saniert und erweitert worden, wobei die klassizistische Fassade und viele andere bauliche Details aus der Bauzeit sorgsam erhalten wurden.

Wenig später zeichnete Kullrich offensichtlich auch für den Neubau der Kreuz-Grundschule auf damals noch freiem Feld am Rande des wachsenden Innenstadt-Quartiers verantwortlich. Wolfgang Sonne hat die von Kullrich unterzeichneten Originalpläne von 1913 ausfindet gemacht. „Am Bau scheint mir bemerkenswert, dass er als Einbau in eine geschlossene Blockrandbebauung eines neuen kommenden Quartiers konzipiert war und eine eindrückliche Fassade zeigt“, stellt Sonne fest.

Vor allem die Fassadengestaltung sei „typisch für die Großstadtarchitektur der Zeit“ und mache das Schulgebäude zu einem „kommunalen Monumentalbau“, urteilt der Experte. Besonders wertvoll sei auch die in ihrer Substanz erhaltene Innenausstattung etwa die „perfekt erhaltenen Terrazzo-Böden, die man heute gar nicht mehr bezahlen könnte“ und die „wunderbaren großzügigen Treppenhäuser mit Originalgeländer“.

Übrig bleiben wird davon wohl nach dem für 2025 geplanten Abriss nichts. Die Außenfront hat etwa durch angebaute Abluftkamine und Glasbausteine schon jetzt einiges von ihrem Glanz verloren. Das Dachgeschoss mit den zwei Turmaufbauten existiert nicht mehr. Das Gebäude im alten Stil wieder aufzustocken, sei baurechtlich gar nicht möglich, weil es dann nicht mehr zur umgebenden Bebauung passe, argumentiert die städtische Immobilienwirtschaft.

„Der Modernisierer Kullrich hat das Alte stets mit Respekt behandelt. Seinen eigenen Bauten ist es vielfach nicht so gut ergangen“, stellte Sonja Hnilica schon 2016 in ihrem Aufsatz fest. „Vom Wirken der ersten Stadtbaumeister ist Dortmund nur wenig geblieben.“ Bald noch etwas weniger.
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