Mit der Rikscha bleibt Hannelore Sczesny (84) mobil Tour durch Dortmund weckt viele Erinnerungen

Mit der Rikscha bleibt Hannelore Sczesny auch mit 84 Jahren mobil
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Gestützt auf ihren Rollator kommt Hannelore Sczesny durch den Ausgang des Pflegezentrums St. Barabara. Mit 84 Jahren ist die Lütgendortmunderin in ihrer Mobilität stark eingeschränkt, ohne Hilfe sind Ausflüge nicht mehr möglich. Als sie die organge-leuchtende Rikscha vor dem Haus entdeckt, strahlt sie deshalb - seit Tagen schon freut sie sich auf die Fahrt.

„Radeln ohne Alter“ heißt das Projekt des Fördervereins Dortmund-Marten und Germania e.V., das es Menschen wie Hannelore Sczesny ermöglicht, auch im Alter mobil zu bleiben. Ehrenamtliche Fahrer und Fahrerinnen sind mehrmals die Woche unterwegs: In Lütgendortmund radeln sie regelmäßig für die Tagespflege, das Alloheim und St. Barbara, in Marten für Bethel vor Ort. Zudem können Interessierte eine Rikschafahrt auch privat buchen - kostenlos.

„Passionierter Fahrradfahrer“

Für Hannelore Sczesny fährt an diesem Vormittag Ingo von Stillfried. Der 68-Jährige ist „passionierter Fahrradfahrer“, wie er sagt, nutzt sein eigenes Rad im Alltag und für Radtouren: „Mit meiner Frau bin ich erst neulich den Ostseeküsten-Radweg gefahren, das waren insgesamt 2000 Kilometer.“ Zwei Personen in der Rikscha durch Lütgendortmund zu fahren, das ist für ihn daher kein Problem.

Auf dem bunten Sitzkissen machen wir es uns gemütlich, anschnallen nicht vergessen und los geht‘s. Schon nach kurzer Zeit ist das förmliche Sie hinfällig, wir sagen Hannelore und Ingo. Denn die Fahrt wird durchaus persönlich, als die 84-Jährige an ihr bekannten Orten vorbeigefahren wird und aus ihrem langen Leben erzählt.

Hannelore Sczesny genoss die Fahrt mit der Rikscha sehr und erzählte während der Tour aus ihrem langen Leben.
Hannelore Sczesny genoss die Fahrt mit der Rikscha sehr und erzählte während der Tour aus ihrem langen Leben. © Julia Kowal

„Ach, ich hätte früher auch gerne ein eigenes Fahrrad gehabt“, sagt Hannelore nachdenklich. Sie hat zwar Fahrradfahren gelernt, doch als sie Kind war, konnte sich die Familie kein Fahrrad für sie leisten: „Wir hatten ja nichts nach dem Krieg“, erinnert sie sich schmerzlich. „Und als Erwachsene habe ich immer viel gearbeitet und mich um die Kinder gekümmert.“

1954 begann Hannelore eine Ausbildung zur „Verkäuferin im Nahrungsmittelhandewerk“, wie es in ihrem Lehrvertrag heißt. Sie lernt in einer Bäckerei, schließt ihre Ausbildung 1957 ab. 1961 heiratet sie, das erste Kind kommt 1962 zur Welt. 1964 und 1973 werden die anderen beiden Kinder geboren.

„Mein Mann war bei Opel immer in der Frühschicht, ich habe als Verkäuferin im Spätdienst gearbeitet“, erzählt die 84-Jährige. „So war immer jemand bei den Kindern.“ Gewohnt hat die Familie in Langendreer, „aber ich war immer Lütgendortmunderin“, betont Hannelore. Fast 40 Jahre lang hat sie schließlich in St. Barbara gearbeitet, zunächst auf der Station, später an der Pforte. Seit über einem Jahr wohnt sie nun in dem Heim, ihr Mann ist bereits vor fünf Jahren verstorben.

Fahrtwind weckt Erinnerungen

Auch in ihrer Freizeit war Hannelore mit ihren Kindern viel in Lütgendortmund unterwegs, im Volksgarten zum Beispiel. Als Ingo die Rikscha durch den Eingang beim „Hopfen und Salz“ lenkt, bewundert sie die großen, grünen Bäume und schwelgt in Erinnerungen. „Wie oft bin ich früher im Volksgarten spazieren gegangen und habe dort im Biergarten gesessen... Zu Fuß kann ich hier leider nicht mehr hin“, bedauert sie. „Aber zum Glück gibt es das Angebot mit der Rikscha.“

Mit rund 15 Stundenkilometern kutschiert Ingo uns durchs Stadtgebiet, bergab werden wir schneller. Der Fahrtwind weht uns um die Nase und durch die Haare, Hannelore genießt das. „Das ist ja wie an der Nordsee“, meint sie lachend und erinnert sich an die jährlichen Urlaube auf Norderney, zunächst mit den drei Kindern, später auch mit den Enkelkindern. Von denen hat die Lütgendortmunderin acht Stück, zweifache Uroma ist sie inzwischen auch.

Für Hannelore Sczesny war die Rikschafahrt auch eine Fahrt in die Vergangenheit: Sie besuchte Orte, an denen sie früher häufig mit der Familie untwegs war - zum Beispiel Haus Dellwig.
Hannelore Sczesny genießt die Rikschafahrt quer durchs Stadtgebiet Lütgendortmund. Fahrer Ingo von Stillfried kutschiert sie unter anderem durch den Volksgarten. © Julia Kowal

„Hallo“, ruft sie plötzlich und winkt einer Dame auf dem Bürgersteig zu. „Eine ehemalige Nachbarin“, erklärt sie und freut sich über die - wenn auch kurze - Begegnung, die sie ohne die Rikscha nicht erlebt hätte.

Unterbrochen werden ihre Erzählungen immer wieder auch durch kleinere Schreckmomente, wenn es über rumpelige Straßen und Wege geht. „Huch, Hilfe“, sagt sie dann und lacht im nächsten Moment schon wieder. „Radfahren in Dortmund, das ist schon eine Herausforderung“, ärgert sich Ingo.

„Ach, hier haben wir immer geparkt und sind dann mit den Kindern zu Fuß weiter“, erzählt Hannelore, als wir über den Parkplatz an Haus Dellwig fahren. Rauf geht‘s zum Schloss, das möchte die 84-Jährige unbedingt wieder mal sehen. „Wir waren hier früher so oft.“

Ingo von Stillfried fährt ehrenamtlich mehrmals die Woche Seniorinnen und Senioren mit der Rikscha spazieren.
Ingo von Stillfried fährt ehrenamtlich mehrmals die Woche Seniorinnen und Senioren mit der Rikscha spazieren. © Julia Kowal

Wir fahren weiter durch den Wald, vorbei an dem kleinen Teich. „Der riecht aber“, findet Hannelore. Und schon wird die nächste Erinnerung wach, an den Geruch vom Kohleofen, mit denen in ihrer Kindheit geheizt wurde. „Ich höre meine Großmutter noch sagen: Wir haben die Kohlen und Kartoffeln im Keller, jetzt kann der Winter kommen.“ Das waren die letzten Worte , die Hannelore - damals gerade zehn Jahr alt - von ihrer geliebten Oma hörte. „Sie legte sich dann schlafen und starb unerwartet. Ich habe lange gebraucht, um das zu verarbeiten.“

Schöne und traurige Erinnerungen werden bei der Rikschafahrt wach, Hannelore ist dankbar dafür. Die nächste Fahrt hat sie schon gebucht, da soll ihre Tischnachbarin aus St. Barbara mit. Für Ingo ist das der schönste Dank: „Die Freude in den Gesichtern der Leute ist mein Lohn.“