
© Kevin Kindel
Viele Fotos: Tausende Dortmunder vereint im Protest gegen Rassismus
Anti-Rassismus-Demo
Geplant waren 1000 Teilnehmer – am Ende wurden es fünfmal so viele. Dortmund hat am Samstag ein beeindruckendes Zeichen gegen Rassismus gesetzt. Corona-Abstand war da aber nicht mehr möglich.
Glen Akama Esene konnte es selbst kaum fassen, wie viele Menschen vor seiner improvisierten Bühne auf dem Dortmunder Hansaplatz standen.
Von der Ladefläche eines Transporters aus rief der Moderator bereits zu Beginn: „Liebe Leute, ihr seid wunderbar!“ Da ging er noch davon aus, dass die Menge „nur“ fast 3000 Menschen umfasse.
Zum Ende der größten Demonstration, die Dortmund seit langer Zeit gesehen hat, schätzte die Polizei die Teilnehmerzahl auf mindestens 5000 Personen. Der Hansaplatz war voll. Weil die angrenzenden Straßen frei bleiben sollten, wurden die Teilnehmer gebeten, etwas zusammenzurücken.
Damit war die Einhaltung des Corona-Mindestabstands nicht überall möglich. Also wiesen die Organisatoren mehrfach auf die dringende Einhaltung der Maskenpflicht hin – viele Teilnehmer hielten sich daran.
„Es lief alles absolut friedlich“, resümmierte Polizei-Sprecher Peter Bandermann: „Die Veranstaltung war sehr gut organisiert.“ Der Anlass der Versammlung sei „fraglos absolut traurig.“
Verschiedene Gruppen aus der afrikanischstämmigen Gemeinschaft Dortmunds hatten zusammen mit der Bewegung „Silent Demos“ eingeladen, um des schwarzen US-Amerikaners George Floyd zu gedenken, der bei einer Festnahme in Minneapolis kürzlich ums Leben kam.
„Es könnte auch hier in Dortmund passieren“
„Es ist in Amerika passiert, aber es könnte auch hier in Dortmund passieren“, sagte Organisator Kevin Matuke ins Mikrofon. Und die Vorsitzende des städtischen Integrationsrates, Aysun Tekin, sagte: „Wir müssen den Mund aufmachen und uns gegen Rassismus stellen, wo wir ihn sehen.“
Rassismus sei in Deutschland ein gesellschaftlich übergreifendes Problem. Das müssten die Verantwortlichen in verschiedenen Behörden anerkennen. Stattdessen werde immer nur von Einzeltätern geredet, etwa beim NSU oder beim Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.
Außerdem müsse es in Deutschland eine neutrale Behörde geben, die Beschwerden über Polizisten bearbeitet. „Aktuell muss man sich bei der Polizei über die Polizei beschweren“, so Tekin: „Das ergibt keinen Sinn.“
Moderator Glen Akama Esene erzählte, dass er vor mehr als 20 Jahren aus dem Kamerun nach Deutschland gekommen sei. Er fragte die Zuhörer: „Wie soll ich das meinen Kindern erklären? Muss meine Tochter Angst haben, nachts draußen auf der Straße zu sein? Muss sie Angst haben, wenn sie von der Polizei kontrolliert wird?“
Nach den beiden letzten Fragen schrie ihm die Menge „Nein“ entgegen – und Akama Esene ergänzte: „Gut, Dortmund sagt Nein zu Rassismus.“
Gegen 17 Uhr kam es dann auf dem Hansaplatz zu einem absoluten Gänsehautmoment. Die tausenden Anwesenden knieten sich gemeinsam hin, reckten eine Faust in die Luft – und schwiegen mehr als acht Minuten lang. So lange, wie George Floyd von einem Polizisten die Luft abgeschnürt bekam.
Viele verschiedene Besucher stiegen anschließend nacheinander auf die Bühne, um ihre Erfahrungen mit Rassismus zu schildern oder ihre Solidarität mit den Opfern auszudrücken.
Auf mitgebrachten Plakaten waren im Publikum Slogans zu lesen wie „Rassismus tötet überall“ oder „White silence is violence“, also „Weiße Stille ist Gewalt“.
Organisator Kevin Matuke war nach der Demonstration gegen 18 Uhr völlig begeistert: „Wir sind überglücklich. Innerhalb von vier Tagen haben wir diesen Protest auf die Beine gestellt.“ Umso schöner sei es, dass so viele Menschen so friedlich teilgenommen haben: „Wahnsinn, ich bewundere dieses Benehmen der Leute.“
Kevin Kindel, geboren 1991 in Dortmund, seit 2009 als Journalist tätig, hat in Bremen und in Schweden Journalistik und Kommunikation studiert.
