Von einem Ladensterben in der Dortmunder City kann man trotz langer Corona-Krise, Inflation und Energiekrise nicht sprechen. Dennoch sind Leerstände am Ende dieses Jahres unübersehbar. Prominente Beispiele sind etwa das einstige Ladenlokal des Elektrofachgeschäfts Conrad am oberen Westenhellweg oder der langjährige Standort der Mayerschen Buchhandlung am Platz von Netanya.
Während des gesamten Jahres 2022 wurden dafür jeweils keine Nachfolgenutzungen erreicht. Und es gibt einige bekannte Geschäfte in der City, die im Jahr 2022 aufgaben, ihr Aus ankündigten oder deren Fortbestand gerade fraglich ist.
Große Sorgen macht - mal wieder - Karstadt. Im Oktober wurde von der Essener Konzernzentrale in einem „Mitarbeiterbrief“ ein Sparkurs angekündigt, der den Betriebsratsvorsitzenden im Haus am Westenhellweg, Joffrey Kallweit, beunruhigte. „Natürlich fängt man an, sich wieder Sorgen zu machen“, sagte er.
Rätsel bei Karstadt und C&A
Richtig mulmig wurde es auch Gerhard Löpke, seinem Vorgänger, der seit Mai im Ruhestand ist, aber weiter in der Bundestarifkommission Galeria Karstadt aktiv ist. „Mein Gefühl sagt mir, dass es ernst ist“, meinte er. 2023 kann es also in Sachen Karstadt sehr schnell sehr ernst werden.
Und mit C&A gibt es Fragezeichen um einen weiteren Handelsriesen. Hat der Textilhändler die längste Zeit seinen Standort am Ostenhellweg gehabt? Ende Mai wurde vom Düsseldorfer Einzelhandelsspezialisten Comfort das Rätselraten um das Modehaus befeuert.
„An der Ecke Ostenhellweg/Kleppingstraße wird der C&A aufgegeben, hier wird perspektivisch (…) eine großformatige Quartiersentwicklung durchgeführt“, veröffentlichte das gemeinhin gut informierte Immobilienberatungs-Unternehmen. Weitere Angaben machte Comfort nicht. Auch C&A hielt und hält sich bedeckt. Handels-Kenner wollen aber wissen, dass der Textilanbieter sich verkleinern will. Statt der 20.000 Quadratmeter großen Immobilie am Ostenhellweg reichten beispielsweise auch 4000 Quadratmeter Verkaufsfläche in dem Gebäude der Ex-Mayerschen am Platz von Netanya.

Zu dieser Spekulation passt, dass eben diese Immobilie bisher nicht weiter vermietet wurde, und dass die prägnante Handelsimmobilie am Ostenhellweg Ende 2021 von einem C&A-Schwesterunternehmen verkauft wurde. Neuer Eigentümer ist der Projektentwickler und Investor Values Real Estate mit Hauptsitz in Hamburg. Values, so hieß es in diesem Jahr in Kreisen von Projektentwicklern, denke an eine Hotelnutzung und Co-Working-Spaces. Auf dem Dach des Gebäudes könne eventuell eine Bar öffnen.
Ganz aus Dortmund zu verschwinden drohen zwei große Schuhhändler: Görtz und auch Salamander, wo schon Generationen von Dortmundern ihre Schuhe gekauft haben. Salamander ist Teil der Ara Gruppe, die für die Schuhkette vor Weihnachten Insolvenz anmeldete. Ob es eine Rettung gibt, ist offen. Der Betrieb läuft auf jeden Fall noch uneingeschränkt weiter. So ist es auch bei Görtz am Westenhellweg 55-57. Die Filiale soll, so ist der derzeitige Stand im Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung, möglichst fortbestehen. Ende Februar geschlossen wird aber die Filiale des Ablegers „Görtz 17“ gegenüber der Petrikirche, mit der ein jüngeres Publikum angesprochen wird.
Gleich zu Jahresbeginn schloss am oberen Westenhellweg einer der letzten Supermärkte in der City - der Super-Bio-Markt zwischen Westenhellweg und Kampstraße. Knapp ein Jahr vorher hatte er dort den Basic-Bio-Markt abgelöst. Mit wenig Erfolg. Es wurde zu wenig Umsatz erzielt, wie es hieß. Woran er letztlich scheiterte, ist offen, aber die Lage am oberen Westenhellweg wird mit eine Rolle gespielt haben. Eingezogen ist dort Tedi.
„Mit Handel kaum belegbar“
Woolworth, das Weinhaus Hilgering, das Einrichtungshaus Büker oder Betten Hutt machen weiter ihre Geschäfte am oberen Westenhellweg, aber die Attraktivität dieser Lage leidet. Die 200 Meter von der Thier-Galerie bis zum Westentor lassen sich offensichtlich nicht mehr gut neu vermarkten. Längst ist dieser Abschnitt der unglamouröse Teil des Westenhellwegs.
Über die Methadon-Ausgabestelle Café Kick am nahen Gesundheitsamt wurde auch in diesem Jahr viel lamentiert und diskutiert, geändert hat sich nichts. Nach wie vor klagen die Kaufleute über die vielen Drogenabhängigen und Obdachlosen in der Fußgängerzone und deren Hinterlassenschaften in ihren Geschäftseingängen - und streiten mit der Stadtverwaltung darüber, wie schädlich das fürs Geschäft ist.
Fakt ist: das Ladenlokal des eingangs erwähnten Elektromarktes Conrad steht noch immer leer. Und glaubt man dem Makler und Westenhellweg-Kenner Andreas Grüß von Lührmann Immobilien in Osnabrück, dann ist eine vergleichbare Neuvermietung unwahrscheinlich. „Mit Einzelhandel wird das nur noch schwer belegbar sein“, sagte er schon vor Monaten gegenüber unserer Redaktion.

Eine ähnliche Situation wie am oberen Westenhellweg zeigt sich auch am Ende des Ostenhellwegs - dort ist keine Methadon-Ausgabestelle in der Nähe. Hier schloss mit Lütgenau auch ein traditionsreiches Geschäft und Frequenzbringer. Auch wenn es nur schleppend voran geht, immerhin wird das frühere Spielwarengeschäft umgebaut und 2023 soll dort der Textildiscounter Kik eröffnen.
Gegenüber hat zu Beginn des Jahres der Deko- und Geschenkladen „Nanu Nana“ geschlossen. Einen solchen gibt es weiter in der Thier-Galerie, aber hier steht das Ladenlokal leer - ebenso der Gastronomie-Standort nebenan, in dem auch 2022 ein mal angekündigtes, asiatisches Restaurant nicht öffnete.
Aus Altersgründen schließt an der Brauhausstraße das Design-Geschäft Scandinovum. So hat es Inhaberin Eva Kloster vor wenigen Tagen verraten. Nach 17 Jahren soll spätestens Ende Januar Schluss sein. „Wieder ein Lieblingsladen weniger“, trauern mehrere ihrer Kunden bereits.

Schlechte Urteile fällten 2022 gleich mehrere Händler über die Kleppingstraße. Das Damenmodegeschäft Marc Cain schloss hier am 17. September. „Goodbye Dortmund“, stand auf einem Aufkleber am Schaufenster. Man habe sich dagegen entschieden, den Mietvertrag zu verlängern, „da die Location und das gewerbliche Umfeld mittlerweile nicht mehr passend waren“. Das Bekleidungsgeschäft hatte 2016 eröffnet.
Kurz zuvor hatte schon die Goldschmiede Köllner und Pape an der Kleppingstraße 41 in der Berswordthalle ihren Abschied zum Jahresende 2022 angekündigt. Inhaber Joachim Köllner begründete das mit einem ähnlich kritischen Urteil über die Kleppingstraße. „Die Kleppingstraße ist eine Katastrophe geworden“, sagte er. „Der inhabergeführte Einzelhandel stirbt hier aus.“ Früher sei die Straße ein Ort für gehobenen Konsum gewesen sei. Das sei heute aber mitnichten so. 2002 war die Goldschmiede der erste Mieter in der Berswordthalle.
Auch Elvira Holzer schließt ihre Modeboutique „By Elena Fashion and more“ an der Kleppingstraße 21-23. „Der Standort ist nicht rentabel“, sagt auch sie. „Es ist eine Katastrophe, in die Innenstadt zu fahren“, äußerte sie im September. Vor allem wegen der Ampel am Stadthaus und der Baustelle an der Kleppingstraße. Die Situation sei für die Kunden „unzumutbar“. „Selbst die Dortmunder bestellen bei mir im Online-Shop. Und warum soll ich die teure Miete bezahlen, wenn ich die Hälfte des Umsatzes sowieso online mache?“, so Elvira Holzer. Sie will das Ladenlokal, das sie 2018 übernommen hatte, nun im Januar räumen.
Viel steht auf dem Papier
Unterm Strich lassen sich - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - all diese Einzelfälle auflisten, dennoch ist Dortmund aber auch 2022 die stärkste Einkaufsstadt im Ruhrgebiet geblieben. So wies es jedenfalls Ende August noch der IHK-Handelsreport Ruhr aus. Dass die reine Verkaufsfläche während der Corona-Pandemie insgesamt relativ stabil geblieben ist, darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den Branchen Bekleidung, Schuhe und Unterhaltungselektronik sehr wohl Verkaufsflächen weggefallen sind - und noch wegfallen.
Axel Schroeder, Vizepräsident der IHK zu Dortmund, fordert daher mehr Tempo bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Nutzungs- und Attraktivitätsprofile für die City. Vieles stehe ja bereits auf dem Papier, wie der Masterplan Plätze oder die Quartierskonzepte für ein Citymanagement. „Aber, man muss auch jetzt etwas tun“, so Axel Schroeder.
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