Es war der politische Coup schlechthin: Wie aus heiterem Himmel bot SPD-Fraktionschef Ernst Prüsse seinem CDU-Pendant im Rathaus, Frank Hengstenberg, an, er könne als Geschäftsführer zur EDG wechseln. Wenn er denn wolle. Aber er müsse sich schnell entscheiden. Das Angebot von Prüsse, seines Zeichens Aufsichtsratsvorsitzender der EDG, platzte mit Wucht in den beginnenden Wahlkampf des CDU-OB-Kandidaten Joachim Pohlmann. Der war im Begriff, gegen den „Roten Filz“ im Rathaus zu Felde zu ziehen. Und dann das! "Es war ein Schachzug, mit dem Prüsse die CDU ruhigstellte und ihr alle Grundlagen für eine Filz-Debatte gegen die SPD wegnahm“, sagt jemand, der sich gut erinnert.
Für die Grünen wiederum war's die perfekte Steilvorlage: Ihr Fraktionschef Mario Krüger ließ sich nicht lange bitten. Und hielt Hengstenberg vor, er lasse „sich schamlos auf eine gut dotierte Position hieven“ - und die CDU-Fraktion sich „wieder einmal ruhigstellen, indem die SPD ihr Platz an den kommunalen Futtertrögen macht“, so Krüger. Der Rot-Schwarze Filz habe wieder Einzug gehalten, stellte der Grüne ernüchtert fest. Das alles geschah 2010.
Hengstenberg gab seinen Posten als CDU-Fraktionschef auf, wechselte aus dem Rathaus zur EDG, arbeitete sich in die Abfallwirtschaft ein und ist bis heute als kaufmännischer Geschäftsführer beim kommunalen Entsorger tätig.
„Keine Versorgungsposten mehr“
Es war das vorerst letzte Mal, dass ein Chefposten in einem städtischen Unternehmen aus politischen Gründen „auf Zuruf“ und über alle Bande hinweg vergeben worden ist. „Generell spielt das Parteibuch bei der Vergabe solcher Posten zwar immer noch eine große Rolle“, kommentiert Prof. Dr. Norbert Kersting, Politikwissenschaftler an der Uni Münster. „Inzwischen wird aber auch deutlich stärker auf die Qualifikation der Bewerber geschaut.“

Das sei nur folgerichtig, so Kersting. Die Zeiten, da kommunale Betriebe wie etwa Stadtwerke ein eher gemütliches Dasein gefristet hätten, seien vorbei. „Auch Stadtwerke müssen auf dem Markt agieren und sich den wirtschaftlichen Herausforderungen stellen“, sagt Kersting. Bei der Aufgabenfülle, die Stadtwerke übernähmen, brauche es Leute mit betriebswirtschaftlichem Know-how und parteipolitischem Verständnis an der Spitze. „Versorgungsposten sind das nicht mehr“, sagt Kersting.
Tatsächlich flammen die Streitereien über „Filz“ und „Postengeschacher“ gelegentlich noch auf. Sie haben aber im Vergleich zu früheren Jahren an Schärfe und Intensität verloren. Was nach Einschätzung von Beobachtern wesentlich damit zu tun hat, dass die einstige Alleinherrschaft der SPD längst gebrochen ist und neben der CDU nun auch die Grünen erfolgreich im Personalpoker mitmischen. Jobvergabe auf Zuruf – das war einmal. Die Postenvergabe für Spitzenkräfte läuft heutzutage anders. Dennoch wissen die Parteien, wo sie ansetzen müssen, um ihre Interessen zu sichern.
Personalberater im Spiel
Jeder Stellenbesetzung bei einem der städtischen Unternehmen geht ein Auswahlverfahren voraus, das von einem Personalberater gemanagt wird. Er sucht die Bewerber nach einem „strukturierten Verfahren“ aus, erstellt zunächst eine „Long List“, die nach und nach gesiebt wird, bis am Ende eine Handvoll Bewerber (oft bis zu fünf Personen) übrig bleibt.
Die Politik nimmt aber trotzdem Einfluss: Lange bevor der Personalberater beauftragt wird, haben die Ratsfraktionen bereits ausgehandelt, ob der jeweilige Geschäftsführer- oder Vorstandsposten an die SPD, die Grünen oder die CDU fällt. Das hängt von der Größe der Fraktionen und oft auch vom Geschick der Unterhändler ab. Als stärkste Ratsfraktion nimmt die SPD beispielsweise für sich in Anspruch, den Kandidaten für den Vorstandsvorsitz bei DSW21 ausgucken zu dürfen – dem vielleicht wichtigsten Job, der im Stadtkonzern zu vergeben ist.
Oft werden den Personalberatern bei ihrer Suche bereits Namen von Kandidaten diktiert, die sie ins Bewerbungsverfahren aufnehmen sollen. In manchen Fällen steht bereits am Anfang des Verfahrens fest, wer das Rennen machen soll. Ein prominentes Beispiel dafür führen Insider mit dem Wechsel der damaligen DEW-Chefin Heike Heim im Jahr 2023 auf den Vorstandsposten von DSW21 ins Feld: Es habe zwar ein Ausschreibungsverfahren gegeben, heißt es. Aber eben nur pro forma.
„Kritik am Verhandlungspaket“
Es seien offenbar weitere Bewerbungen eingegangen, die „aber niemand zu Gesicht bekommen hat“, wie Beobachter sagen. Für OB Westphal und die SPD habe „von vornherein festgestanden, dass Heim es werden sollte und niemand anders“. Die CDU war strikt gegen die Personalie. Die SPD hatte damals das sogenannte „erste Vorschlagsrecht“ für die Besetzung des DSW21-Chefpostens – aber nicht die nötige Stimmenzahl für ihre Kandidatin Heim.
Das wiederum machten sich die Grünen zunutze: Sie sagten ihre Stimmen zu. Und boxten im Gegenzug für sich einen Geschäftsführerposten bei der kommunalen Wohnungsgesellschaft Dogewo durch – die deshalb künftig gleich zwei Chefs an ihrer Spitze hat. Die SPD gestand das mehr oder weniger zähneknirschend zu.
Da sei ein „parteipolitisches Verhandlungspaket geschnürt worden“, kritisiert Utz Kowalewski, Fraktionschef von Linke+. Andere nennen es „ein Koppelgeschäft“. Nicht nur, dass Kowalewski mit den Vorschlagsrechten ein Problem hat, die die drei großen Fraktionen unter sich ausgehandelt haben. Ein solches Vorschlagsrecht kenne die Gemeindeordnung gar nicht, argumentiert Kowalewski. „Wenn dabei sogar noch die Struktur der Geschäftsführungen dritter kommunaler Unternehmen beeinträchtigt würden, dann ist das nicht mehr sachgerecht“.
Personalie ging nach hinten los
Andere weisen daraufhin, dass ein solches Bewerbungsverfahren wie bei der Besetzung des DSW21-Postens eine Farce sei. „Jeder andere Kandidat mit einer vergleichbaren oder vielleicht noch besseren Eignung zuckt doch zurück, wenn er hört, dass die Sache schon entschieden ist“, sagt jemand, der die Abläufe kennt. „Keiner will sich verbrennen und vor seinen Kollegen hinterher als gescheitert dastehen.“
Für die SPD ging die Personalie Heim komplett nach hinten los: Der von ihr unterstützten Favoritin wurde wegen der umstrittenen Energiebeschaffung bei DEW ein Jahr nach ihrem Jobwechsel zu DSW21 der Stuhl vor die Tür gestellt. Am Mittwoch (18.12.) machten die Grünen nun ihren Punkt – sie brachten ihren Favoriten für die Dogewo-Spitze in der Aufsichtsratssitzung durch: Samuel Serifi ist ein Praktiker aus der Wohnungsbranche. Er kommt von der Essener Allbau und hat kein Parteibuch. Die SPD sucht noch immer ihren Kandidaten für die künftige Doppelspitze.
Edmund Mastiaux ist Gründer und Geschäftsführer des zfm (Management für Personalberatung Bonn), das jährlich rund 100 Auswahlverfahren für Führungskräfte aus Stadtverwaltungen und Kommunalbetrieben begleitet. „Es ist durchaus üblich, dass ein OB oder Aufsichtsratsvorsitzender darum bittet, auch die Person X anzusprechen und in das Auswahlverfahren aufzunehmen“, sagt Mastiaux.
Falls im Anschluss daran die Eignung des Wunschkandidaten im Abgleich zu anderen Bewerbern nicht gegeben sei, werde das gegenüber dem Auftraggeber kommuniziert, erläutert der Personalberater. "Hält der Auftraggeber am Kandidaten fest, ist das seine alleinige Entscheidung, die unsererseits nicht oder nur schwer zu beeinflussen ist."
„Gespür für Menschen haben“
Mastiaux ist seit 30 Jahren im Geschäft. Er weiß, worauf es ankommt, wenn ein Bewerber nach einem Topjob in einem kommunalen Unternehmen greift. Fachlichkeit allein reiche nicht. „Sie macht rund 30 Prozent des Gesamtbildes aus“, sagt Mastiaux. Auch die „Persönlichkeit“ eines Bewerbers spiele eine wichtige Rolle (ebenfalls zu 30 Prozent). Ist der Kandidat belastbar? Verfügt er über kreatives Denken? Beherrscht er komplexe Themen? „All das wollen wir in Gesprächen herausfinden“, so Mastiaux. Das mit 40 Prozent wichtigste Kriterium aber sei die „Umfeldanpassung.“

Passt die Person zum Unternehmen - und das Unternehmen zur Person? Ist beispielsweise ein eher risikofreudiger Bewerber der geeignete Kandidat für ein Unternehmen, das strikten Sparkurs fährt? Was, wenn ein Kandidat eine Führungsaufgabe in einem kleineren Stadtwerk übernimmt und feststellt, dass es dort im Gegensatz zum vorherigen Job keine Stäbe und Abteilungen gibt, die unterstützen und zuliefern?
„Der Typus muss zum Unternehmen passen“, sagt Mastieux. „All das versuchen wir in Gesprächen mit Auftraggebern, den aktuellen Stelleninhabern, Vorgesetzten und Kollegen im Rahmen von Umfeldinterviews herauszufinden. Am Ende muss man ein Gespür für Menschen haben, da kann mitunter auch das Bauchgefühl entscheidend sein“, weiß der Personalberater.
Zudem gebe er zu bedenken, dass Geschäftsführer und Vorstände in kommunalen Betrieben anders agieren müssten als in Privatunternehmen. Die Aufsichtsräte seien politisch besetzt und bildeten die Mehrheiten in einer Stadt ab. „Da muss man ganz anders kommunizieren, die Politik will mitgenommen werden“, sagt Mastiaux. Mit anderen Worten: Die Spitzen der Kommunalbetriebe müssen nicht nur in ihrer Branche, sondern auch im Rathaus gut vernetzt sein.
Wer liegt auf Wellenlänge?
Auf Nachfrage bei den Ratsfraktionen steht bei allen „die Fachlichkeit“ eines Bewerbers an erster Stelle. Dass die Besetzungen gleichzeitig aber auch den Farben der Parteibücher folgen, bestreitet niemand. Für CDU-Fraktionschef Jendrik Suck ist es „durchaus legitim, wenn die Politik ihre Interessen wahrt“.
Das sieht auch Ingrid Reuter so, Mitglied im Grünen-Fraktionsvorstand. „Schließlich geht es um unsere kommunalen Betriebe, die in Dortmund ein ganzes Spektrum an öffentlichen Aufgaben erfüllen“, sagt Reuter. Und ja, natürlich schaue man sich um, „ob da jemand ist, der auf derselben Wellenlänge liegt“, so Reuter. Als zweitstärkste Ratsfraktion haben nun auch die Grünen den Anspruch, die für sie wichtigen Posten sowohl in der Verwaltung als auch bei den kommunalen Betrieben mit Personen ihrer Couleur zu besetzen – und so „grüne Politik“ zu machen.
Das geht mitunter auch ohne offzielles Parteibuch: EDG-Chef Dr. Rainer Wallmann beispielsweise, den die Grünen nach Dortmund geholt haben, gilt ihnen „als nahestehend“ – ein Parteibuch aber hat er nicht. Von „einer Bestenauslese“ spricht SPD-Fraktionschefin Carla Neumann-Lieven. „Uns kommt es vor allem darauf an, dass die Personen fachlich versiert, stark in der Kommunikation und Teamplayer sind. Zudem sollten sie Kommunalpolitik und Kommunalwirtschaft verstehen und mit ihr umgehen können.“
Wer genau hinsieht, stellt fest: Die Vorentscheidungen, welcher Bewerber zum Zuge kommt, treffen die jeweiligen Findungskommissionen – deren Vorschläge von den Aufsichtsräten und letztlich vom Rat der Stadt mehr oder weniger abgenickt werden. Das ist die Regel. Auch da meldet Utz Kowaleswki (Linke+) Kritik an. Er bemängelt, dass die Findungskommission „meist intransparente, kleine Kreise in sehr unterschiedlicher Besetzung sind.“
„Kandidat verkaufte sich gut“
Manche dieser Kommissionen bestünden ausschließlich aus Leuten, die auch in den Aufsichtsrat-Präsidien säßen. Andere Kommissionen wiederum vergrößern sich und ziehen weitere Ratsvertreter hinzu. Den Effekt beschriebt Kowalewski so: „Das Verfahren führt dazu, dass selbst hinterher die Aufsichtsräte oft nur eine einzige Bewerbung zu sehen bekommen – nämlich die des Favoriten aus der Findungskommission.“
Das gelte erst recht für den Rat der Stadt. „Die Möglichkeit, einen Kandidaten auf seine Eignung zu prüfen, gibt es dann nicht mehr“, erläutert Kowalewski. „Entweder man nickt oder man sagt ‚Nein‘.“ Er fordert ein „einheitliches und transparentes Verfahren“.
Doch selbst der Einsatz von Personalberatern verhindert manchmal nicht, dass am Ende doch die falsche Person ausgewählt wird. Beispielsweise am städtischen Klinikum. Dessen damaliger Chef Markus Polle (parteilos) war Anfang 2022 als Vorsitzender der Geschäftsführung zur Beurhausstraße gekommen – und im Juni 2023 nach gerade eineinhalb Jahren abberufen und mit fürstlichen Bezügen nach Hause geschickt worden. Polle hatte sich mit allen Chefärzten überworfen, die vehement seinen Abgang forderten.
Was eigentlich niemanden hätte verwundern dürfen, zumal Polle vor seinem Wechsel nach Dortmund bereits in anderen Kliniken ähnliche Probleme hatte. „Er ist darauf angesprochen worden, konnte mit seinen Einlassungen aber in jedem Punkt überzeugen“, sagt ein Insider. „Er war gut vorbereitet und hat einen absolut professionellen Eindruck gemacht.“
Damals genügte der Findungskommission eine einzige Bewerberrunde um zu entscheiden, wer das Klinikum in die Zukunft führen soll. Polles Nachfolger hatte es etwas schwieriger: Peter Hutmacher musste zwei Runden überstehen, bevor er den Zuschlag bekam und im September 2024 schließlich als neuer kaufmännischer Geschäftsführer starten konnte.