Vorwürfe gegen Polizei nach Schüssen in Dortmund „Ein Wunder, dass mein Mandant noch lebt“

Polizei-Schüsse auf Auto: „Ein Wunder, dass mein Mandant noch lebt“
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Nach einem Einsatz der Polizei Dortmund in der Nacht zum 25. Dezember, bei dem Polizisten auf der Leopoldstraße auf ein Auto geschossen hatten, sind weiterhin viele Fragen offen. Jetzt hat sich der Rechtsanwalt geäußert, der einen der beiden jungen Männer vertritt, die in dem Wagen saßen.

Burkhard Benecken aus Marl sagt, er sei dabei gewesen, als sein Mandant, ein 17-Jähriger aus Essen, bei der Staatsanwaltschaft seine Aussage gemacht hat. Mit dem Jugendlichen habe ein 18-Jähriger aus Essen in dem Auto gesessen, als es zu dem Vorfall kam. Benecken betont, dass die Männer in dem Verfahren als Zeugen und Geschädigte geführt würden.

Mordkommission eingerichtet?

Er spricht von zwei Polizisten, die nach Angaben seines Mandanten geschossen hätten. Die beiden Beamten seien Beschuldigte in dem Verfahren, so Benecken. Gegen sie ermittle nun eine Mordkommission bei der Polizei Recklinghausen. Diese Behörde wurde aus Neutralitätsgründen eingesetzt.

Auf Nachfrage am Montag (9.1.) wollten weder die Polizei Recklinghausen noch die Staatsanwaltschaft Dortmund Ermittlungen gegen die Polizisten durch eine Mordkommission bestätigen.

Flucht vor Polizeikontrolle

Folgende Version der Ereignisse hat der 17-Jährige laut Benecken bei seiner Vernehmung zu Protokoll gebracht: Er sei mit seinem Kumpel auf der Leopoldstraße unterwegs gewesen, um in der Nähe eine junge Frau zu treffen. Für die Fahrt habe er sich das Auto seines Vaters geliehen - einen AMG-Mercedes. Allerdings habe diesen nur sein 18-jähriger Freund fahren dürfen. Dieser habe im Gegensatz zu ihm einen Führerschein.

Bei der Rekonstruktion des Einsatzes ist die Leopoldstraße (B54) weiträumig abgesperrt worden.
Bei der Rekonstruktion des Einsatzes ist die Leopoldstraße (B54) weiträumig abgesperrt worden. © Kevin Kindel

Als sich eine Polizeikontrolle angekündigt habe, habe er versucht wegzufahren, da er Ärger wegen des Fahrens ohne Führerschein befürchtet habe, gibt Benecken die Aussage seines Mandanten wider. Daraufhin hätten die Polizisten den Mercedes in Höhe der Leopoldstraße 29 überholt und ausgebremst.

Die Beamten seien ausgestiegen und hätten „ohne weitere Warnung oder Ankündigung“ das Feuer eröffnet. Nach Angaben seines Mandanten hätten sie „grundlos geschossen“. Träfen diese Schilderungen zu, sei das eine „eindeutig rechtswidrige Diensthandlung“, meint der Rechtsanwalt.

Schuss durch Windschutzscheibe

Wie oft die Polizisten schossen, sei unklar, ergänzt der Anwalt. Seitens der Staatsanwaltschaft hieß es, dass vier Schüsse abgegeben worden seien. „Es könnte mehr Schüsse gegeben haben“, sagt Benecken. Eine Kugel habe die Windschutzscheibe des Mercedes durchdrungen. Diese sei im Bereich des Tachos im Inneren des Autos wieder ausgetreten. Insofern sei es „ein Wunder, dass mein Mandant noch lebt“.

Mit Abschleppwagen sind zwei Autos zum Tatort gebracht worden.
Die weiße Farbe an dem blauen Auto auf dem Abschleppwagen könnte Einschusslöcher markieren. Unser Reporter durfte das Fahrzeug am Freitag (6.1.) aber nicht aus der Nähe begutachten. © Kevin Kindel

Am Freitag (6.1.) hat die Polizei Recklinghausen die Leopoldstraße für rund neun Stunden gesperrt, weil Ermittler versuchten, den Hergang der Ereignisse aus der Nacht zum 25.12. zu rekonstruieren.

Sein Mandant und dessen Kumpel seien vor Ort gewesen, um die Szenen mit Statisten aus Reihen der Polizei nachzuspielen, so Benecken. Dazu wurde auch der Mercedes auf der Leopoldstraße platziert. Sein Mandant habe sich noch einmal hinter das Steuer gesetzt, was ihm nicht leicht gefallen sei.

Aufwendige Rekonstruktion

Der Rechtsanwalt berichtet, er sei ebenso wie der Vater seines Mandanten dabei gewesen. Letzterem hätten „die Knie geschlottert“, als er das Einschussloch an der Windschutzscheibe gesehen habe. Bei der Rekonstruktion des Geschehnisse haben Ermittler Vermessungen mit Lasertechnik vorgenommen sowie Videoaufnahmen angefertigt. Benecken spricht von „sehr aufwendigen Ermittlungen“.

Nachdem die Polizisten das Feuer eröffnet hätten, habe sich sein Mandant entschieden, die Flucht zu ergreifen, berichtet der Anwalt weiter von der Aussage des 17-Jährigen. Während der Mercedes weggefahren sei, hätten die Polizisten erneut mehrere Male geschossen.

Dem 17-Jährigen zufolge hätten er und sein Kumpel anschließend einen Fahrerwechsel bei laufender Fahrt vollzogen. Damit habe er das Fahren ohne Fahrerlaubnis vertuschen wollen. Das Vergehen habe der junge Mann bei der Staatsanwaltschaft zugegeben, so Benecken. Daher laufe gegen ihn nun ein Jugendstrafverfahren.

Was sagen Zeugen?

Nach einigen hundert Metern Flucht vor der Polizei habe das Auto angehalten. Dort seien sein Mandant und sein Freund von den Polizisten festgenommen worden, so Benecken. Nach Informationen von Polizei und Staatsanwaltschaft erfolgte die Festnahme an der Kuhstraße zwischen Thier-Galerie und Stadtgarten. Bis dorthin beträgt die Strecke von der Leopoldstraße 29 rund einen Kilometer.

Der Rechtsanwalt sagt, dass es zwei neutrale Zeugen geben soll, die die Version der beiden jungen Männer wohl bestätigen würden. Zudem sei der Inhalt eines Telefongesprächs Gegenstand der Ermittlungen. Sein Mandant habe zwischen den Schüssen und der Festnahme seinen Vater angerufen. Diesem habe er gesagt, dass die Polizei auf ihn und seinen Freund geschossen habe. Das Telefonat sei erst beendet worden, als einer der Polizisten das Handy gefunden habe, so Benecken.

Strafanzeige gegen Polizisten

Nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft sollte das Auto gegen 2.30 Uhr auf der Leopoldstraße angehalten und kontrolliert werden. Nachdem die Insassen Anhaltezeichen missachtet hätten, sei es zu den Schüssen gekommen, hieß es. Verletzt wurde niemand. Zeugen werden gebeten, sich über ein Online-Hinweisportal bei der Polizei Recklinghausen zu melden. Dieses ist unter https://nrw.hinweisportal.de zu erreichen.

Staatsanwältin Gülkiz Yazir bestätigte am Montag (9.1.) auf Nachfrage, dass Strafanzeige gegen die beiden Polizisten gestellt worden sei. Diese Anzeige werde nun geprüft. Zum Hergang der Geschehnisse in der betreffenden Nacht machte Yazir keine weiteren Angaben. Sie nahm auch nicht Stellung zu den Vorwürfen von Beneckes Mandanten. Was in der Nacht passiert sei, werde weiter geprüft, so die Staatsanwältin. Voraussichtlich sei erst im Februar mit neuen Erkenntnissen zu rechnen.

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