Polizei gefrustet, Anwohner in Angst - Berichte zeichnen düsteres Nordstadt-Bild Was ist dran?

Berichte zeichnen düsteres Nordstadt-Bild - Was sagen die Statistiken?
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Prügeleien und Attacken, Dealer auf offener Straße - das Kriminalitäts-Problem in der Nordstadt ist offensichtlich. Aber ist nun zwischen Nordmarkt und Borsigplatz ein „gefährlicher Brennpunkt entstanden“, wie das Boulevardblatt „Bild“ am Montag, 22. Mai, berichtet? Wir benennen die Vorwürfe und die Fakten - und haben Hannah Rosenbaum. Bezirksbürgermeisterin der Nordstadt um eine Einschätzung gebeten.

Es sind im Kern zwei Vorwürfe, die die Berichterstattung der „Bild“ prägen: Zum einen fühlen sich dem Bericht nach Gewerbetreibende und Anwohner in punkto Kriminalität von der Polizei im Stich gelassen. Zum anderen seien Ordnungshüter der Wache Nord von ihren Arbeitsalltag und angeblichen Vorgaben aus dem Präsidium so gefrustet, dass sich viele Beamte versetzen lassen wollen.

Die „Bild“ zitiert anonym einen Beamten: „Mittlerweile wollen 41 von 61 Kollegen weg.“ Es finde eher eine bewusste Kriminalisierung von Polizisten statt. Es wird eine Verbindung zu Mouhamed D. (16) gezogen, der im August 2022 bei einem Polizeieinsatz getötet wurde. „Uns wurde aus dem Präsidium klar gesagt, möglichst wenig Migranten zu kontrollieren, die Situation wäre wegen des toten Senegalesen sowieso schon angespannt“, zitiert „Bild“.

Kriminalität sank zuletzt

Anwohner berichten in dem Beitrag von Drogengeschäften auf offener Straße, brutalen Attacken vor Restaurants - und es dauere zu lang, bis die Polizei komme. Auf Nachfrage unserer Redaktion will die Dortmunder Polizei sich am Montag, 22.5., nicht äußern - kündigte für den 23.5. aber eine Erklärung zum Thema an.

In der Tat ist die Bilanz zum Thema Kriminalität gemischt, wie ein Blick in die Kriminalstatistik zeigt: Die Aufklärungsquote der Polizei war im vergangenen Jahr in der Nordstadt mit 55 Prozent genauso hoch wie im gesamtstädtischen Durchschnitt. Allerdings war die Zahl der Delikte in diesem Stadtbezirk überdurchschnittlich hoch: 11.173 Straftaten bei ca. 60.000 Einwohnern - pro Kopf ist die Wahrscheinlichkeit einer Straftat in der Nordstadt etwa doppelt so hoch wie im restlichen Gebiet des Polizeipräsidiums Dortmund.

Allerdings ist die Zahl der Delikte seit 2016 in der Nordstadt deutlich zurückgegangen - um fast ein Viertel. Wohl auch das Ergebnis der Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft und Ermittlungskommission Nordstadt, die nach sechs Jahren erfolgreicher Arbeit aus Personalmangel jedoch eingestellt wurde.

„Ja, es gibt definitiv Probleme mit Kriminalität in der Nordstadt – gerade im Bereich Betäubungsmittel. Die Vielzahl der Drogen-Delikte, dass auf der Straße gedealt wird, ist gerade für die Bewohnerinnen und Bewohner der Nordstadt sehr belastend, denn es beeinträchtigt ihr individuelles Sicherheitsempfinden. An diesem Thema müssen wir arbeiten“, sagte Bezirksbürgermeisterin Hannah Rosenbaum (Grüne).

„Bild“ erklärt die Verunsicherung der Polizeibeamten durch die Ermittlungen nach dem Tod von Mouhamed D.. Bezirksbürgermeisterin Rosenbaum hat das anders wahrgenommen: „Ich finde es, absolut nachvollziehbar, dass es nach dem Tod von Mouhamed D. Verunsicherung bei Polizistinnen und Polizisten gibt. Sie stehen mit ihren Handlungen in der Öffentlichkeit, Kollegen sollen sich bald vor Gericht verantworten. Da ist Reflektion über Handlungsoptionen, über etwaigen Alltagsrassismus nicht die schlechteste Option.“

Viele Menschen in der Nordstadt hätten den Eindruck, dass sie von der Polizei anders behandelt würden als „Bio-Deutsche“.

„Die Polizei hat sich, nach dem Tod von Mouhamed D. endlich offen zu diesen Themen gezeigt, diese Kommunikation dürfen wir jetzt nicht abreißen lassen“, so die Politikerin. Auch die angesprochenen Gewerbetreibenden profitierten von einer niedrigschwellig ansprechbaren Polizei.

Das ist für Rosenbaum das Schlimme an der Berichterstattung: „Hier werden Themen willkürlich durcheinander geworfen und damit die Strategie der Polizei lächerlich gemacht. Und es ist definitiv ein Imageschaden für die Nordstadt.“

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