„Ich kann aufatmen - ganz ehrlich“, so erleichtert reagiert Bianca Kelch (50) aus Dortmund auf eine Nachricht, die auch ein Ergebnis dieser Recherche ist. Über 13 Monate lang hat sie darauf gewartet, dass das Dortmunder Sozialamt ausstehende Pflegekosten für ihre Mutter begleicht. Eine große emotionale Belastung, denn Bianca Kelchs Mutter ist bereits vor Monaten verstorben.
Fast 2000 Euro Eigenanteil
„Alles fing im Oktober 2023 an“, erzählt Bianca Kelch vor wenigen Tagen, als noch nicht klar war, dass sich ihr Fall bald klären würde. Ihre Mutter, Ursula Becker, sei damals ohnehin nur noch eingeschränkt mobil gewesen und sein dann auch noch gestürzt. „Sie kam dann erst ins Krankenhaus, von dort aus in die Kurzzeitpflege und Ende Oktober dauerhaft in ein Pflegeheim.“
Wie aus unserer Redaktion vorliegenden Dokumenten hervorgeht, bekam Ursula Becker eine Rente von rund 1200 Euro. Aufgrund eines Pflegegrades übernahm zusätzlich die Pflegekasse rund 1250 Euro der für die vollstationäre Pflege anfallenden Kosten. Dennoch blieb ein Eigenanteil von rund 1950 Euro übrig. „Die Renten gehen voll ins Heim. Kein Taschengeld, nichts. Diese Menschen haben keinen Pfennig, wenn sie keine Angehörigen haben, die ihnen helfen“, sagt Bianca Kelch.
Weil sie den Eigenanteil selbst auch kaum aufbringen kann, beantragt Bianca Kelch am 20. November 2023 für ihre Mutter Pflegehilfe beim Dortmunder Sozialamt. Daraufhin sei, so schildert es Bianca Kelch, allerdings kein Geld geflossen. „Bis Ende Dezember habe ich das Heim selbst bezahlt. Aber irgendwann sind die Ersparnisse alle. Ich hatte Angst, dass meine Mutter aus dem Heim fliegt.“
Viele Unterlagen
Das Dortmunder Sozialamt meldet sich am 11. Januar 2024 bei Bianca Kelch. Der Brief enthält eine lange Liste an Unterlagen, die sie einreichen möge. Darunter finden sich auch Dokumente, die die meisten wohl nicht mal eben zur Hand haben: Auszüge aus dem Familienbuch und die aktuellen Rückkaufwerte von Lebensversicherungen zum Beispiel.
Bianca Kelch arbeitet als Service-Mitarbeiterin am Landgericht in Dortmund. Man darf annehmen, dass sie im Umgang mit Dokumenten vertraut ist. „Ein paar Tage später habe ich die Unterlagen per Mail an das Sozialamt geschickt“, erzählt sie. Doch auch dann sei zunächst nichts passiert.
„Wochen später habe ich dort angerufen und nachgefragt. Daraufhin wurde mir gesagt, das Amt wird zusammengelegt und die Sachbearbeiterin hat gewechselt, ich solle eine Woche später nochmal anrufen.“ Doch auch dieser zweite Anruf bringt keine Klärung.
„Konnte nicht abschließen“
Am 23. Februar fordert das Sozialamt ein sogenanntes MDK-Langgutachten für Ursula Becker an. Es soll den genauen Grad der Pflegebedürftigkeit von Bianca Kelchs Mutter feststellen. Doch dazu kommt es nicht mehr.
„Ab Anfang März war meine Mutter nicht mehr ansprechbar. Ein Gutachten war dann natürlich nicht mehr möglich.“ Am 8. März 2024 verstirbt Ursula Becker. Ihre trauernde Tochter muss sich jedoch weiter um die Pflegehilfe bemühen. Insgesamt geht es nun um rund 5000 Euro.
„Das war schon eine große emotionale Belastung. Ich konnte nicht richtig abschließen.“ Zusätzlich erkrankt auch Bianca Kelchs Bruder in dieser Zeit schwer.
Kommunikationsproblem
Ein wenig Entlastung bringt das Pflegeheim selbst: „Dort hat man mir gesagt, man will sich für die Zahlungen erstmal an die Stadt halten. Und man kennt es da wohl, dass das manchmal länger dauern kann.“ In Bianca Kelchs Fall dauert es über 13 Monate - bis schließlich eine Anfrage unserer Redaktion die Sache endlich wieder ins Rollen bringt:
„Wir müssen wir uns bei Frau Kelch für die außergewöhnlich lange Bearbeitungsdauer und ihre dadurch entstandenen, zusätzlichen persönlichen Belastungen entschuldigen“, heißt es in der entsprechenden Antwort der Stadtverwaltung. Über den Antrag auf Pflegehilfe sei nun entschieden worden und die Zahlung an das Pflegeheim veranlasst worden.

Der Grund für die 13 Monate Wartezeit: „Die lange Bearbeitungszeit entstand aus einem sehr bedauerlichen Kommunikationsproblem in der Sachbearbeitung.“ Nach dem Tod von Ursula Becker sei das Pflegeheim als sogenannte gesetzliche Sonderrechtsnachfolge berechtigt, die Pflegehilfe zu erhalten. Entsprechend sei der Schriftverkehr zwischen dem Sozialamt und dem Pflegeheim verlaufen. „Frau Kelch erhielt über diese gesetzlich so festgelegte Tatsache leider keine Informationen.“
„Sehr viele Anträge“
Die Stadtverwaltung betont in ihrer Antwort, dass sich der Fall von Bianca Kelch außergewöhnlich lang gezogen habe. Auch grundsätzlich sei der Bereich für Pflegehilfe jedoch einer, der besonders gefordert sei. „Das Sozialamt hat neun verschiedene Abteilungen. Der Bereich der stationären Hilfen in den Sozialbüros gehört zu den Bereichen, die kontinuierlich sehr viele Anträge erhalten.“
Das Sozialamt habe es sich zum Ziel gesetzt, seinen Service stets zu verbessern, behauptet die Stadt. „Die Bearbeitungszeiten in dem Bereich der Sozialbüros haben sich durch die Zentralisierung an einem Standort bereits verkürzt.“ Trotzdem könne es in komplizierten Verfahren im Einzelfall zu längeren Bearbeitungszeiträumen kommen.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 10. Februar 2025.