Persönliche Erinnerungen an die Ermordung meiner Mitschülerin

Persönliche Erinnerungen an die Ermordung meiner Mitschülerin

rnNicole-Denise Schalla

Am Abend des 14. Oktober 1993 wurde Nicole-Denise Schalla ermordet. Am Bert-Brecht-Gymnasium war sie meine Mitschülerin gewesen. Persönliche Erinnerungen an ein schreckliches Verbrechen.

Dortmund

, 28.06.2018, 18:03 Uhr / Lesedauer: 2 min

Es waren Herbstferien, der 16. oder 17. Oktober 1993. Ich war Schüler des Bert-Brecht-Gymnasiums, 11. Klasse. Abends klingelte das Telefon im Haus meiner Eltern. „Ein Kumpel von dir ist dran“, sagte meine Mutter und gab mir den Hörer. An die Sätze, die mein Kumpel sprach, kann ich mich bis heute erinnern: „Hast du schon von Nicole Schalla gehört? Die ist tot, sie ist ermordet worden.“

Ich hatte mit Nicole Schalla nie viel zu tun gehabt. Sie war ein ganz anderer Typ als ich, hatte einen Freund, war cool. Ich nicht. Aber direkt vor den Ferien hatten wir noch zusammen in einer Gruppenarbeit im Sowi-Unterricht gesessen. Nun saß ich da, sah Nicoles Handschrift - und sie lebte nicht mehr. Es folgten schlimme Tage, auch für uns Schüler. Viele Tränen, aber auch Vernehmungen, Speicheltests durch die Polizei. Es war ja nicht auszuschließen, dass einer von uns, ein Mitschüler der Täter gewesen war.

Mozarts Requiem im Musikunterricht

Nicht vergessen kann ich die erste Musikstunde nach dem Mord. Unsere Lehrerin, Frau Golomb, sagte nichts. Sie legte eine CD ein, ließ sie laufen. Mozart. Requiem. Kaum einer von uns hatte das je zuvor gehört. Da saßen wir, 16, 17 Jahre alt, hörten der tieftraurigen Musik zu, starrten vor uns hin, weinten.

Bei der Beerdigung regnete es.

In Gedanken bei Nicole

Viele, viele Jahre haben Nicoles Eltern die Gedenkstätte gepflegt, die sie selbst genau dort eingerichtet hatten, wo ihre Tochter am Morgen des 15. Oktober 1993 gefunden worden war. Eine Kerze brannte, ein Kranz lag dort. Und immer, wenn ich mit dem Bus durchs Jungferntal gefahren bin, schaute ich durchs Fenster auf die Gedenkstelle und war in Gedanken bei Nicole. Mittlerweile gibt es die Gedenkstätten nicht mehr.

Später, 15 Jahre danach, 20 Jahre danach waren die Gedanken immer wieder da. Nicoles Eltern schalteten regelmäßig Trauer-Anzeigen, hielten das Gedenken an ihre tote Tochter wach.

Am Mittag saß ich in einer Konferenz, als ein Kollege hereinkam: „Die Polizei hat neue Erkenntnisse im Mordfall Nicole-Denise Schalla“, sagte er mir.

Und alles war wieder da.

Etwas fiel ab

Als um kurz nach 15 Uhr klar war, dass ihr Mörder wohl gefasst ist, da ist auch von mir etwas abgefallen.

Nicoles Eltern habe ich nie persönlich getroffen. Ich wünsche ihnen von ganzem Herzen, dass sie nach all dem Leid, das sie erlebt haben, nun etwas leichter weiterleben können.

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