Eine rollende Disco mit Dauervorfahrt – das ist das Konzept des Partyzugs, der nach einem Flaschenwurf von der Bundespolizei gestoppt wurde. Das in Kamen von der Flasche getroffene Kleinkind ist inzwischen außer Lebensgefahr.
Ein zweijähriges Mädchen schwebte zunächst in Lebensgefahr – getroffen von einer Flasche am Bahnhof Kamen, die mutmaßlich am Freitag aus einem Partyzug geworfen wurde. Am Sonntagabend gab die Polizei dann bekannt, im Zuge der Zeugenbefragung einen Tatverdächtigen ermittelt zu haben. Es handelt sich dabei um einen 31-jährigen männlichen Fahrgast des Partyzuges. Nach seiner Vernehmung entließ die Polizei ihn wieder. Weitere Informationen will sie am Montag bekannt geben.
Kleinkind im Arm des Vaters von Flasche getroffen
„Einfach von zentralen Bahnhöfen zur Party dazusteigen und tanzend mit vielen tollen Leuten ans Ziel fahren“, so beschreibt der Partyzug-Anbieter Müller Touristik in seinem Reisekatalog die Fahrt mit so einer rollenden Disco.
Schätzungsweise 500 Passagiere waren an Bord, als die Waggons am Freitag von Köln nach Norderney fuhren. „Für unsere Partyzüge gilt immer freie Fahrt in Sachen Stimmung“, so Müller Touristik auf seiner Internetseite. Gegen 10.50 Uhr an Allerheiligen passiert der Insel-Partyspaß-Express mit den „tollen Leuten“ den Bahnhof Kamen. Eine Flasche, die wohl aus dem Zug geworfen wurde, trifft draußen ein Kleinkind im Arm seines Vaters. Der Mann ist gerade eine Treppe zum Bahnsteig hochgegangen. Das Mädchen wird lebensgefährlich verletzt.
Diesmal hat die Schienen-Disco keine Dauervorfahrt: Die Bundespolizei stoppt den Sonderzug am Bahnhof Greven im Münsterland. Die Beamten erfassen auf der Suche nach dem Flaschenwerfer die Personalien aller Reisenden, die Dortmunder Polizei kündigt die Gründung einer Ermittlungskommission an – mit einem mutmaßlichen versuchten Tötungsdelikt. Ein Polizeisprecher sagte am Samstagmorgen, das Kleinkind sei inzwischen außer Lebensgefahr. Die Ermittlungen laufen somit wegen fahrlässiger Körperverletzung.
Deutsche Bahn distanziert sich von Partyzug
Die Deutsche Bahn distanzierte sich nach kritischen Fragen in sozialen Medien von dem Partyzug. „Das war kein Zug der DB“, hieß es beim Kurznachrichtendienst Twitter.
Das war kein Zug der DB. Dieser Partyzug Köln - Norderney wird von Müller-Touristik angeboten. https://t.co/sAnshn1erL /da
— Deutsche Bahn Personenverkehr (@DB_Bahn) 1. November 2019
Partyspaß ab Bahnsteigkante versprochen
„Partyspaß ab Bahnsteigkante“ – das verspricht der Reiseanbieter Müller im Katalog. Die Stimmung im Zug ist nach Bekanntwerden des Vorfalls getrübt. Die DJs drehen nach Angaben eines Mitreisenden die Musik im Tanzwagen ab. Später geht die Fahrt weiter, die Musik läuft nur noch gedämpft. Die Passagiere haben Sitzplätze in Abteilen reserviert, in denen sich die Musikübertragung aus dem Tanzwagen individuell regulieren lässt. Ein Ticket für den Müller-Zug kostet mindestens 289 Euro.

Gestoppter Partyzug auf dem Bahnhof Greven an Allerheiligen: Die Polizei befragt Passagiere des Sonderzugs und sucht Spuren. © picture alliance/dpa
Knapp vier Stunden dauert die Fahrt aus dem Ruhrgebiet nach Norddeich-Mole normalerweise. Dann geht es mit der Fähre auf die zweitgrößte ostfriesische Insel. Die Kunden können laut Katalog Komplettpakete mit Unterbringung in verschiedenen Hotels buchen, darunter das Inselhotel Bruns, das Gästehaus Meerzeit, das Inselhotel Vier Jahreszeiten und das Inselhotel König. Zum Standardpreis von 289 Euro ist eine Unterkunft in einem Vier-Bett-Zimmer inklusive.
Partyzug hält in Köln, Düsseldorf, Duisburg, Essen und Dortmund
Außer am Startpunkt in Köln können Partylustige laut Katalog noch in Düsseldorf, Duisburg, Essen, Dortmund, Münster, Rheine, Lingen und Meppen zusteigen. Ein Zustieg beispielsweise in Dortmund kostet 18 Euro extra.
Der Müller-Partyzug
Hinter dem Partyzug nach Norderney steht die Müller-Touristik GmbH & Co. KG, ein Reiseanbieter aus Münster. Das Unternehmen ist auf Städte- und Partyreisen spezialisiert. Das Reisekatalog umfasst rund 250 Seiten. Nächstes Jahr steht die Feier des 50. Firmenjubiläums an. Geplant ist eine große Geburtstagsparty – mit einem Partyzug ins sauerländische Willingen.
Fenster im Partyzug lassen sich halb öffnen
Der dunkelrote Partyzug besteht aus älteren IC-Waggons, deren Fenster sich – anders als in modernen Zügen – halb öffnen lassen. Die obere Fensterhälfte lässt sich herunterschieben, wie auf Katalogbildern zu sehen ist. Fröhliche Menschen winken aus den geöffneten Fenstern heraus und verabschieden sich von anderen winkenden Menschen auf dem Bahnsteig.
Der Norderney-Partyzug („preisgünstige, gekühlte Getränke und Imbissangebote an Bord“) wurde erst am Sonntag wieder im Ruhrgebiet erwartet. „Eins ist klar, der Tanzzug bringt uns in Fahrt – und sicher an die Nordsee“, heißt es im Reisekatalog. Für ein kleines Mädchen auf dem Kamener Bahnhof erwies sich der Insel-Express als Sicherheitsrisiko.
Reiseveranstalter will bei Aufklärung helfen
Der Reiseveranstalter äußerte sich am Samstag in einer Stellungnahme, aus der die Deutsche Presseagentur zitiert. „Die ermittelnden Behörden haben unsere volle Unterstützung und erhalten von uns alle Informationen, die sie benötigen“, erklärte der Geschäftsführer der Müller-Touristik GmbH & Co. KG in Münster, Bernd Niemeyer. Das Unternehmen verurteile die Tat zutiefst und wünsche dem Mädchen eine baldige und vollkommene Genesung.
Getränke an Bord würden in weichen Pfandbechern aus biologisch abbaubarem Material ausgegeben. Grundsätzlich sei das Mitbringen von Getränken und Speisen nicht untersagt. „Ein Recht zur Taschenkontrolle haben wir als Reiseveranstalter nicht“, so Niemeyer.
Genesungswünsche für verletztes Mädchen
Rund 500 Personen inklusive Zug- und Reisebegleiter waren nach Niemeyers Angaben an Bord. Die Reaktionen der Mitreisenden beschrieb der Firmenchef gegenüber unserer Redaktion so: „Es gibt viel Verständnis für die Arbeit der Ermittlungsbehörden und den Wunsch, dass die Tat aufgeklärt wird. Wir möchten uns bei unseren Gästen für die Mitarbeit und Geduld bedanken.“
Auf der Rückfahrt am Sonntag organisierten einige der Passagiere dann eine Spendenaktion für die Familie des Mädchens. Sie sammelten Geld ein. Der Veranstalter unterstützte das und versprach, die Summe aufzustocken und der Familie das Geld zukommen zu lassen.

Am Bahnhof Kamen spielte sich an Allerheiligen ein Drama ab. © Carsten Fischer/Archiv
Mit Material von dpa
Jahrgang 1973, aufgewachsen im Sauerland, wohnt in Holzwickede. Als Redakteur seit 2010 rund ums Kamener Kreuz unterwegs, seit 2001 beim Hellweger Anzeiger. Ab 1994 Journalistik- und Politik-Studium in Dortmund mit Auslandsstation in Tours/Frankreich und Volontariat bei den Ruhr Nachrichten in Dortmund, Lünen, Selm und Witten. Recherchiert gern investigativ, zum Beispiel beim Thema Schrottimmobilien. Lieblingssatz: Der beste Schutz für die liberale Demokratie ist die Pressefreiheit.
