Geht’s noch? Ob schuldig oder nicht – Bundespolizei nimmt jetzt von „Kundschaft“ Gebühren

© Leonie Sauerland

Geht’s noch? Ob schuldig oder nicht – Bundespolizei nimmt jetzt von „Kundschaft“ Gebühren

rnKlare Kante

Die Bundespolizei nimmt jetzt Gebühren für die Identitätsprüfung, Platzverweise und das Ausnüchtern in der Zelle. Wohin soll das führen? Kommt als Nächstes das Preisschild am Alkoholtest?

Dortmund

, 17.02.2020, 04:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Seien Sie vorsichtig, wenn Sie am Bahnhof zufällig in eine Nazi-Demonstration geraten oder in Auseinandersetzungen zwischen Borussen- und rivalisierenden Fußballfans; denn das kann teuer werden. Ebenso für jemanden, der seinen Koffer unbeaufsichtigt im Dortmunder Flughafen stehen lässt. Das kostet jetzt Gebühren. Ja, Sie haben richtig gelesen – nicht Strafe, sondern Gebühren. Das klingt wie ein Witz, ist aber keiner.

Seit Oktober 2019 ist eine Gebührenordnung in Kraft, die Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für die Bundespolizei eingeführt hat. Wer unfreiwillig in der Ausnüchterungszelle der Bundespolizei im Bahnhof landet, zahlt jetzt gehobene Hotelpreise: 6,51 Euro für jede angefangene Viertelstunde. Für die Anordnung des Gewahrsams nimmt die Bundespolizei 74,15 Euro. 59,50 Euro werden für eine erkennungsdienstliche Behandlung mit Fotos und Fingerabdrücken fällig. Ein mündlicher Platzverweis kostet 44,65 Euro, die Identitätsfeststellung 53,75 Euro. Für einen normalen Polizeieinsatz können so dreistellige Summen anfallen.

550 Euro für unbeaufsichtigten Koffer

Ziel der neuen Gebührenverordnung ist, für vermeidbare Einsätze nicht mehr die Allgemeinheit, sondern die vorsätzlich oder fahrlässig handelnden Verursacher zahlen zu lassen. Konkret heißt das, dass die Bundespolizei sich ihre hoheitlichen Aufgaben und Zwangsmaßnahmen gegen Personen eben genau von diesen erstatten lassen kann – und bereits tut.

So muss eine Frau 550 Euro zahlen, die am Düsseldorfer Hauptbahnhof ihren Koffer unbeaufsichtigt ließ. Die Fundstelle war schon großräumig abgesperrt und ein Sprengstoffhund unterwegs, als die Frau eine halbe Stunde später per Lautsprecherdurchsage ausfindig gemacht werden konnte.

Die Gebühren sollen auch eine erzieherische Wirkung haben auf Menschen, die zum Beispiel immer wieder randalierend am Dortmunder Hauptbahnhof aufgegriffen werden. Die Umlage der Kosten des Polizeieinsatzes soll laut Bundesinnenministerium „zu einer künftigen Verhaltensbeeinflussung beitragen.“ Von diesen Zwangsgeldern verspricht sich der Bund Mehreinnahmen von mindestens 2,78 Millionen Euro jährlich.

Teuer erkauft

Allerdings muss man davon ausgehen, dass die Betroffenen diese Gebühren häufig nicht zahlen können und bei konsequenter Anwendung früher oder später ihre Schulden im Knast absitzen. Das sind wiederum Kosten für den Steuerzahler. Hinzu kommt die weitere Belastung der Gerichte. Seit Oktober sind bei der Bundespolizei insgesamt nur 3100 Euro eingegangen.

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Doch nicht allein deshalb ist diese neue Einnahmequelle teuer erkauft. Sie hat vor allem gravierende Folgen für die bürgerlichen Rechte und Freiheiten. Sie öffnet polizeilicher Willkür Tür und Tor; denn die Zwangsgelder werden ohne richterlichen Beschluss verhängt, die Strafen gegen Betroffene vorverlegt. Jetzt wird nicht mehr allein bestraft, wer von einem Gericht aufgrund von Beweisen einer Straftat überführt wird, sondern womöglich jede Person, die – selbst wenn nur zufällig – ins Fadenkreuz der Bundespolizei gerät. Da hilft es nur, sich beim Bundespolizei-Präsidenten zu beschweren oder im Nachhinein zu klagen.

Die Bundespolizei ist zwar hauptsächlich an Bahnhöfen und auf dem Flughafen tätig, kann aber auf Anfrage der Bundesländer auch bei Demonstrationen eingesetzt werden. Das birgt die Gefahr, dass bei Demos mit lockerer Hand Platzverweise erteilt werden, die – verbunden mit einer Identitätsprüfung – dann empfindlich ins Portemonnaie gehen. Vor allem junge und arme Menschen könnten so von der Wahrnehmung ihrer freiheitlich-demokratischen Grundrechte abgeschreckt werden.

Kosten für ureigenste Polizeiarbeit

Das ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. So lassen sich Bürgerrechte aushöhlen und unterwandern,

Es ist richtig, dass jemand, der im Strafverfahren verurteilt wurde, auch für die Kosten des Verfahrens aufkommen muss. Doch bei der Verhängung von Gebühren durch die Bundespolizei stehen Schuld oder Unschuld gar nicht in Frage: Denn die mit den Gebühren Belegten werden dazu gezwungen, für die Kosten ureigenster Polizeiarbeit aufzukommen, die sie ohnehin mit ihren Steuergeldern mitbezahlen.

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Absurd wird es gar bei der Vorstellung, dass Platzverweise und Identitätsprüfungen auf dem Bahnhofsvorplatz mit einem zusätzlichen Preisschild versehen werden, aber auf dem Wall schon nicht mehr, weil hier die Landespolizei zuständig ist. Es ist zu befürchten, dass das Beispiel des Bundes beim Land NRW Schule macht, falls die Gebührenordnung Klagen standhält und es sich überhaupt rechnet. Würde die Landespolizei ebenfalls Gebühren nehmen, müssten Autofahrer bei einer Alkoholkontrolle mindestens 50 Euro fürs Blasen ins Röhrchen hinlegen, egal ob sie Alkohol getrunken haben oder nicht.

Auf 5 Cent abgerundet

Das Bundesinnenministerium hat sich bei der Aufstellung der Gebührenordnung viel Mühe gemacht, hat das Zustandekommen der Gebührenhöhe genau ausrechnen lassen. So kostet das „Vorbereiten der Entscheidung über eine Identitätsfeststellung“ 2,74 Euro, die Entscheidung selbst 1,98 Euro, die Durchführung der Prüfung 17.95 Euro, die Dokumentation 17,52 Euro und die Gebührenfestsetzung 13,59 Euro. Macht zusammen 53,75 Euro. Eigentlich 53,78, doch zur Vermeidung einer Kostenüberdeckung, heißt es, wurde nicht auf 5 Cent auf-, sondern abgerundet. Wie rücksichtsvoll.

Wenn sich Minister Seehofer mal über die Folgenabschätzung dieser Gebührenordnung so viele Gedanken gemacht hätte . . .